In Sachsen wird ein pakistanischer Gastronom von Neonazis schikaniert. Als ein Sprengsatz in seiner Pizzeria explodiert, will Mohammad Abid Sayal nur noch weg.

Geithain - Glasscherben knirschen unter den Schuhen. Auf einem halb zerfetzten Schild steht: „Bollywood Pizzaservice“. Mohammad Abid Sayal, 30, zeigt auf die Rußflecken an der Decke, auf den Fernseher, der von der Wucht der Detonation aufgerissen wurde, auf die Sprünge im Glas der Theke. Die Verletzungen, die der Anschlag Mitte Mai in seinem Leben hinterließ, lassen sich nur erahnen. „Ich hab viel Angst“, sagt Sayal, ein kräftiger Mann mit weicher Stimme, „wenn ich hier hab keine Sicherheit, dann geh ich weg.“ Als ihn die Polizei nachts am Telefon über den Sprengsatz in seiner Pizzeria informierte, kamen ihm die Tränen.

 

Eine Frau in Lederjacke betritt das demolierte Lokal und schüttelt Sayal aufmunternd die Hand. Kerstin Krumbholz ist Sprecherin der Initiative für ein Weltoffenes Geithain. Vor zwei Jahren hatten lokale Neonazis im Internet ihren Sohn regelrecht zur Fahndung ausgeschrieben, weil der 15-Jährige sich nicht den Mund hatte verbieten lassen. An einer Tankstelle trat und schlug der Neonazi Albert R. so brutal auf ihn ein, dass er nur durch eine Notoperation gerettet werden konnte. Er ist aus Geithain, der Kleinstadt südlich von Leipzig, weggezogen.

Frau Krumbholz setzt sich mit Herrn Sayal an einen Tisch, zündet sich eine Zigarette an und erzählt von ihrer Trauer, ihrer Wut. „Nichts wird wieder gut“, sagt sie. Aber auch, dass sie nicht aufgeben werde. Mohammad Abid Sayal fragt, womit er rechnen müsse, ob es nun vorbei sei. Kerstin Krumbholz sieht ihm fest in die Augen. Niemand könne das wissen, erklärt sie. Die Neonazis im Ort seien Überzeugungstäter, keine harmlosen Halbwüchsigen. Sieben Körperverletzungen gingen auf ihr Konto. Es gebe keine Sicherheit. Sayal schweigt. Ein dunkler BMW hält mitten auf der Straße vor seinem Lokal. Die Scheiben sind getönt, die Insassen nicht zu erkennen. Die beiden unterbrechen ihr Gespräch, starren auf das Auto, Sayal geht zur Tür und schließt von innen ab. Als er versucht, das Nummernschild zu entziffern, gibt der BMW Gas und fährt ab.

Sein ganzer Stolz ist sein Imbiss

Vor zehn Jahren kam Sayal aus Pakistan nach Deutschland und beantragte Asyl. Er wurde anerkannt, verliebte sich in eine deutsche Frau, sie zogen zusammen. In Bad Lausick, einem Nachbarort von Geithain, eröffnete er einen Imbiss. Sein ganzer Stolz. Hier ist die Welt noch in Ordnung, so scheint es. Alles ist intakt, der Laden läuft. Sayal betritt die Küche, wo zwei Angestellte die Geräte reinigen. Auf einem Laptop läuft via Youtube orientalische Musik aus seiner Heimat. Sayals deutscher Großhändler schaut gerade vorbei. „Na, Abid, was soll’s denn sein?“ Sayal bestellt Gemüse und Fleisch. Zwischendurch begrüßt er deutsche Stammgäste und pakistanische Freunde. Es könnte ein Beispiel gelungener Integration sein, hätte Sayal nicht vor einem halben Jahr das Bollywood eröffnet. In Geithain, mit knapp 6000 Einwohnern, den 42 Meter hohen Türmen der alten Nikolaikirche und dem schönen Marktplatz. Schon am ersten Tag schmiss ein Unbekannter einen Stein in eine Scheibe. Bei einem weiteren Steinwurf regneten Glassplitter ins Gesicht eines Angestellten. Junge Männer beschimpften Sayals Mitarbeiter als Ausländer.

Was am Wochenende vor dem Sprengstoffanschlag geschah, erzählt Khan Amir, ein 27-jähriger Pakistaner. Drei junge Männer verlangten nach Ladenschluss ein Bier, aber er habe nicht aufgemacht. Da sei auf einmal eine Flasche ins Fenster geflogen. Einer habe ein Messer in der Hand gehabt. Dann flog ein Stein. Die Männer hätten gedroht: „Du bist Ausländer. Du musst aus Geithain weggehen. Wenn du die Pizzeria wieder aufmachst, machen wir dich und deinen Chef tot.“

Die Täter waren längst weg, als die Polizei eintraf

Mit dem Handy rief Khan Amir seinen Chef und die Polizei an. Als Sayal eintraf, war kein Beamter zu sehen. „Die kamen erst nach einer halben Stunde“, erinnert sich Khan Amir. Da waren die Täter weg. Eine Woche später zerfetzte ein Sprengsatz die Einrichtung des Bollywood. Das Landeskriminalamt teilte mit, die Sonderkommission Rechtsextremismus habe übernommen, aber man ermittle zunächst „in alle Richtungen“.

Eine Gehminute vom Bollywood entfernt redet die CDU-Bürgermeisterin Romy Bauer im schmucken Rathaus Klartext: „Seit Herr Sayal sein Lokal eröffnet hat, gab es Bedrohungen und Anschläge. Für mich haben diese Taten ganz eindeutig einen rechtsextremen Hintergrund.“ Ja, es existiere eine rechtsextremistische Szene in Geithain – „leider“, sagt Bauer und spricht von einer Zunahme der rechten Aktivitäten. „Die mache ich am Einzug von Manuel Tripp als NPD-gecoachtem Stadtrat im Sommer vor drei Jahren fest.“ Der adrett frisierte Jurastudent ist die Leitfigur der sogenannten „Freien Kräfte“ im Ort. Er organisiert rechtsextreme Demonstrationen, schwadroniert über „nationalen Sozialismus“, der auf dem „Weg der Revolution erkämpft“ werden müsse, und hetzt unverblümt gegen „Überfremdung“, die zum „Volkstod“ führe.

Wie die Bürgermeisterin dem Pizzabäcker helfen will

Zu den radikalen Worten gibt es Taten. Im Internet verhöhnen die Neonazis vom „Freien Netz Geithain“ die Angriffe auf Sayal als „Märchenstunde“, die bald ein Ende habe, wenn Sayal weg sei. Die Bürgermeisterin warnt davor, die Neonazis zu verharmlosen: „Deren Gewaltbereitschaft ist so unverfroren hemmungslos.“ Sie selbst musste das erfahren. Ihr Auto wurde entglast. Im Internet tauchte ein Bild auf, das ein Einschussloch in ihrem Kopf zeigt. Anfangs habe sie so reagiert wie viele Bürgermeister, die ein Problem mit Neonazis haben. Sie habe sich um den guten Ruf der Stadt gesorgt und befürchtet, dass Geithain als braunes Nest stigmatisiert werden könnte. „Das war ein Prozess in mir“, sagt sie, vor drei Jahren hätte sie noch nicht den Mumm gehabt, so offene Worte zu finden. Sie will nichts mehr schönreden. Es ginge um ihre Stadt, aber auch um Respekt und um Menschenwürde.

Romy Bauer prangert die Missstände an. Dazu gehört Mut. Damit stößt sie auf Widerstände – auch in ihrer Partei. Die traurige Realität, dass die Polizei ein Opfer, das seit Längerem massiv bedroht wird, nicht beschützen kann, treibt sie um. „Die Polizeipräsenz wird immer dürftiger“, sagt die Bürgermeisterin und ruft nach mehr Beamten, die sich in den Straßen sehen lassen. Noch vor einigen Jahren sei Geithain ein Revier erster Ordnung gewesen, mittlerweile kämen die Streifen nachts aus Borna. Das ist 22 Kilometer entfernt. Bauer fordert, auch gegen vermeintliche Bagatelldelikte wie Nazischmierereien, rigoros vorzugehen. Doch die Ausstattung der Polizei wird immer schlechter. Innenminister Markus Ulbig, CDU, baut im Zuge seiner Polizeireform massiv Stellen ab. Reviere werden zusammengelegt. Gewaltopfer müssen künftig noch länger auf Hilfe warten.

Es fehlt ein Konzept gegen Rechtsextremismus in den Ländern

Die politischen Konsequenzen auf die Mordserie der Zwickauer Neonazizelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ beschränken sich derzeit auf Terrorabwehr durch den Bund. Die alltägliche rechtsextreme Gewalt geht unvermindert weiter, weil es in den Ländern kein Konzept dagegen gibt. So wurde vor einigen Wochen ein junger Tscheche nach einem Konzert in Delitzsch von rechten Schlägern so schwer verletzt, dass er in einer Augenklinik notoperiert werden musste. In Limbach-Oberfrohna, wo Aktivisten der verbotenen Neonazikameradschaft „Sturm 34“ aktiv sind, wird den Mitgliedern des Bunten Bürgerforums für Demokratie das Leben schwer gemacht. Das geht seit mehr als drei Jahren so, ohne dass die Polizei die Gewalt beenden kann.

Von diesen Dingen weiß Mohammad Abid Sayal nichts. Er stellt sich ganz einfache Fragen: Warum hat die Polizei noch keinen Täter gefasst, obwohl sie die geworfenen Steine untersucht hat? Seit dem Anschlag ist das Bollywood geschlossen. Der 30-Jährige spricht davon wegzugehen, aber er ist auch dankbar für jede Hilfe vor Ort. Die Bürgermeisterin organisiert mit Mitgliedern der Kirchengemeinde und dem Leipziger Erich-Zeigner-Verein für mehr Zivilcourage eine Benefizveranstaltung in der Geithainer Nikolaikirche. Kerstin Krumbholz vom Verein Weltoffenes Geithain erzählt Sayal von der Aktion samt Konzert. „Werden Sie denn auch kommen“, fragt sie den Imbissbesitzer. „Ja, das werde ich“, sagt Sayal. Das klingt fast wie ein Gelöbnis.

In Geithain gibt es etliche Menschen, die nicht wollen, dass der Pakistaner aufgibt. Die Bürgermeisterin Romy Bauer will um ihn kämpfen. Sie will Geld sammeln, damit er seinen Schaden beheben kann: „Konkrete finanzielle Hilfe, das ist das Erste.“ Sie möchte ihn in den Stadtrat einladen, damit er sich den anderen vorstellen und ein bisschen Werbung für seine Pizzeria machen kann. Und sie will Sayal bitten zu bleiben. „Er soll es spüren, wir wollen ihn nicht verlieren“, sagt sie. Die Bürgermeisterin klingt euphorisch, ihr Elan könnte ansteckend sein und der Umsatz im renovierten Bollywood steigen.

Das Ende des Terrors oder erst der Anfang?

Es könnte aber auch alles ganz anders kommen. Das rechte Auge von Mohammad Abid Sayal ist rot unterlaufen, er hat die ganze Nacht nicht geschlafen. Tags zuvor hielt vor seinem Lokal in Bad Lausick ein Auto, der Fahrer beobachtete seinen Imbiss, bevor er nach einiger Zeit langsam weiterfuhr. Später kam das Auto zurück. Der Pakistaner weiß nicht, ob der Sprengsatz das Ende war oder erst der Anfang. Der Psychoterror geht weiter.

Gleich um die Ecke vom Bollywood haben die Neonazis seit einiger Zeit einen Treffpunkt in einer Kneipe. Manuel Tripp griff die Bürgermeisterin im Stadtrat neulich dafür an, dass sie den Gastwirt am Telefon unter Druck gesetzt habe, weil dieser „volkstreue Gäste“ habe.

Geithain bleibt Kampfzone. Die Neonazis werden weiter neben dem Bollywood ihr Bier trinken. Die Angestellten von Herrn Sayal werden wieder allein sein, wenn das nächste Auto vor der Pizzeria hält und Schlimmes passiert. Und die Polizei wird vermutlich wieder zu spät kommen.