Vor der Tagung der Europäischen Raumfahrtagentur ist heftig gestritten worden: Wird eine Ariane 5 ME gebaut, wie es Deutschland will, oder entscheidet man sich für den französischen Vorschlag einer Ariane 6? Die Lösung: beide Raketen werden gebaut.

Stuttgart - Für die wartenden Journalisten haben sich die Pressesprecher eine hübsche Formulierung ausgedacht: „Die Taschenrechner glühen.“ Das soll signalisieren, dass hart verhandelt werde – aber mit dem Ziel, unbedingt zu einer Lösung zu gelangen. Und es passt gar nicht so schlecht zum Charakter der Ministertagungen der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa): Dort stellen Wissenschaftler und Firmenchefs ihre Ideen und Machbarkeitsstudien vor, und dann werfen die Forschungsminister Geld in den Hut.

 

Die Vertreter der 20 Esa-Mitgliedstaaten zeichnen die einzelnen Projekte und achten darauf, dass ihre heimische Industrie angemessen an der Entwicklung und Herstellung der Raketen und Satelliten beteiligt wird. Laufend muss geprüft werden, ob genug Geld für jedes Projekt zusammenkommt. Nicht selten springt ein Land bei einem Projekt ein, von dem es selbst nicht so sehr profitiert, wenn ihm ein anderer Staat an anderer Stelle aushilft. Für eine Überraschung sorgte etwa der britische Finanzminister, der 20 Millionen Euro für die Internationale Raumstation ISS zusagte.

Auf der zweitägigen Konferenz der Esa-Staaten in Neapel sind gestern insgesamt 10,1 Milliarden Euro für die kommenden Jahre gesammelt worden. 2,6 Milliarden kommen aus Deutschland. Der Esa-Generaldirektor Jean-Jacques Dordain zeigte sich zufrieden: „Natürlich habe ich mehr beantragt, aber damit werden wir zurechtkommen.“ Doch dieses Mal lief die Sitzung anders als sonst. Dordain spricht von einer „sehr schwierigen“ Tagung, viel Stress und einer langen Nachtsitzung. Der schwierigste Punkt war ein Streit zwischen Deutschland und Frankreich über die Weiterentwicklung der Schwerlastrakete Ariane.

„Typisch europäisch“, sagen Beobachter

Die derzeitige Ariane 5 soll mehr Last ins All transportieren können, außerdem hätte man sie gerne flexibler und billiger. Deutschland hatte vorgeschlagen, die Ariane 5 mit einem neuen Triebwerk auszustatten. In dieser Variante, die Ariane 5 ME genannt wird (die Abkürzung „ME“ steht für: Midlife Evolution), könnte die neue Rakete schon 2017 oder 2018 zur Verfügung stehen. Frankreich setzte sich hingegen für eine ganz neue Ariane 6 ein. Dieser Konflikt ließ sich trotz zahlreicher Gespräche vor der Tagung nicht ausräumen und wurde offenbar erst in der Nacht zu Mittwoch im kleinen Kreis gelöst: Es gibt grünes Licht für die Ariane 5 ME, aber die Vision einer Ariane 6 wird dennoch nicht aufgegeben. Sie soll in zwölf Jahren erstmals starten. Dordain sprach von einer „ausgewogenen Entscheidung“; einige Beobachter nannten sie hingegen „typisch europäisch“. Die Esa muss nun bis zu ihrer nächsten Ministertagung in zwei Jahren einen Vorschlag ausarbeiten, wie die Ariane 6 auf der Ariane 5 ME aufbauen könnte. Dordain deutete in Neapel bereits an, dass das neue Triebwerk, das im All aus- und später wieder eingeschaltet werden kann, dasselbe sein könnte.

Die Konkurrenz schläft jedoch nicht. Der Chef des US-Unternehmens Space-X, Elon Musk, hält seine Falcon-Rakete für die bessere Alternative. Anfang Oktober hat eine Falcon 9 die unbemannte Kapsel Dragon auf den Weg zur Internationalen Raumstation ISS gebracht. In einem Interview mit dem britischen Sender BBC sagte Musk vergangene Woche, dass die Ariane 5 dagegen keine Chance habe. Ein Start der Falcon 9 koste nur 60 Millionen US-Dollar, das sei günstiger als ein Ariane-Flug. Doch die Ariane-Starts werden derzeit mit rund 20 Millionen Euro pro Start subventioniert. „Wir versuchen, die Kosten zu senken“, sagte dazu vor der Esa-Tagung der Chef des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, Johann-Dietrich Wörner. Dass man ohne Zuschüsse auskomme, wollte er nicht in Aussicht stellen, denn man müsse letztlich wettbewerbsfähige Preise anbieten. Und der Wettbewerb sei vorwiegend in staatlicher Hand. Bei der Konkurrenz kenne man nur die Preise, nicht aber die tatsächlichen Kosten.

Dordain machte nach der Tagung in Neapel nur vage Hoffnung: Die Ariane 5 sei eine sehr zuverlässige Rakete. Seit dem letzten Absturz vor zehn Jahren hat sie 52 Mal gut funktioniert.

Europa will zusammen mit der Nasa zum Mond fliegen

Der mit 4,2 Milliarden Euro größte Brocken ist der Bereich, der bei der Esa „auf der Jagd nach Wissen“ genannt wird. Damit sind die wissenschaftlichen Missionen gemeint. Doch nach der Logik der Raumfahrtagentur gehen 450 Millionen Euro davon in die Entwicklung eines Servicemoduls für ein gemeinsames Raumschiff mit der US-Raumfahrtbehörde Nasa. Die Nasa entwickelt derzeit eine Kapsel namens Orion, in der vier Astronauten Platz haben werden. Der unbemannte europäische Frachter ATV (Automatisches Transfer-Vehikel), der bereits dreimal zur ISS geflogen ist, soll so verändert werden, dass er als Servicemodul unter die Kapsel geschraubt werden kann. „Die erste Mission wird zum Mond gehen“, sagte Dordain stolz, „und wir werden dabei sein.“

Dass ein Modul, das nur Stauraum und Steuerung bietet, unter dem Titel „Wissenschaft“ verbucht wird, liegt an der Finanzierung der Raumstation ISS. Teil der ISS ist bereits seit fast fünf Jahren das europäische Raumlabor Columbus. Dieses Labor will die Esa über den bisher vereinbarten Zeitraum hinaus nutzen und auch eigene Astronauten dorthin bringen. Um die Kosten für die Jahre 2018 bis 2020 aufzubringen, hat sie der Nasa ihr modifiziertes Raumschiff ATV angeboten. Das ist in der Raumfahrt die übliche Variante: Statt Geld zu überweisen, lässt man die heimische Industrie ein Produkt entwickeln, das man als geldwerten Beitrag zur Verfügung stellt.

Über die wissenschaftlichen Missionen wurde hingegen nur wenig gesprochen. Nachdem die Nasa eine gemeinsame Marssonde abgesagt hatte, kooperiert die Esa nun mit Russland. 2016 soll ein Marssatellit starten und zwei Jahre später ein Landeroboter folgen. Über die von der Firma EADS Astrium geplante Mondsonde Moon Lander wurde in Neapel gar nicht entschieden. Der Esa-Experte Michael Khan vermutet in seinem Blog, dass es nun an Deutschland liege, ob es das Projekt weiterfinanziere – und es bei der nächsten Esa-Tagung in zwei Jahren zur Diskussion stelle. Benötigt werden 500 Millionen.