Auf einer Konferenz in Stuttgart blickt die europäische Raumfahrtorganisation ESA in die Zukunft. Vor allem für den Ertrabanten haben die Experten ehrgeizige Pläne. 2050 könnten sogar die ersten Menschen auf dem Mond geboren werden.

Stuttgart - Der Mond bleibt auch fast 50 Jahre, nachdem ihn Neil Armstrong als Erster betreten hat, ein Sehnsuchtsziel der Menschheit. Rational ist das womöglich nicht, denn immer mal wieder weist der ein oder andere Forscher darauf hin, dass es dort nicht wahnsinnig viel Neues zu entdecken gibt. Dass man trotzdem daran festhalten will, daran haben Verantwortliche der Europäischen Weltraumorganisation ESA und Wissenschaftler am Dienstag keinen Zweifel gelassen. Sie haben sich zur „Raumfahrtkonferenz 2017“ in Stuttgart getroffen, um über die nächsten Ziele zu sprechen.

 

Nicht ganz ohne Selbstironie präsentiert der ehemalige Astronaut und heutige „Koordinator Internationale Agenturen“ der ESA, Thomas Reiter, zu Beginn eine Titelseite der „Bild“-Zeitung aus dem Jahr 2007. „Hurra, wir fliegen zum Mond“ steht da. Ausgeplaudert wurden damals offenbar erste deutsche Pläne, dem Mond erneut einen Besuch abzustatten. Doch dann hat es irgendwie gedauert, wieso genau, das konkretisiert Reiter lieber nicht im Detail.

Bis heute sei „die Exploration des Weltalls ein wichtiger Aspekt der Völkerverständigung“, weshalb der Mond im Blickfeld bleibe, betont Reiter. Schließlich sehe man das schon an der ISS, die von 15 Nationen gemeinsam betrieben wird und in der mehr als 90 Länder Forschung betreiben. Doch der Betrieb der ISS soll 2024 eingestellt worden – und es soll ja um künftige Ziele gehen. So kommt Reiter schnell wieder auf den Mond zu sprechen: „Was ist das für eine Vorstellung, mit eigenen Füßen auf einem anderen Himmelskörper zu stehen!“ Erste Schritte in diese Richtung gibt es bereits, so wolle sich die Esa an einem so genannten Deepspace Gateway beteiligen, einer Raumstation im Mondorbit, die als Basis für die Erkundung des tieferen Alls genutzt werden soll.

Geburten auf dem Mond

Nicht zu vergessen das Moon Village, von dem Astronauten und ESA-Verantwortliche neuerdings bei jeder sich bietenden Gelegenheit sprechen: eine menschliche Siedlung auf dem Mond. Erst im September war auf dem European Planetary Congress in Riga von bis zu 400 Mond-Bewohnern im Jahr 2040 die Rede: ESA-Chefwissenschaftler Bernard Foing meinte, bereits 2030 könnten die ersten Bewohner einziehen, 2050 die ersten Menschen dort oben geboren werden. „Das Lunar Village hat international großes Interesse gefunden“, sagt Reiter: Diese Geschichte scheint der Öffentlichkeit zu gefallen, und Reiter gibt sich optimistisch: „Ich bin überzeugt, dass im kommenden Jahrzehnt erneut Menschen auf dem Mond landen.“

Den Mars werden die Menschen aus seiner Sicht erst in rund zwei Jahrzehnten erreichen, „der ist ein bisschen schwieriger.“ Von insgesamt 44 Missionen seien nur 17 erfolgreich gewesen. „An der Landung müssen wir noch ein bisschen arbeiten“, sagt er. Zuletzt hatte die Marsmission ExoMars einen Rückschlag erlitten, als der Lander am 19. Oktober 2016 auf der Oberfläche zerschellte. Man habe die Fehler sehr genau analysiert, schließt Reiter: „Ich bin mir sicher, dass der Lander 2020 sanft landet.“

Doch Sieger der Herzen bleibt der Mond, das merkt man auch an Reiters Rede, der gesteht, er bekomme „heute noch Gänsehaut“, wenn er daran denke, wie Armstrong als erster Mensch den Mond betreten hat. Und so geht es wohl vielen Zuhörern, als Charles Duke die Bühne betritt: der US-Amerikaner war Teil der Besatzung von Appollo 16 und hatte sich 1972 mit zwei Kollegen drei Tage auf dem Mond aufgehalten, davon 20 Stunden außerhalb des Raumschiffs.

2000 Mondlandungen im Simulator

Mit viel Humor berichtet der 82-jährige Raumfahrt-Veteran, wie er 2000-mal im Simulator auf dem Mond gelandet und davon 1000-mal auf der Oberfläche zerschellt ist. „In der Realität hat es dann geklappt“, sagt er nüchtern und zeigt Fotos von einem Mond-Lander, der aussieht wie eine selbst gebastelte Hütte von Viertklässlern, die Mamas Alufolienlager geplündert haben. Auch das Mobil, mit dem die damaligen Raumfahrer die Mondhügel erklommen haben, wirkt reichlich antik – doch alles funktionierte. „Wir hatten wirklich eine gute Zeit auf dem Mond“, sagt er grinsend, als er Bilder und Filmausschnitte zeigt, auf denen die Raumfahrer taumeln, hüpfen und ihren Spaß mit der geringen Schwerkraft haben. Einmal habe er den Mondstaub auf einem Kameraobjektiv wegpusten wollen – Duke zeigt einen Filmausschnitt, der ihn im Raumanzug mit riesigem, luftdicht abgeschlossenen Helm zeigt und lacht. „Glaubt mir, da habe ich mich wie ein Idiot gefühlt.“

Duke verhehlt nicht seine Sympathie für Unternehmer wie Elon Musk, den Gründer der Raumfahrtfirma Space X. „Wir sind damals am gleichen Ort gestartet wie heute Space X“ – und andere Start-ups aus der privaten Raumfahrtszene. Duke lässt auch durchscheinen, dass die Schwerfälligkeit der großen Raumfahrtagenturen mancher Ziele verzögert. „Die NASA sollte sich von diesem flexiblen Modus etwas abschauen.“ Da passt es, dass ESA-Generalsekretär Wörner in einer ansonsten schwer verständlichen Botschaft via Skype klarmacht, dass man „offen für alles“ sei. Er verkündet „Space 4.0“, eine Zukunft, bei der es weder fertige Zeitpläne noch eindeutig definierte Kooperationen gibt. Auch die ESA will offenbar ein bisschen Start-up spielen. Doch dann prangen auch auf seinen Folien neben dem unbekannteren Ziel des Trappist-1-System – „Das ist nur 39 Lichtjahre entfernt!“ – der Mond und der Mars.

Skeptischer Blick auf Mars-Pläne

Die italienische Astronautin Samantha Christoforetti versucht, die hochfliegenden Pläne wieder ein wenig auf den Boden zu holen. „Ich kann es nicht leiden, wenn Menschen auf großen Events auf die Bühne gehen und sagen: Wir werden Menschen auf den Mars schicken.“ Noch sei völlig offen, wie das funktionieren könne. Wie schwierig es ist, auf dem Mars zu landen, habe sich erst jüngst gezeigt, sagt sie mit Blick auf die misslungene Landung des Mard-Landers Schapiarelli – doch da wird sie schon von Moderator Reinhold Ewald unterbrochen, der sie verbessert: „Fast gelungene Marslandung.“ Dieses Scheitern gesteht man sich bei der ESA noch immer nicht gerne ein.

Sprungbrett in die Tiefen des Alls

Mondstation Russland und die USA wollen als treibende Kräfte gemeinsam eine Raumstation in einer Mondumlaufbahn aufbauen. Laut der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos können die ersten Teile für die Raumstation zwischen 2024 und 2026 ins All gebracht werden.

Sprungbrett Eine internationale Mondstation könnte für Raumfähren verschiedener Länder als Sprungbrett ins tiefere All genutzt werden. Dieses sogenannte Gateway soll auf internationalen Standards basieren, die noch entwickelt werden müssen, damit möglichst viele verschiedene Raumfähren dort andocken können.

Europa Auch Europa wolle sich an der Mondstation beteiligen, verkündete Thomas Reiter auf der Stuttgarter Konferenz. So sei ein Service-Modul für die Orion-Kapsel in Planung. Der erste bemannte Flug eines Orion-Raumschiffs ist für 2023 geplant. Angesichts der Erfahrungen mit dem europäischen Raumstransporter ATV, der Nachschub zur ISS gebracht hatte, sei Europa gut aufgestellt, so Reiter.