Studenten unter anderem der Uni Stuttgart bauen Minisatelliten zu Lehr- und Forschungszwecken. Die Winzlinge könnten in Zukunft im Schwarm auch ihre großen Brüder ersetzen. Sie könnten die Raumfahrt revolutionieren – und das Problem des Weltraumschrotts verschärfen.

Satelliten sind groß, schwer und teuer – seit Jahrzehnten war das ein Mantra in der Raumfahrt. Doch das ändert sich nun. Kleine Satelliten erleben einen Boom, der die Raumfahrt grundlegend umkrempelt. Es ist die neue Philosophie, Satelliten zu schrumpfen, um sie schneller und günstiger bauen zu können. „Wir wollten, dass ein Student innerhalb eines Jahres alles lernen kann, was ein Satellitenprojekt ausmacht“, erinnert sich Robert Twiggs von der Morehead State University in Kentucky. Der Ingenieur ist Vater des CubeSat, der wohl erfolgreichsten Bauform von Kleinsatelliten. Die Winzlinge fliegen meist als Begleiter auf Raketen mit, was die Startkosten senkt: Neben einem tonnenschweren Satelliten ist meist etwas Platz.

 

Die Zahl der bereits gestarteten CubeSats ist immens: Seit dem Jahr 2003 gelangten über 400 von ihnen in den Orbit, 108 davon allein im Jahr 2015. Sie flogen huckepack auf großen Raketen mit oder Astronauten setzten sie von der Internationalen Raumstation (ISS) aus. Der Erfolg der Kleinsatelliten hängt eng mit ihrem Preis zusammen, der laut Raumfahrtexperten bei rund 250 000 Euro anfängt. Noch ist das zwar nicht Raumfahrt für jedermann, aber vor allem für Hochschulen sind Satelliten dadurch erschwinglich geworden.

Vor über zehn Jahren begannen auch Studenten der Universität Stuttgart, einen eigenen Kleinsatelliten zu planen. Dieser sogenannte „Flying Laptop“ sollte zuerst nur einen neuartigen Bordrechner für die Raumfahrt erproben. Über die Jahre kamen immer neue Instrumente hinzu, darunter Kameras und ein neuartiger GPS-Empfänger. Mit dabei ist auch ein Sensor, der die Bewegung von Schiffen überwachen soll, gebaut vom Bremer Institut für Raumfahrtsysteme des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt. Nur gestartet ist der Flying Laptop bis heute nicht, vermutlich dürfte es aber 2016 so weit sein.

Stuttgarter Studenten bauten eigenen Kleinsatelliten

Für die Leiterin des Projektes Sabine Klinkner ist das Programm dennoch ein Erfolg, immerhin sollten vor allem die Studenten etwas lernen. Und das taten sie: Sie bauten auf dem Vaihinger Campus einen Reinraum sowie eine Empfangsanlage auf, die später mit dem Satelliten Kontakt aufnehmen soll. Mit einer Thermalvakuumpumpe können die Ingenieure nun testen, wie die Bedingungen des Weltraums auf die empfindlichen Teile des „Flying Laptop“ wirkt. Bis heute haben gut zehn Studenten an dem 120-Kilogramm-Satelliten ihre Doktorarbeiten abgeschlossen. Und deren Zahl könnte sich nach dem Start noch verdoppeln, schätzt Sabine Klinkner.

Vor allem die viel kleineren CubeSats kämpfen aber noch mit Kinderkrankheiten. Deren Lage im All exakt zu kontrollieren war lange Zeit schwierig. Dafür verwenden große Satelliten sogenannte Reaktionsräder: mindestens drei gekoppelte Schwungräder, die den Satelliten in alle drei Raumrichtungen drehen können. Und die waren oft genauso schwer wie ein ganzer CubeSat. Exakte Fotos oder Messungen von ausgewählten Regionen der Erde waren dadurch unmöglich. Vor wenigen Jahren schrumpften Reaktionsräder aber auf die Größe einer Münze – und seitdem können kleine Kameras oder leichte Radargeräte auf bestimmte Stellen der Erde ausgerichtet werden.

Dazu könnte bald auch das letzte große Manko der kleinen Würfel behoben werden: Den CubeSats fehlte bislang der Antrieb. „Es gibt einige Ideen, um das zu ändern“, sagt Winfried Halle vom Berliner Institut für Optische Sensorsysteme des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dazu gehören winzige Ionentriebwerke genauso wie Segel, die sich an der dünnen Erdatmosphäre oder der Sonnenstrahlung ausrichten lassen. Gelänge es in wenigen Jahren, CubeSats zuverlässig anzutreiben, ließe sich ein lang gehegter Traum verwirklichen: ein Flug im Schwarm. Wo der Einzelne über zu wenig Energie verfügt und kaum Daten übertragen kann, könnte sich eine Flotte CubeSats solche Aufgaben teilen. Eine US-Gruppe plant bereits, mit Formationen aus 150 CubeSats Fotos vom Erdboden zu liefern. Die US-Firma OneWeb will gar 600 Kleinsatelliten starten. Deren Ziel ist es, überall auf der Welt einen schnellen und günstigen Internetzugang bereitzustellen.

40 Prozent der CubeSats erreichten nie ihr Missionsziel

Ob sie jemals die großen Arbeitspferde im Orbit ersetzen können, ist ungewiss: von Navigations-, über Erdbeobachtungs- bis zu Nachrichtensatelliten. „Diese Systeme müssen ja einigermaßen ausfallsicher sein“, sagt Winfried Halle. Dafür zahlt es sich aus, dass große Satelliten über Jahre penibel geplant und getestet werden. Bei den CubeSats hapert es da dagegen noch gewaltig: Eine Untersuchung der ersten hundert gestarteten Winzlinge bescheinigte denen deutliche Mängel: Rund 40 Prozent der 300 bis heute ins All geflogenen CubeSats erreichten nie ihr Missionsziel.

Für Piero Galeone vom Bildungsbüro der Europäischen Raumfahrtagentur ist die schwache Bilanz vor allem dem universitären Charakter geschuldet: „Zu viele studentische Teams verlassen sich einfach auf ihr Glück.“ Viele bauten die Komponenten zusammen, ohne sie vor dem Start ausgiebig zu testen. Das von Galeone geleitete ESA-Programm „Fly your satellite“ erlaubt deshalb jedes Jahr mehreren studentischen Gruppen, ihre Kleinsatelliten professionell zu testen. „Durch diese erste Prüfung schafft es schon die Hälfte der getesteten Kleinsatelliten gar nicht“, sagt Galeone.

Trotzdem bleibt das Wachstum der CubeSats im Erdorbit ungebrochen – und das birgt Risiken. Denn gemeinsam mit den kommenden CubeSat-Schwärmen könnte sich das Problem des Weltraumschrotts weiter verschärfen: Schon heute besteht die Gefahr, dass funktionierende Satelliten und bemannte Raumschiffe durch Trümmerteile im Orbit getroffen werden. Eine Studie sagt etwa voraus, dass in den nächsten fünf Jahren über 2000 neue Kleinsatelliten um die Erde kreisen dürften.

CubeSats sind schwer abzubilden

Zwar verfolgen Radarstationen in den USA und Europa ständig alle im Orbit herumfliegenden Teile, damit Satelliten und Raumstationen ausweichen können. Aber ausgerechnet die zahlreichen CubeSats sind von der Erde aus schwer abzubilden. Die von der ISS nacheinander ausgesetzten CubeSats etwa fliegen zunächst als eine Wolke um die Erde, bevor sie langsam voneinander wegdriften. „Es gibt eine Zeitspanne nach dem Aussetzen der CubeSats, in der wir die Betreiber anderer Raumfahrzeuge nicht vor ihnen warnen können“, sagt Lauri Newman, Verantwortlicher für Weltraumschrott am Nasa Goddard Spaceflight Center in einem Interview.

Den Nutzen vieler kleiner Satelliten zweifelt dagegen kaum noch ein Raumfahrtexperte an, so lange sie nur gut steuerbar sind und nach ihrem Ende sicher in der Atmosphäre verglühen. Schon bald sollen sie sogar außerhalb der Erdbahn eingesetzt werden: Im März 2016 plant die NASA, mit ihrer Raumsonde InSight auch zwei CubeSats zum Mars zu starten. Sie sollen während der riskanten Landung von InSight eine lückenlose Datenübertragung sicherstellen.