Im Zuge einer Razzia am frühen Dienstagmorgen durchkämmen rund 250 Polizeibeamte das Flüchtlingsunterkunft in der Hohenheimer Straße in Backnang. Die Staatsanwaltschaft wirft drei Männern Drogenhandel vor.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Backnang - Es ist stockfinster in Backnang. Die Stadt im Rems-Murr-Kreis schläft noch an diesem Dienstagmorgen gegen 4.30 Uhr. Auch die etwa 100 jungen Männer, die Polizeibeamte in Kürze bei einer großen Razzia unter die Lupe nehmen werden, schlafen vermutlich noch seelenruhig in ihren Betten in dem Asylbewerberwohnheim in der Hohenheimer Straße gleich neben dem Waldorfkindergarten und der Waldorfschule.

 

Auf dem Parkplatz des benachbarten Berufsschulzentrums wird währenddessen ein Polizeikleinbus nach dem anderen abgestellt. Uniformierte, die aus der gesamten Region zusammengezogen wurden, steigen aus ihren Fahrzeugen. Ein paar Schritte weiter versammeln sich die Führungskräfte jener Polizisten, die an diesem Morgen um Punkt 6 Uhr damit beginnen werden, 23 Zimmer in dem Wohnheim zu durchsuchen und die Bewohner zu überprüfen. Jürgen Hamm, der Chef des Backnanger Polizeireviers, leitet den Einsatz.

Gegen 5.15 Uhr erklärt er, dass fünf Haftbefehle vorlägen. Den gesuchten Männern im Alter von 20 bis 34 Jahren, alle fünf stammten aus Gambia, werfe die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gewerbsmäßigen Drogenhandel vor. Erst vor wenigen Tagen hat ein Großaufgebot von Polizisten in Mannheim die Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge durchkämmt. Dabei wurden zwölf mutmaßliche Drogendealer aus Gambia verhaftet. Allerdings bestehe kein Zusammenhang zwischen den beiden Polizeiaktionen, sagt der Pressesprecher der Polizei, Klaus Hinderer, zumindest noch nicht. In Backnang habe man nur auf Hinweise von Anwohnern des Heims und der nahen Schule reagiert. Die Kollegen hätten lange ermittelt, sagt Hinderer, die Hinweise hätten sich bestätigt. Fest stehe: „Auf dem Schulhof wird gedealt“. Im Zuge der geplanten Festnahmen sollen auch alle anderen alleinstehenden Männer in dem Heim routinemäßig überprüft werden.

Antikonfliktteam kommt nicht zum Einsatz

Anwohner haben sich beschwert

Die ersten Beamten ziehen los und postieren sich rund um den Gebäudekomplex, in dem zurzeit 208 Asylbewerber untergebracht sind. Hamm spricht von einer „stabilen Lage“, die es herzustellen gelte. Das ist Polizeijargon und heißt, dass die Beamten so postiert sein müssen, dass sie jeden Flüchtenden aufhalten könnten, und sich die Bewohner während der Razzia im Heim nicht frei bewegen können. Die Familien im Wohnheim – sie stammen hauptsächlich aus dem Irak und aus Syrien – würden während des Einsatzes nicht behelligt. Es könnte aber passieren, dass traumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge beim Anblick der vielen bewaffneten Polizisten trotzdem Angst bekommen. Für diesen Fall der Fälle ist ein Antikonfliktteam der Polizei vor Ort. Es wird nicht zum Einsatz kommen.

Punkt 6 Uhr greifen die Beamten zu. Die vier Gebäude sind längst umstellt, mehrere Dutzend Polizisten haben sämtliche Fenster und Türen im Blick. Bereits nach wenigen Minuten werden die ersten beiden Gesuchten in Handschellen über den Hof abgeführt und in mobilen Büros vernommen. Die Polizisten in diesen speziell ausgestatteten Bussen können blitzschnell via Internet prüfen, ob Ausweise und andere Papiere echt oder gefälscht sind, sie können Fingerabdrücke vergleichen und feststellen, wer wo gemeldet ist.

100 Gramm Cannabis gefunden

6.15 Uhr. Ein Kind wird von einem Erwachsenen aus einem der Wohnhäuser getragen. Der Einsatzleiter Hamm erkundigt sich sofort über Funk: „Was ist da los?“ Postwendend erfolgt die Entwarnung. Hamm sagt: „Null Problem.“ Offenbar ein Vater, der seinen Sohn aus dem Trubel bringen will. Ein Zimmer nach dem anderen wird auf den Kopf gestellt, vier Drogenspürhunde sind im Einsatz. Im Laufe des Vormittags werden in einigen Zimmern und im Außenbereich insgesamt etwa 100 Gramm Cannabis gefunden. Es sei aber kaum möglich festzustellen, wer das Rauschgift deponiert habe, erklärt Hinderer. Ferner werden 1300 Euro Bargeld sichergestellt. Gegen 6.20 Uhr heißt es: auch der vierte Gesuchte sei gefunden. Später entdecken die Beamten auch noch einen Mann aus Syrien, der bis dato nirgends in Deutschland gemeldet ist.

Klaus Hinderer spricht von einer „relaxten Stimmung“. Es bleibt in der Tat sehr ruhig an diesem Morgen. Keine Schreie, kein Motzen, kaum Ärger. Es bleibt so leise, dass immer das Zwitschern der Vögel in der Morgendämmerung zu hören ist.

Eine Schranktüre wird mit einem Brecheisen geöffnet

Im Zimmer 51 fläzen die drei Bewohner auf ihren Stockbetten. Zwei Polizistinnen öffnen sämtliche Koffer, Schränke und Schubladen, erkundigen sich: wem gehört was? Auf dem Boden liegen Fotoapparate, ein Tablet-Computer, Elektrokabel. Im nächsten Zimmer fast die selbe Szene. Allerdings wird dort eine Schranktür mit einem Brecheisen geöffnet. Die Beamten finden einen sogenannten Bunker, dieser Behälter, der offenbar als Depot für Rauschgift dient, ist aber leer.

Gegen 7.15 Uhr heißt es, 35 der 100 „Zielpersonen“ seien „abgearbeitet“. Um 9.20 Uhr wird der Einsatz beendet. Die Zahl der Festnahmen muss korrigiert werden: Lediglich drei der fünf gesuchten Gambier seien in Gewahrsam. Der vierte, sagt Hinderer, habe „nur die Personalien von einem der Gesuchten verwendet“. Die Polizei sei mit dem Einsatz zufrieden. „Wir wären noch zufriedener, wenn wir keine Drogen gefunden hätten“. Wenig später wird ein weiterer Gambier, ein 29-Jähriger, der in Backnang gewohnt hat und kürzlich umgezogen ist, in Schwaikheim festgenommen. Bei ihm finden die Beamten 300 Gramm Marihuana.

Noch am Dienstagmorgen werden in Backnang weitere Wohncontainer angeliefert und im Hof des Flüchtlingsheims aufgestellt. In diesen provisorischen Wohnungen sollen bald weitere 27 Asylbewerber unterkommen.