Die USA sollen Telefongespräche von Ministern und hohen Beamten mitgeschnitten haben. In Berlin fällt die Bewertung der neuen Enthüllungen höchst unterschiedlich aus.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Für Hans-Peter Friedrich (CSU), den ehemaligen Innenminister, ist die Sache mit der flächendeckenden US-Spionage auf Regierungsebene einfach: „Nachrichtendienste sind so, wie sie sind“, sagt er im Deutschlandfunk. „Wenn Politiker wichtige Dinge zu besprechen haben, dann nicht an der offenen Leitung.“ Die Botschaft lautet: Alles halb so wild.

 

Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), den der Verdacht auf Wirtschaftsspionage eigentlich alarmieren müsste, wiegelt eher ab: „Man bekommt ein ironisches Verhältnis dazu“, sagt er. „Wir machen nichts in Ministerien per Telefon, was man abhören müsste.“ Der amtierende Innenminister Thomas de Maizière (CDU), zuständig für die Spionageabwehr, versichert: Seine Sicherheitsbehörden hätten jetzt auch westliche Geheimdienste im Visier.

Gabriels Genosse Christian Flisek, SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, will die Sache aber nicht so einfach auf sich beruhen lassen. Angesichts der neuen Dokumente sei es „dringend vonnöten, dass die Bundeskanzlerin sich mal aus der Deckung begibt“, sagt er. Aufgrund der Wikileaks-Enthüllungen sei ein Protest bei der US-Regierung unumgänglich. „Das gehört auf den Tisch“, fordert Flisek, „da gibt’s kein Wegducken mehr.“

Die von Wikileaks veröffentlichten Dokumente schadetem dem Ansehen der Bundesregierung, aber auch dem des parlamentarischen Untersuchungsausschuss, sagt Konstantin von Notz, der diesem Gremium für die Grünen angehört. Die Affäre sei „maximal peinlich“. Er erinnert an den Versuch der Merkel-Regierung, den Spionageverdacht noch vor der letzten Wahl für unbegründet zu erklären. Merkels damaliger Chef im Kanzleramt, Ronald Pofalla, habe damit „die Leute hinters Licht geführt“, sagt der Grünen-Abgeordnete.

Kritik am Generalbundesanwalt

Von Notz fordert nun Ermittlungen des Generalbundesanwalts. Der Grünen-Obmann betont: „Dass man bei solchen Vorgängen die Hände in den Schoß legt, ist inakzeptabel.“ Aus Karlsruhe hieß es jedoch am Donnerstag, es würde im Moment kein neues Ermittlungsverfahren eingeleitet. Bereits im Oktober 2013 war bekannt geworden, dass der US-Geheimdienst jahrelang das Handy von Kanzlerin Angela Merkel ausspioniert haben soll. Der Generalbundesanwalt hatte dazu zwar Ermittlungen eingeleitet, diese jedoch Mitte Juni aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Der Kanzleramtschef spricht mit dem US-Botschafter

Für Martina Renner von der Linksfraktion ist mit den Wikileaks-Enthüllungen der Beweis erbracht, dass der US-Geheimdienst in Deutschland Wirtschaftsspionage betrieben habe. Sie zieht weit reichende Schlüsse aus den Veröffentlichungen. Nun müsse die Regierung „alle Unterlagen auf den Tisch“ legen.

Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) traf sich am Donnerstagnachmittag mit US-Botschafter John Emerson. „Altmaier hat den US-Botschafter zu einem Gespräch gebeten“, hieß es am Donnerstag in deutschen Regierungskreisen. Über den Inhalt der Unterredung wurde zunächst nichts bekannt.