Die Wirtschaft im Südwesten reagiert zurückhaltend auf die Beschlüsse zum Atomausstieg. Die Unternehmen wollen wettbewerbsfähig bleiben.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Spätestens 2022 soll in Deutschland das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen. Die Industrie im Land betrachtet die Ausstiegspläne der Bundesregierung mit Skepsis. "Ich habe den Eindruck, dass das Ganze sehr hastig und schnell zusammengeschustert wurde" sagte der Präsident des Landesverbandes der Baden-Württembergischen Industrie (LVI), Hans-Eberhard Koch, im Gespräch mit unserer Zeitung. Dass Konzept lasse viele wichtige Punkte offen. So sei noch unklar, wie der für den beschleunigten Ausbau regenerativer Energien nötige massive Netzausbau sichergestellt werden könne.

 

Ungeachtet der Katastrophe von Fukushima "die uns alle sprachlos gemacht hat", hätte sich der LVI-Präsident eine stärkere Berücksichtigung der ökonomischen Risiken des Atomausstiegs" gewünscht, von denen Baden-Württemberg besonders stark betroffen sei. Denn im Südwesten entfielen rund zwei Drittel des Stromverbrauchs auf die Industrie. Im bundesdeutschen Durchschnitt liege dieser Anteil bei weniger als der Hälfte des Gesamtverbrauchs.

LVI erwartet schnelleren Anstieg der Strompreise

Koch macht keinen Hehl daraus, dass er die bisherige energiepolitische Linie der Bundesregierung - also die erst vor sieben Monaten beschlossene Laufzeitverlängerung - nicht nur für besser, sondern auch für verantwortbar gehalten hat. Er will aber auch die Kehrtwende der schwarz-gelben Koalition nicht in Bausch und Bogen verdammen: "Ich bin ein Realist, und die Mehrheit der Bevölkerung ist nun mal der Ansicht, dass es besser ist, schneller aus der Atomkraft auszusteigen." Koch räumt zugleich ein, dass etwa ein schnellerer Ausbau regenerativer Energien auch Chancen für die entsprechenden Branchen bietet. Auf der anderen Seite erwartet der LVI einen schnelleren Anstieg der Strompreise. Bei energieintensiven Betrieben wie in der Papier- oder Zementherstellung, in der bis zu 60 Prozent der Produktionskosten auf Energie entfallen, könnte dadurch die Schmerzgrenze überschritten werden.

Auch die IHK Region Stuttgart äußert sich skeptisch zum Atomausstieg bis 2022. "Den Unternehmen ist es letztlich egal, wie der Strom erzeugt wird, aber jeder weiß, dass die Pläne der Regierung Strom teurer machen", sagt der IHK Hauptgeschäftsführer Andreas Richter. Wenn der Strompreis in anderen Ländern langsamer steige als hierzulande, würden sich Unternehmen die Frage stellen: "Soll ich hier noch investieren?" Für noch wichtiger als die Preisentwicklung hält Richter die Versorgungssicherheit. In Hightech-Produktionsanlagen könnten selbst kurze Stromausfälle Kosten in Millionenhöhe verursachen. Ob es zur Sicherung der Versorgung etwa sinnvoll wäre, wie von der Regierung beabsichtigt, ein Atomkraftwerk als "kalte Reserve" vorzuhalten, müssten Fachleute entscheiden, meint Richter. Das jetzt vereinbarte feste Ausstiegsdatum hält der IHK-Hauptgeschäftsführer jedenfalls für problematisch: "Eine flexible Lösung wäre besser." Dann könne man besser reagieren, wenn der Netzausbau langsamer vorankomme als erwartet - was Richter für wahrscheinlich hält.

Manager äußern sich kritisch über Atomausstieg

Auch Daimler-Chef Dieter Zetsche zeigte sich wenig begeistert von den Regierungsbeschlüssen. Die Bundesregierung habe nach der Katastrophe in Japan innerhalb weniger Tage und sehr emotional entschieden, kritisierte Zetsche in der "Bild"-Zeitung. Von einer guten Regierung wünsche er sich aber, dass sie eine so wichtige Frage sehr genau prüfe.

Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dürfe nicht unter dem Atomausstieg leiden, heißt es bei Bosch. "Die Energiewende muss auch unsere Zukunftsfähigkeit weiter stärken. Denn wie weit wir auch immer in die Zukunft blicken, die Schonung von Umwelt und Ressourcen setzt nicht weniger, sondern mehr nachhaltig orientierte Technik zum Gewinnen, aber auch zum Sparen von Energie voraus", heißt es in einer Stellungnahme des Bosch-Chefs Franz Fehrenbach. Nach der Katastrophe von Fukushima hatte sich der Manager kritisch über die Atomkraft geäußert.