Auf Schornsteinfeger ist Robert Zehnder nicht gut zu sprechen. Seit Jahren wehrt er sich gegen Besucher der Dachgesellschaft.

Tennenbronn - Ein schneidend kalter Wind faucht über die Dächer von Tennenbronn. An den Rand des Kapfwalds schmiegen sich gepflegte Häuser, der bauspargestützte Stolz braver Bürger, die sich nicht auflehnen gegen Traufhöhen und auch sonst ein Muster sind im Musterland.Einer unter ihnen fällt ein bisschen aus der Rolle. Robert Zehnder heißt der Mann mit dem spatenförmigen Gesicht. Ein sportlicher Typ, mehr Lahm als Ribery, einer, der seinen Job eher im Stillen erledigt. Verwurzelt ist er in Tennenbronn, und nirgendwo sonst denkbar als in jenem properen Luftkurort, wo es dem Zehnder Robert in letzter Zeit trotz allem manchmal heftig stinkt.

Schuld ist der schwarze Mann, welcher für den Hausherrn ein rotes Tuch ist, wobei sich sagen lässt, dass dieser Befund auch im umgekehrten Falle gilt. Rafael Kammerer, Bezirksschornsteinfegermeister und als solcher amtlich bestellter Wächter über die Feuerungsstätten von Tennenbronn macht lieber einen weiten Bogen um das Haus des Rebellen. Sein Kehrbezirk umfasst die ganze Straße. "Außer: Am Kapfwald 2."

Dieser Umstand bedarf einer längeren Erklärung, und wie immer bei solchen Fällen ist das, als würde man die Schalen einer Zwiebel abtragen, was gemeinhin für alle Beteiligten eine tränenreiche Angelegenheit ist. Den Anfang macht ein Traum. Robert Zehnder, Elektroniker von Beruf, hat mit seiner Frau Andrea lange auf ihn hingespart. 1993 erfüllt er sich: Sie bauen ihr eigenes Haus. Die Töchter Daniela und Manuela sollen hier behütet aufwachsen.

Robert Zehnder, Jahrgang 1955, stammt aus Tennenbronn. Ein eher verschlossener Mensch ist er, einer der vor sich hinwerkelt, ein Gruschtler und Bastler, der sich im Kleinteiligen verlieren kann. Der Schwarzwälder arbeitet in einem Ingenieurbüro, entwickelt Leiterplatten, zeichnet Schaltsysteme, schreibt Programme. In seiner Freizeit baut sich Zehnder kleine Webserver und GPS-Empfänger. Er mag es gerne perfekt. Das gilt auch für sein neues Eigenheim. Dort soll alles passen.

Wie wandert die Sonne?


Monate vor dem ersten Spatenstich macht sich Zehnder auf seinem Bauplatz Gedanken über die Wanderung der Sonne. Immer wieder geht der Bauherr über die Parzelle, um den Lichteinfall zu studieren, wegen der Dachneigung und der Solarzellen. Kombiniert werden sie mit einer Gasheizung - saubere Brennwerttechnik, die ihrer Zeit voraus ist. Im Fachjargon nennt sich das Ganze "bivalente Gasbrennwertanlage". Nebenbei mauert sich Zehnder noch einen zweiten Kamin für den Kachelofen.

Es wird ein hübsches Haus. Lange Zeit lebt die Familie glücklich und friedlich unter dem neuen Dach in ihrem Schwarzwälder Bullerbü, umgeben von saftig grünen Wiesen und manchmal auch von schwarzbunten Rindviechern. Als ein solches nimmt Zehnder anfangs den örtlichen Schornsteinfeger ausdrücklich nicht wahr, denn der Handwerker interessiert sich ausschließlich für den Ruß vom Kaminofen, der im Einvernehmen mit dem Hausherrn regelmäßig inspiziert wird. Nicht aber die Hightech-Heizung im Keller. "Da gibt's nichts zu kehren und nichts zu messen", erstickt der Hausherr selbst zarte Flämmchen des Widerstands. Sieben Jahre geht das so, und beide Seiten leben gut damit.

An einem Wintertag anno 2000 ist es plötzlich vorbei mit der Beschaulichkeit. Ein neuer Schornsteinfeger kündigt sich an. Herr Kammerer, Vorname Rafael, legt das Kehrmonopol, festgeschrieben seit der Reichsverordnung von 1935, auf seine Weise aus. Sauber und gründlich soll es hergehen in Tennenbronn. Der Kaminkehrer, ein verträglicher Mensch und guter Familienvater, ist eher dem Tätigen zugeneigt als dem Untätigen, weshalb er es mehr mit dem Messen als mit dem Vergessen hält. Eine Inspektion in Zehnders Keller wird angesetzt, was dem Besitzer gar nicht passt. Ihm sei beim Kauf seiner Anlage versichert worden, dass sie nicht überprüfungspflichtig sei, entgegnet er. Der pflichtbewusste Handwerker hält dagegen. Feuer frei.

Der Häuslebauer findet die Belege, die er sucht


Wie es seine Art ist, macht sich Robert Zehnder umgehend schlau. Er studiert die Kehr- und Überprüfungsverordnung und stellt dabei fest, dass es sich um eine von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich bewertete Materie handelt, grau wie der Qualm über einem Industrieschlot. In diversen Rechtsvorschriften findet der Häuslesbauer schließlich, was er finden will, nämlich Belege dafür, dass zukunftsträchtige Biwertanlagen wie seine von der Umweltschutzmessung befreit sind, also von des schwarzen Manns Fahndung nach dem, was am Ende oben rauskommt.

An dieser Erkenntnis lässt er den Bezirksschornsteinfeger teilhaben, welcher den Fall jedoch anders beurteilt und auf seine hoheitliche Aufgabe pocht. Kammerer verweist auf die Pflicht, einen Sicherheitscheck zu machen, die so genannte Abgaswegeüberprüfung, wobei ermittelt wird, ob im Keller irgendwo giftiges Kohlenmonoxid austritt. Bei dieser Gelegenheit will er auch gleich eine Umweltmessung machen und folglich beides in Rechnung stellen.

"Das krieg ich nicht in meinen Schädel rein", kontert Zehnder. Seine Anlage werde zum einen regelmäßig durch eine Heizungsfirma überprüft und schalte sich zum anderen selbst bei kleinsten Störungen elektronisch ab. "Unsinnige Doppelarbeit" wolle er nicht dulden, und schon gar keine Umweltmessung, weil die vom Gesetzgeber nicht vorgesehen sei. So kommt es im Streit um die Heizung, wie es kommen muss, nämlich zu beiderseitigen Hitzewallungen, verbunden mit einem juristischen Kehraus, in dessen Folge Zehnder erst vom Landratsamt mit Bußgeldern belegt und hernach vors Amtsgericht in Rottweil zitiert wird, wo man ihn einen "Kohlhaas" nennt und im übrigen empfiehlt, den Feuerball flach zu halten. "Auf dieser Schiene werden Sie nicht glücklich!"

Solche Ratschläge können recht schnell verglühen, wie man weiß, vor allem dann, wenn die Beteiligten aus dem Holz von Robert Zehnder geschnitzt sind. "Jetzt erst recht", denkt er sich, und so nimmt ein unschönes Ränkespiel zwischen Kohlhaas und Kaminfeger seinen Lauf, welches in einem Psychoterror gipfelt, der beiden Kombatanden zusetzt. Zehnder wirft Kammerer Betrug vor und zeigt ihn bei der Staatsanwaltschaft an. Die stellt den Fall wenig später ein, weil es sich um einen Betrag von 90 Cent handelt. In der nächsten Runde weist der Häuslesbauer dem Handwerker nach, dass er bei einigen Tennenbronnern zu Unrecht Gebühren für die Umweltmessung verlangt hat. Kammerer zahlt nicht nur das Geld zurück, sondern dem Umstürtzler auch dessen Streich heim. Eines Morgens rückt er in Begleitung gaballter Staatsmacht samt Schlüsseldienst zur Prüfung der Heizungsanlage an. Das Ergebnis: alles in bester Ordnung. Doch von wegen! Die Sache schlägt Wellen, die Lokalzeitung berichtet, und das Ordnungsamt schreibt an den Kaminkehrer: "Auf Grund der uns vorliegenden Informationen über den Hergang des Falls erscheint uns die Anforderung des Polizeivollzugsdienstes als der Situation nicht angemessen."

Der Gutmütige wird zum Revoluzzer


Wie Kenner wissen, ist die Weißglut besonders heiß, und so wird der Tennenbronner Robert Zehnder, den Freunde als vom Wesen her gutmütig beschreiben, nach diesem Tag vollends zum Revoluzzer. Seine Frau Andrea verlebt bald keinen Abend mehr, an dem ihr Gatte nicht irgendwann auf das leidige Thema zu sprechen kommt. Es ist, als würde die Sach' in ihm aufsteigen wie Rauch, und öffnet sich kein Weg nach draußen, droht heftiger Reizhusten.

"Immer nur Schornsteinfeger, Schornsteinfeger, Schornsteinfeger", fegt die Frau ihren Mann an. Er aber kann nicht anders und so landet der Fall alsbald vor dem Verwaltungsgericht in Freiburg, wo sich Zehnder mit keinem geringerem als mit dem Land Baden-Württemberg anlegt. Vor den Schranken der Justiz wird seine Klage gegen die Abgasprüfung abgewiesen.

Zur Befriedung trägt der Richterspruch nicht bei. Wenn es nicht so geht, wettert der Hausherr, dann vielleicht anders. Kurzfristig schreibt er Abgeordnete wie Volker Kauder an, längerfristig weigert er sich die Gebühren zu bezahlen, welche bei der polizeilich geschützten Überprüfung seiner Ökoheizung angefallen sind. Das Landratsamt reagiert erst mit Milde, später mit happigen Mahngebühren. Schließlich wird ein Gerichtsvollzieher in Gang gesetzt. Bei dessen Besuch ist auch die Frau des Hauses zugegen, welche ihre sämtlichen Schränke im Wohnzimmer öffnet und dem Geldeintreiber mit vor Wut zitternder Stimme im Dialekt ihrer badischen Vorfahren ins Stammbuch diktiert: "Nemme se, was Se nemme welle. Mir sin rechtschaffene Leit!"

Am Ende zieht der Amtmann unverrichteter Dinge ab, auch deshalb, weil Robert Zehnder nachweisen kann, dass er einige der in Frage stehenden Kosten längst bezahlt hatte. Wenn einem die Hitze der Wut erst einmal zu Kopfe steigt, gibt es kein Halten mehr, und so folgt schon bald der nächste Auftritt vor dem Freiburger Verwaltungsgericht. Dort beschwert sich Zehnder über die erhobenen Gebühren des Schornsteinfegers. Wieder unterliegt er gegen das Land, was ihn, man ahnt es, ebensowenig zu besänftigen vermag wie der Umstand, dass der Kammerer Rafael den renitenten Kunden entnervt an einen Kollegen übergibt, der nun das Rebellenhaus an der Backe hat, während alle umliegenden Bauten der seitherige Kehrer betreut. "Es gibt Belehrbare und Unbelehrbare", sagt Kammerer. "Und das hier ist ein Unbelehrbarer."

Die Urteile werden gehortet, nicht verbrannt


17 Jahre ist die Öko-Heizung im Keller der Zehnders jetzt alt, und nur ein einziges Mal ist sie in dieser Zeit vom Schornsteinfeger mit Messgeräten überprüft worden. Geschadet hat es ihr nicht, wohl eher dem Hausherrn, der inzwischen drei dicke Ordner mit Urteilen und Bußgeldbescheiden sein Eigen nennt. Vielleicht kann er sie eines Tages verbrennen?

"Nein, ich bleibe standhaft!", raunt er. "Ich fühle mich nach wie vor im Recht." Im übrigen gebe es Hunderte von Landsleuten, die wie er die Macht der 18000 deutschen Kaminkehrer in Frage stellen und Anstoß nehmen am Schornsteinfegergesetz. "Da läuft was schief und alle machen mit."

Draußen fällt der Schnee lautlos auf die Dächer von Tennenbronn. Drinnen sitzt Andrea Zehnder in der geheizten Stube. "Eigentlich ist er gar kein Streithansel", sagt sie leise. "Nur, wenn es um den Schornsteinfeger geht, dann ist alles anders." Im Frühjahr steht wieder eine Feuerstättenbeschau an.

Zu den bereits erschienenen Porträts geht es hier! »Hiermit endet die Serie.