Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Zu jener Zeit stellt sich heraus, dass Kurt K. ein wohlhabender Mann war. Er hinterließ keine nächsten Angehörigen, dafür sein Wohnhaus in Isny und fast 700 000 Euro, die auf diversen Konten gebunkert sind. Etwas geschmälert wurde sein Vermögen dadurch, dass der katholische Kirchenmann kurz vor seinem Tod den deutschen Steuerbehörden die Existenz eines Schwarzgelddepots bei einer Schweizer Bank gebeichtet hatte.

 

Hannelore A., die laut einem notariell beglaubigtem Testament die Haupterbin ist, erhält das Wohnhaus in Isny im Wert von 230 000 Euro sowie rund 140 000 Euro Bargeld. Weitere sechsstellige Summen gehen an zwei Blindenmissionen. Zudem soll der beste Freund von Kurt K., der Isnyer Immobilienmakler Helmut K., gemeinsam mit seiner Frau Rosemarie und seinem Sohn Michael sechs Prozent des Barvermögens erhalten und gegen eine Entlohnung in Höhe von fünf Prozent des gesamten Nachlasswertes die Testamentsvollstreckung übernehmen. So lautete der letzte Wille des Pfarrers Kurt K.

Oktober 2014, Landgericht Ravensburg. In Saal 2 wird die Zivilsache Hannelore A. gegen Helmut K. verhandelt. Die mittlerweile in einem Bonner Altenstift lebende Klägerin ist bei dem Prozess nicht anwesend, sie wird durch ihren Neffen Dirk D. vertreten. Im Kern geht es darum, dass Dirk D. behauptet, seine demente Tante sei vom Testamentsvollstrecker Helmut K. übers Ohr gehauen worden. Vier Anwälte haben sich in den vergangenen Monaten mit dem Fall beschäftigt, allein die Klageschrift umfasst 42 dicht bedruckte Din-A-4-Seiten. Nun soll die Vorsitzende Richterin Claudia Schumacher-Diehl entscheiden, welche Seite im Recht ist.

Der Vertraute des Geistlichen

Der 73-jährige Helmut K. schildert den Sachverhalt so: Er und Kurt K. waren eng verbunden. Der Pfarrer gab seiner Ehe mit Rosemarie den kirchlichen Segen und taufte seinen Sohn Michael mit geweihtem Wasser. Man traf sich sonntags beim Gottesdienst. Die großherzige Familie K. lud den zur Sparsamkeit neigenden Geistlichen und seine treue Haushälterin Hannelore regelmäßig zum Mittagessen ein. Meist gab es Rindsrouladen, die Leibspeise des Paares, das aufgrund der katholischen Lehre keinen anderen fleischlichen Genüssen frönen durfte. Selbstverständlich war man per Du.

Auch in finanziellen Fragen war Helmut K. der engste Vertraute des Pfarrers der Kirche zum Kostbaren Blut. Der Immobilienmakler chauffierte Kurt K. zu der Schweizer Bank, wo dieser ein Konto und ein Schließfach eingerichtet hatte. Er besorgte ihm Mieter für sein Haus in Isny, nachdem er 2001 zu Hannelore nach Biberach gezogen war. Da erscheint es angemessen, dass der Pfarrer ihn und seine Familie im Testament generös bedachte – mit unterm Strich fast 100 000 Euro. Doch es sollte noch besser kommen.

Hannelore A. ist krank vor Trauer. Es geht mit ihr bergab, der Geist will nicht mehr so recht. Bekannte nehmen sie zunehmend als verwirrt und verwahrlost wahr. Besucher empfängt sie, die stets auf Etikette bedachte Dame, im Nachthemd. Rechnungen lässt sie ungeöffnet herumliegen. Im Januar 2012 ruft ihr besorgter Hausarzt beim Kreisgesundheitsamt an und bittet die Behörde, eine Sozialarbeiterin bei seiner Patientin vorbeizuschicken: Frau A. benötige vermutlich Hilfe.

Der Kirchenmann besaß fast eine Million

Zu jener Zeit stellt sich heraus, dass Kurt K. ein wohlhabender Mann war. Er hinterließ keine nächsten Angehörigen, dafür sein Wohnhaus in Isny und fast 700 000 Euro, die auf diversen Konten gebunkert sind. Etwas geschmälert wurde sein Vermögen dadurch, dass der katholische Kirchenmann kurz vor seinem Tod den deutschen Steuerbehörden die Existenz eines Schwarzgelddepots bei einer Schweizer Bank gebeichtet hatte.

Hannelore A., die laut einem notariell beglaubigtem Testament die Haupterbin ist, erhält das Wohnhaus in Isny im Wert von 230 000 Euro sowie rund 140 000 Euro Bargeld. Weitere sechsstellige Summen gehen an zwei Blindenmissionen. Zudem soll der beste Freund von Kurt K., der Isnyer Immobilienmakler Helmut K., gemeinsam mit seiner Frau Rosemarie und seinem Sohn Michael sechs Prozent des Barvermögens erhalten und gegen eine Entlohnung in Höhe von fünf Prozent des gesamten Nachlasswertes die Testamentsvollstreckung übernehmen. So lautete der letzte Wille des Pfarrers Kurt K.

Oktober 2014, Landgericht Ravensburg. In Saal 2 wird die Zivilsache Hannelore A. gegen Helmut K. verhandelt. Die mittlerweile in einem Bonner Altenstift lebende Klägerin ist bei dem Prozess nicht anwesend, sie wird durch ihren Neffen Dirk D. vertreten. Im Kern geht es darum, dass Dirk D. behauptet, seine demente Tante sei vom Testamentsvollstrecker Helmut K. übers Ohr gehauen worden. Vier Anwälte haben sich in den vergangenen Monaten mit dem Fall beschäftigt, allein die Klageschrift umfasst 42 dicht bedruckte Din-A-4-Seiten. Nun soll die Vorsitzende Richterin Claudia Schumacher-Diehl entscheiden, welche Seite im Recht ist.

Der Vertraute des Geistlichen

Der 73-jährige Helmut K. schildert den Sachverhalt so: Er und Kurt K. waren eng verbunden. Der Pfarrer gab seiner Ehe mit Rosemarie den kirchlichen Segen und taufte seinen Sohn Michael mit geweihtem Wasser. Man traf sich sonntags beim Gottesdienst. Die großherzige Familie K. lud den zur Sparsamkeit neigenden Geistlichen und seine treue Haushälterin Hannelore regelmäßig zum Mittagessen ein. Meist gab es Rindsrouladen, die Leibspeise des Paares, das aufgrund der katholischen Lehre keinen anderen fleischlichen Genüssen frönen durfte. Selbstverständlich war man per Du.

Auch in finanziellen Fragen war Helmut K. der engste Vertraute des Pfarrers der Kirche zum Kostbaren Blut. Der Immobilienmakler chauffierte Kurt K. zu der Schweizer Bank, wo dieser ein Konto und ein Schließfach eingerichtet hatte. Er besorgte ihm Mieter für sein Haus in Isny, nachdem er 2001 zu Hannelore nach Biberach gezogen war. Da erscheint es angemessen, dass der Pfarrer ihn und seine Familie im Testament generös bedachte – mit unterm Strich fast 100 000 Euro. Doch es sollte noch besser kommen.

Am 25. Januar 2012 besucht Helmut K. in seiner Funktion als Testamentsverwalter Hannelore A. und eröffnet ihr, dass sie neben einem sechsstelligen Geldbetrag das Isnyer Wohnhaus von Kurt K. geerbt habe. Laut Helmut K. soll der anschließende Dialog sinngemäß so verlaufen sein:

„Helmut, ich will das Haus nicht. Das wäre für mich nur eine Last.“ – „Dann verschenke es doch an jemanden aus deiner Familie, Hannelore.“ – „Nein, das hätte der Kurt nicht gewollt. Er mochte meine Familie nicht, weil sie nicht dem katholischen Glauben folgt. Ich schenke es lieber dir.“

Überraschende Transaktionen

Acht Tage später wird die Zuwendung der pensionierten Lehrerin an den Immobilienmakler notariell besiegelt. Hannelore A. ist damit das Haus los, aber nicht die 54 270 Euro Erbschaftssteuer, die sie dafür ans Finanzamt abführen muss. Und bei der Gelegenheit lässt sich Helmut K. von der alten Dame noch eine General- und Vorsorgevollmacht sowie eine Patientenverfügung ausstellen, so dass er nun sämtliche finanziellen und persönlichen Angelegenheiten für sie regeln kann. Hannelore A. hat mit wenigen Unterschriften viel hergegeben.

Es vergehen Wochen, bevor die in Bonn lebende Schwester von Hannelore A., Marianne D., von den überraschenden Transaktionen erfährt. Womit ein Streit beginnt, wie er in Deutschland jährlich hunderttausendfach stattfindet: Laut einer Postbank-Studie verdienen bei jeder sechsten Erbschaft Rechtsanwälte mit. Das Ungewöhnliche an der Auseinandersetzung zwischen der Bonner Familie D. und der Isnyer Familie K. ist, dass der Showdown öffentlich vor einem Landgericht über die Bühne geht.

Hinten auf den Besucherbänken sitzen zwanzig Rechtsreferendare, die aus dem seltenen Spektakel etwas für ihre künftigen Karrieren lernen wollen. Vorne heizt die Richterin Claudia Schumacher-Diehl dem Beklagten Helmut K. kräftig ein. „Es gab für Sie keinen Grund, die Schenkung anzunehmen“, sagt sie. „Und es gab auch keinen Grund für Frau A., Ihnen dieses Haus zu übertragen. Schließlich war dies nicht der Wille des verstorbenen Pfarrers Kurt K., sonst hätte er Ihnen ja das Haus selbst vermachen können.“ Der Rückschluss ist logisch. Doch ist er juristisch relevant?

Fließende Übergänge

Recht und Demenz, das ist ein schwieriges Thema. Die Frage ist: kann ein Mensch, der unter Gedächtnisverlust leidet, Verträge abschließen? Ist er noch, wie es formal heißt, geschäftsfähig? Wenn nicht, wäre eine Willenserklärung („Ich verschenke ein Haus“) unwirksam, der Vertrag nichtig. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch ist ein Mensch so lange geschäftsfähig, wie er seine Entscheidungen „von vernünftigen Erwägungen abhängig machen kann“. Das Problem: die Übergänge sind fließend.

Erst seit dem 31. Januar 2014 steht offiziell fest, dass Hannelore A. nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen selbst zu treffen. An diesem Tag wurde die 79-Jährige für das Betreuungsgericht neurologisch untersucht mit dem Ergebnis, dass sie unter einer „schweren Demenz in der gemischten Form mit Alzheimer und vaskulärer Demenz“ leidet. Ein Kurzzeitgedächtnis sei nicht mehr vorhanden.

Helmut K. wurde im August 2012 die General- und Vorsorgevollmacht von Hannelore A. entzogen. Inzwischen teilen sich drei gesetzliche Betreuer diese Aufgabe: ihre Schwester Marianne D., ihr Neffe Dirk D. sowie eine Bonner Anwältin. Das Trio vertritt die Ansicht, dass Hannelore A. bereits bei der Hausschenkung am 2. Februar 2012 nicht mehr Herrin ihrer selbst war. Es habe eine „eindeutige Suggestibilität“ vorgelegen. Auf Deutsch: Helmut K. konnte sie in seinem Sinne beeinflussen.

Handelte der Makler sittenwidrig?

Doch das ist schwer zu beweisen. „Das Ausmaß und der Umfang der Demenz zu diesem Zeitpunkt sind fraglich“, sagt die Vorsitzende Richterin Schumacher-Diehl. Man müsse berücksichtigen, dass Hannelore A. eine kluge, gebildete Frau sei, die ihren Gedächtnisverlust in dieser Krankheitsphase womöglich durch ihren Intellekt teilweise habe ausgleichen können.

Bleibt der Vorwurf, dass der Testamentsvollstrecker Helmut K. nach Paragraf 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs sittenwidrig gehandelt habe, als er sich von der alten Dame reich beschenken ließ. Schließlich wäre es für ihn als Makler leicht gewesen, einen Verwalter für die Immobilie zu finden oder sie zu verkaufen. In beiden Fällen wäre Hannelore A. von der vermeintlichen Last, die ein Hauseigentum mit sich bringt, befreit gewesen. „Es wundert mich, dass Sie nicht auf eine solche Idee kamen“, hält ihm die Richterin vor.

Helmut K. sagt, er könne die Anschuldigungen nicht verstehen. Was soll daran falsch sein, ein Geschenk anzunehmen? Zumal er Hannelore A. versprochen habe, sich um sie zu kümmern. Jede Woche seien er und seine Frau Rosemarie von Isny nach Biberach gefahren, hätten ihre Freundin Hannelore auf den Friedhof, zum Arzt oder zum Friseur begleitet. Bis ihnen die Familie D. den Umgang verboten habe.

Vergleich vor dem Landgericht

In so einem Fall stößt ein Gericht an Grenzen. Es kann einen weiteren Verhandlungstermin ansetzen, medizinische Gutachten einholen und Zeugen befragen. Das kostet Zeit und Geld. „Aber wir können nicht in die Köpfe der Menschen hineinsehen“, sagt die Richterin Schumacher-Diehl. „Wir könnten am Ende lediglich eine subjektive Bewertung vornehmen, von der keiner weiß, ob sie richtig ist.“ Für die Konfliktparteien bedeutet das: Sollte der Streit weitergehen, besteht für beide Seiten das Risiko einer schmerzhaften Niederlage.

Nach einer vierstündigen Verhandlung einigt man sich auf einen Vergleich. Helmut K. gibt das Haus an Hannelore A. zurück und trägt zwei Drittel der Verfahrenskosten. Dafür werden die Vorwürfe fallengelassen, er habe seine Amtspflichten als Testamentsvollstrecker verletzt und sich auf sittenwidrige Weise bereichert. Helmut K. sagt, er stimme dem Vergleich nur deshalb zu, weil er seine Frau schonen wolle: „Sie wurde kürzlich am Herzen operiert, und jede weitere Aufregung wäre Gift für Rosemarie.“

Die Klägerin Hannelore A. hat von dem Rechtsstreit nichts mitgekriegt. Vor einem Jahr ließen ihre Angehörigen die Biberacher Wohnung räumen und ein paar Möbel in ein Bonner Altenstift bringen. Dort lebt Hannelore A. nun in einer anderen Welt. Im August ist sie 80 geworden. Ihr Körper ist noch einigermaßen in Schuss, aber ihr Kopf spielt oft verrückt. Neulich hat sie ihr Neffe gefragt, wie sie den Tag verbracht habe. „Ich bin über die Schwäbische Alb spaziert“, antwortete Hannelore A. Vielleicht hielt sie bei diesem Ausflug in die Vergangenheit ihren geliebten Kurt an der Hand.