Nach drei Jahren Debatte über ausufernde Spitzelaktionen will der Gesetzgeber die Vorgaben für den deutschen Auslandsgeheimdienst strenger machen. Zu diesem Zweck wird der Bundestag am Freitag eine Novelle des BND-Gesetzes beschließen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Seit zweieinhalb Jahren durchleuchtet ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags die Spionageaffäre, von der die Öffentlichkeit im Sommer 2013 durch Edward Snowden erfahren hat. Mehr als 500 Stunden lang haben die Parlamentarier Zeugen vernommen. Ihr Interesse richtet sich insbesondere auf die Rolle des Bundesnachrichtendienstes. Das Urteil klingt verheerend: Von „erheblichen Defiziten im rechtlichen Rahmen“ spricht Christian Flisek, SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss. Was der BND unternahm, um ausländische Telekommunikation zu überwachen, habe sich „völlig im rechtlichen Graubereich“ bewegt. Es habe „kaum ein Verantwortlichkeitsregime“ gegeben.

 

Fliseks CDU-Kollegin Nina Warken sieht bloß „Defizite im Ablauf“. Doch Grünen-Obmann Konstantin von Notz sagt: „Da ist über zehn, zwölf Jahre ein rechtswidriges System ausgebaut worden.“ Und die Linke Martina Renner unterstellt dem BND „Datensammeln aus Selbstzweck“.

Ein Untersuchungsbericht des Parlamentsgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste kommt zum Schluss, dass gerade mal ein Drittel der BND-Aktionen „rechtlich nachvollziehbar und auftragskonform“ gewesen sei. Die bisherigen Vorschriften hätten dem Auslandsgeheimdienst „eine weite und kaum voraussetzungsgebundene Handlungsgrundlage“ für Spitzelaktionen im Ausland eröffnet. Nach langen und zähen Verhandlungen haben sich die Regierungsparteien nun darauf verständigt, das rechtliche Korsett enger zu schnüren. Vielleicht ist der BND weltweit überhaupt der einzige Geheimdienst, für den es nun strikte Spionageregeln gibt. Bei der Novelle handle es sich um die „umfassendste Reform des Nachrichtendienstrechts der vergangenen Jahrzehnte“, so eine Expertise der Bundesakademie für Sicherheitspolitik.

Ein rechtliches Korsett

Die Überwachung deutscher Staatsbürger sowie der Telekommunikation, an der sie beteiligt sind, unterliegt dem im Grundgesetz garantierten Fernmeldegeheimnis. Sofern der BND Ausländer im Blick hatte, waren die gesetzlichen Vorgaben bisher sehr vage und pauschal. Sie werden nun strenger geregelt. Voraussetzung für „strategische Fernmeldeüberwachung“ sind laut Gesetzentwurf „Gefahren für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik“. Überwacht werden dürfen nur Telekommunikationsnetze, „die auch Telekommunikation von Ausländern im Ausland führen“ – unabhängig davon, ob sich die entsprechenden Anlagen auf deutschem Boden befinden. Die Kommunikation von ausländischen Regierungschefs und Staatsoberhäuptern, „mit denen Deutschland enge und gute partnerschaftliche Beziehungen führt“, ist tabu. Für EU-Institutionen und öffentliche Stellen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt das nur eingeschränkt – wenn die Sicherheit Deutschlands bedroht ist.

Die BND-Spionage darf sich auch gegen Unternehmen und „wirtschaftspolitisch bedeutsame Vorgänge“ richten. Wirtschaftsspionage im engeren Sinne wird jedoch ausgeschlossen. Die erhobenen Verkehrsdaten (Telefonnummern, Mail-Adressen, Internetkontakte) dürfen für höchstens sechs Monate gespeichert werden.

Ungeklärt ist das sogenannte Rakka-Problem: Wenn Ausländer von der IS-Metropole Rakka aus in Deutschland anrufen, darf der BND nicht mithören, weil sich hinter einer deutschen Telefonnummer eine Person verbergen könnte, die dem Schutz des Grundrechts unterliegt. Sicherheitsexperten verweisen jedoch darauf, dass bei dieser Art von Kommunikation auch Anschläge vorbereitet werden könnten, weshalb sie eine Überwachung für geboten hielten. Auch syrische Terroristen könnten Handys mit der Vorwahl +49 oder Mail-Adressen mit der Endung .de benutzen.

Geschaffen wird ein neues Gremium

BND-Aktivitäten zur „strategischen Fernmeldeaufklärung“ sind künftig beim Bundeskanzleramt schriftlich zu beantragen. Zudem unterliegen sie der Kontrolle durch ein neues Gremium, dem zwei Richter vom Bundesgerichtshof und ein Bundesanwalt angehören. Diese Kontrolle erfolgt stets im Voraus. Dem Richtergremium steht ein Stab mit 20 Mitarbeitern zur Verfügung. Es wird vom Parlamentarischen Kontrollgremium, dem für das Budget der Geheimdienste zuständigen Vertrauensgremium des Haushaltsausschusses und der sogenannten G10-Kommission unterstützt, die Fernmeldeüberwachung in Deutschland genehmigen muss.

Parlamentarische Kontrolle soll schärfer werden

Die Überwachung der Geheimdienstarbeit durch Abgeordnete soll „intensiver, koordinierter und kontinuierlicher“ werden, heißt es im Gesetzentwurf. Den Kontrolleuren des Bundestags, bisher neun an der Zahl, wird zu diesem Zweck ein Ständiger Bevollmächtigter an die Seite gestellt, eine Art Geheimdienstkommissar mit eigenem Mitarbeiterstab. Dazu soll ein Jurist oder höherer Regierungsbeamter eingestellt werden, unter Umständen auch ein Experte, der selbst für die Nachrichtendienste gearbeitet hat.

Datenschützer äußern heftige Kritik

Datenschützer, Journalistenverbände, der Deutsche Anwaltsverein und Organisationen wie Amnesty International sowie Reporter ohne Grenzen halten die Vorgaben für den BND für zu vage. Die Novelle ermögliche dem Geheimdienst „nahezu ungehinderten Zugriff auf die Telekommunikation im Ausland“, heißt es in einer Petition. Ein grundsätzlicher Einwand zielt auf Artikel 10 des Grundgesetzes. Das dort garantierte Fernmeldegeheimnis gelte nicht nur für Deutsche. Aus diesem Grund hält der Karlsruher Rechtswissenschaftler Matthias Bäcker den Gesetzentwurf „in seiner Gesamtheit für verfassungswidrig“. Das Deutsche Institut für Menschenrechte erachtet die Vorgaben als „deutlich zu weit gefasst“. Andere Kritiker warnen vor einer „Fragmentierung der Kontrolllandschaft“ durch neue Instanzen. Dort setzt auch der Bamberger Verwaltungsjurist Heinrich Amadeus Wolff an: „Die Bundesregierung sucht sich ihre Kontrolleure selbst aus.“