Rechtsextreme tummeln sich zunehmend im Internet. Besonders Social Media wird missbraucht. Neonazis müssen aber mit Gegenwehr rechnen.

Stuttgart - Ein Fackelzug schlängelt sich nachts durch das ostsächsische Bautzen. Zur DDR-Zeit war die Stadt vor allem für ihren "Stasiknast" bekannt, in dem berühmte Regimegegner einsaßen. Heute nutzen Neonazis die Innenstadt als Kulisse für einen Videoclip: Pathetische Choräle schwellen an, Menschen mit weißen Gesichtsmasken und brennenden Fackeln in der Hand marschieren los. Scheinbar sind es Hunderte - der Montagetechnik sei es verdankt. Von dem Clip "Werde unsterblich" existieren auf Youtube zwei Versionen: die eine nur mit Musik, die andere inklusive rechtsextremer Propaganda. Der Spuk beschwört den "angeblich drohenden Volkstod der Deutschen", sagt Peter Glaser, der stellvertretende Leiter von Jugendschutz.net, bei der Präsentation des Berichts "Rechtsextremismus online 2010".

 

Der Bericht geht von einem "massiven Missbrauch des Web 2.0" für das Gedankengut und für Webaktionen von Neonazis aus. 6000 Beiträge mit rechtsextremen Inhalten wurden gezählt, darunter Videos, Profile in sozialen Medien und Kommentare. Das ist eine Verdreifachung im Vergleich zur Vorjahresuntersuchung. Auch bei Twitter sei die Zahl der Autoren von 41 im Jahr 2009 auf 73 im Folgejahr gestiegen. Dagegen sei die Zahl an Websites von Neonazigruppen mit 1708 Exemplaren rückläufig. Der Präsident der Bundeszentrale für Politische Bildung, Thomas Krüger, erläutert, dass Neonazis darauf setzen, in sozialen Netzwerken mit jugendkulturellen Events und vorgeblicher Subversivität eine neue Klientel zu erreichen.

Kontakt zu Providern ist am effektivsten

Von der Hip-Hop-Band n'Socialist Soundsystem über die Rockband Sleipnir bis zur Liedermacherin Annet posten Rechtsextreme ihre Inhalte bei Youtube, Facebook und Twitter. Teilweise haben die Musikvideos Zugriffsklicks im sechsstelligen Bereich. Organisationen wie Jugendschutz.net oder die Amadeu Antonio Stiftung, die im Februar einen ähnlichen Bericht vorgelegt hat, kommen mit Strafanzeigen und Aufforderungen an die Plattformbetreiber, die rechtsextremen Inhalte zu entfernen, kaum hinterher. Oft gibt die Gesetzeslage keine Handhabe her. Entfernte Inhalte werden flugs wieder hochgeladen oder landen auf ausländischen Servern, wo die Strafverfolgung schwerer fällt.

Thomas Krüger macht auf andere Gegenmaßnahmen aufmerksam: "die Aktivierung der Netzgemeinde". Viele Kommentarspalten im Web 2.0 gleichen Orten, an denen erbitterte Diskussionen über rechtsextreme Propaganda stattfinden. Die hanebüchenen Ansichten der Rechten bleiben selten unwidersprochen. Hackergruppen machen sich bisweilen einen Spaß daraus, Neonaziwebsites zu demontieren. Die effektivste Strategie sei allerdings der direkte Kontakt zu den Providern und Plattformbetreibern. Die müssten an ihre eigenen Geschäftsbedingungen erinnert werden: Volksverhetzung und Hasspropaganda sind Ausschlussgründe.

Hintergrund: Rudolf Hess´ Grab aufgelöst

Hitler-Stellverteter Das Grab von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß im bayerischen Wunsiedel ist knapp 24 Jahre nach seinem Tod aufgelöst werden. In Abstimmung mit seiner Familie sei seine Leiche ausgegraben worden, bestätigte Kirchenvorstand Peter Seißer. Die sterblichen Überreste von Heß sollen nun verbrannt und die Asche auf hoher See verstreut werden.

Reaktionen Wunsiedels Bürgermeister Karl Willi Beck und die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, begrüßten die Aktion. "Ich freue mich, dass der braune Spuk in Wunsiedel ein Ende hat."