Propaganda im Netz: Die rechtsextreme Agitation im Internet nimmt zu, vor allem über soziale Netze. Oft sind die Botschaften raffiniert getarnt und erst auf den zweiten Blick zu erkennen – auch auf Stuttgarter Seiten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Was die „Identitäre Bewegung Stuttgart“ bei Facebook anzubieten hat, gefällt 705 Fans. Es können schnell mehr werden. Auf der Seite finden sich viele unverdächtige Fotos von idyllischen Landschaften und schönen Mädchen, auch Anklänge an ein Gedicht des Romantikers Joseph von Eichendorff. Auf den ersten Blick sieht da nichts verdächtig aus. Doch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hält diese „Bewegung“ für eine virtuelle Erscheinungsform des Rechtsextremismus. „Der rechtsextreme Bezug ist häufig erst auf den zweiten Blick zu erkennen“, warnt Stefan Glaser von jugendschutz.net, einer Institution für Jugendschutz im Internet.

 

Die Netzpropaganda der sogenannten „Identitären“ ist für Glaser ein Musterbeispiel für aktuelle rechtsextreme Erscheinungsformen. Sie tarnen sich auch mal mit Indianerfedern und versprechen „0 % Rassismus“ – auch wenn sich hinter dem schicken Layout ganz anderes verbirgt. Moderne Rechtsextremisten seien bemüht, „keineswegs mit plumper Propaganda ins Haus zu fallen“, sagt Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie kämen vielmehr „gut gestylt“ und „ästhetisch aufbereitet“ daher, so jugendschutz.net, „vermeiden nationalsozialistisch geprägte Begriffe, präsentieren sich zukunftsorientiert“. Zudem sei die braune Szene systematisch aus dem Ghetto eigener Webseiten in soziale Netzwerke wie Facebook abgewandert.

Insgesamt hat die virtuelle Propaganda rechtsextremistisch inspirierter Kräfte enorm zugenommen. jugendschutz.net zählte 2012 gut 7000 einschlägige Internetseiten und Beiträge in sozialen Netzwerken, ein Drittel mehr als im Jahr zuvor. Die Aktivitäten bei Facebook & Co. hätten binnen Jahresfrist gar um 50 Prozent zugenommen. Auch der Nachrichtenkanal Twitter spiele für Neonazis eine immer wichtigere Rolle. Ein Viertel der einschlägig identifizierten Zwitscherbeiträge stammt von NPD-Kameraden.

Facebook reagiert nur zögerlich auf Protest

Das Gros der rechtsextremen Internetagitation wird über Server abgewickelt, die im Ausland stehen, überwiegend in den USA. Das erschwert den Kampf gegen die braune Flut. jugendschutz.net wendet sich in der Regel direkt an die Provider. So ließen sich einschlägige Inhalte oft in kurzer Frist aus dem Netz bannen. Nicht immer sind diese Bemühungen von Erfolg gekrönt. „Facebook reagierte bisher unzureichend und duldete immer wieder auch volksverhetzende Inhalte“, vor allem wenn diese sich als Satire ausgäben, beklagt sich die Jugendschutzinitiative. Damit werde „ein Klima gefördert, in dem Diskriminierungen salonfähig erscheinen“. Zudem würden gelöschte Inhalte schnell wieder hochgeladen. „Man sieht, dass sich die Szene einen Spaß daraus macht“, sagt Stefan Glaser. Zudem wichen Rechtsextremisten bevorzugt auf das russische Netzwerk VK aus, das „massenhaft strafbare Inhalte“ und Gewaltaufrufe verbreite. jugendschutz.net registrierte insgesamt 1673 Fälle von illegaler Agitation. Bei 80 Prozent dieser Vorkommnisse handle es sich um Straftatbestände, hauptsächlich um sogenannte Propagandadelikte, etwa um die Publikation verbotener Symbole oder um volksverhetzende Äußerungen. Die Zahl solcher Gesetzesverstöße habe gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent zugenommen, so die Bilanz der Jugendschützer.

Stefan Glaser vermisst eine „Kultur der sozialen Verantwortung“ im Internet. Es bedürfe klarer Nutzungsrichtlinien, transparenter Meldeprozeduren sowie eindeutiger und konsequenter Sanktionsmaßnahmen. Gegen die vermehrte Netzpropaganda, die via soziale Netzwerke auch eine immens vergrößerte Reichweite erziele, helfe letztlich nur „mehr politische Bildung“, so Thomas Krüger. Die koste aber Geld und „fällt nicht vom Himmel“.