Die Länder entscheiden über ein NPD-Verbotsverfahren. In Treptow-Köpenick, wo die Parteizentrale liegt, sind Neonazis Alltag: Sie sind Wirte, Händler, Bürger. Ein Verbot würde zwar Druck erzeugen, aber das reicht noch nicht.

Berlin - Neulich nachts hat Mehmet Yildirim zum ersten Mal in einem Leben mit einem Neonazi gesprochen. Er sagte höflich, aber bestimmt: „Sie kommen hier nicht rein.“ Es war drei Uhr früh, und Yildirim hatte sein Grillhaus im Berliner Südosten eigentlich längst geschlossen. Yildirim saß mit seinem Bruder und seinem Cousin noch an einem der vorderen Tische und plauderte. „Auf einmal hörten wir Krach“, sagt der Wirt. Durchs Fenster sahen sie einen jungen Mann die Straße entlangrennen. Er bog um die Ecke, und dann stand er im Laden, die Augen aufgerissen vor Angst. Hinterher kamen seine Verfolger – eine Handvoll Neonazis.

 

Mehmet Yildirim sagt, er habe gar nicht nachgedacht, ob das jetzt hier gleich gefährlich wird. „Es ging zu schnell. “ Zusammen mit seinem Cousin stellte er sich in die Tür. „Scheiß Kanake“, riefen die Nazis. Es wurden immer mehr. Sein Bruder brachte den jungen Mann schnell in die Küche. Und kam mit einem langen Dönerspieß in der Hand zurück. Er fuchtelte damit herum. Das beeindruckte die Nazis ein bisschen. Gerade lang genug, bis die Polizei kam. „Die waren sehr schnell da“, sagt der Wirt. „Kein Wunder, die sind ja praktisch immer hier in der Nähe“, sagt der Wirt.

Döner zwischen Nazikneipen

Das ist jetzt zwei Monate her, und längst ist wieder der Alltag eingekehrt. Alltag in Treptow-Köpenick, dem südöstlichen Berliner Stadtbezirk, das bedeutet: Mehmet Yildirim hat sich die Urkunde aufgehängt, mit der der Bezirksbürgermeister Oliver Igel seine Zivilcourage lobt. Um die Mittagszeit holen sich zwei Polizisten in Zivil einen Döner und schlendern zu ihrem Auto zurück. Man kennt sich. Hier in der Brückenstraße liegt die Kneipe Zum Henker, zentraler Treffpunkt für Neonazis aus der Hauptstadt. Später am Tag kann man hier angeblich Odin-Trunk und Himla-Cocktail ordern. Um die Ecke liegt die Nazikneipe Zum Eisenbahner.

Ein paar Hundert Meter weiter hat das Hexogen bereits seine Tür geöffnet. Der Laden, benannt nach einem Sprengstoff, den auch die Wehrmacht verwendete, bietet Security-Bedarf und Militaria an – Messer, Reizgas, Schlagstöcke. Chef des Hexogen ist Sebastian Schmidtke, 27, – laut Verfassungsschutz eine Größe unter den als gewaltbereit bekannten Autonomen Nationalisten und seit Februar Vorsitzender der Berliner NPD. Die Wahl war nach Ansicht von Verfassungsschützern der bisherige Höhepunkt der Verschmelzung zwischen Partei und radikaleren freien Kräften.

Betreiber rechtsextremer Webseiten gesucht

Was es bei Schmidtke unterm Ladentisch geben könnte, dafür hat sich in diesem Jahr die Kripo interessiert, die bei einer Durchsuchung unter anderem Propagandamaterial beschlagnahmte. Gesucht wurde der Betreiber einer rechtsextremistischen Internetseite, die Nazigegner und Einrichtungen als eine Art Feindesliste veröffentlicht – mit Bildern, Namen, Adressen. Damals meldete die dpa unter Berufung auf Ermittlerkreise, Schmidtke stehe im Verdacht, Betreiber der Seite des „Nationalen Widerstands“ (NW) zu sein. Laut Polizei sei „unterschwellig“ zu Gewalt gegen diese Menschen aufgerufen worden. In mindestens 23 Fällen wurden Bürger bereits bedroht oder gar attackiert, nachdem sie namentlich genannt wurden.

Die Aktivitäten, die Ermittler bei Schmidtke vermuten, könnten eventuell in einem neuen Verbotsverfahren gegen die Partei eine Rolle spielen. Von Mittwoch an wollen die Innenminister entscheiden, ob sie ein neues Verbotsverfahren anstreben.

Derweil allerdings ist das Hexogen weiter geöffnet, alles wie immer. Treptow-Köpenick ist seit Jahren ein wachsender Rückzugsraum für Rechtsextremisten. Anfang des Jahrtausends verlegte die NPD ihre Bundeszentrale hierher. Der damalige Bundesvorsitzende Udo Voigt, der heute im Bezirksparlament sitzt, schwärmte von der „Reichshauptstadt“. Experten aus den Sicherheitsbehörden beobachteten eine Sogwirkung, die der Bezirk auf Neonazis entfaltete. Jugendliche fühlten sich von den Freien Kameradschaften angezogen – aktionsorientierte, gewaltbereite Bündnisse, eine Art radikaler Erlebniswelt mit Spontanaufmärschen, Übergriffen, richtiger Musik, richtigen Klamotten. Mancher Spielplatz und auch der S-Bahnhof wurden zu Orten, die Sozialarbeiter „Angsträume“ nannten – wer den Nazis nicht in den Kram passte, der sah sich gezwungen, die Orte zu meiden. 2006 schaffte die NPD den Sprung ins Parlament – mit 6 Prozent.

Die Zivilgesellschaft tut sich schwer

Der Bezirk – seit Urzeiten von der SPD regiert – ist ein Beispiel dafür, wie schwer sich auch eine wache Zivilgesellschaft tut, wenn der Extremismus in den Alltag sickert. Es gibt Gegendemonstrationen, Straßenfeste, Putzspaziergänge, bei denen 50 Leute Naziaufkleber abkratzen. Die Parteien haben mit Fachleuten Handlungsmaximen für den Umgang mit der Partei erarbeitet – dazu gehört, die rechten Kollegen sozial zu isolieren, nie für einen Antrag der Nazis zu stimmen und ihnen bei Anträgen eine möglichst kleine Bühne zu bieten, indem nur ein demokratischer Abgeordneter die Gegenrede führt. Im Parlament, so glaubt der SPD-Fraktionschef Matthias Schmidt, funktioniert diese Form der Auseinandersetzung ganz gut. In der zweiten Legislaturperiode kam die NPD geschwächt mit 4,1 Prozent ins Parlament. Aber sie sitzt eben drin.

Direkt am Bahnhof arbeitet Kati Becker im Zentrum für Demokratie des Bezirks. Becker führt das Register – sie erfasst jeden Vorfall mit rechtsextremem oder rassistischem Hintergrund – dazu gehören nicht allein Straftaten. 197 Vorfälle hat sie im vergangenen Jahr dokumentiert, so viele wie noch nie. Nie wurden auch so viele Vertreter demokratischer Parteien angegriffen.

Einige Straßen vom Bahnhof entfernt sitzt Lars Düsterhöft, 30, in seinem gläsernen Büro, das er „Ansprechbar“ nennt. Düsterhöft ist SPD-Abgeordneter. Als er das Wahlergebnis sah, da fand er, als Demokrat müsse man jetzt mal näher an die Bürger ran. Also hat er dieses Büro eröffnet, spendenfinanziert, jetzt bietet er Arbeitslosenfrühstücke an, Rechtsberatung, Hausaufgabenhilfe. Politische Vorfeldarbeit, hätte man früher gesagt. Heute, so glaubt der Abgeordnete, kann es hier nur darum gehen, das verlorene Vertrauen der Bürger in die Demokratie wiederzugewinnen. „Es wird zur Bedrohung“, sagt Düsterhöft. „Als die NPD sechs Prozent bekam, da waren wir doch überrascht.“ Der Alltag in der Bezirksverordnetenversammlung sei nicht so schlimm, der NPD gelinge es kaum, sich zu profilieren. „Aber man merkt einfach, es geht nicht mehr um etwas Punktuelles. Es haben sich Strukturen verfestigt, die Gewalt generieren.“ Er sieht das jeden Tag. „Das Irre ist“, sagt Düsterhöft, „dass diese rechte Soße überall einsickert.“ Ganz normale Leute kommen zu ihm, und dann spürt er sie, die Entfernung von der Demokratie.

Auch in den Parlamenten setzen sich die Neonazis fest

Wer ihm zuhört, weiß irgendwann nicht mehr, was erschreckender ist – die Fakten, die Düsterhöft ausbreitet, oder wie gelassen er dabei bleibt. Da ist zum Beispiel die Art wie man sich unter Jusos zum Flyer verteilen verabredet. Mindestens zu zweit, nie ohne Handy, gerne mit gezücktem Pfefferspray – und, seit neulich mal ein Team von Neonazis bedroht wurde, auch nur über einen sehr restriktiven Mailverteiler. Düsterhöft erzählt von zwei Mal hintereinander eingeschlagenen Scheiben im Büro, von einem Täter, der am Tag dabei beobachtet wurde, und Zeugen, die schweigen. Von einem Wahlkampfstand der SPD am Bahnhof, der nur unter Polizeischutz dableiben konnte, weil Nazis aus dem Henker die Wahlkämpfer bedrängten.

Auch parlamentarisch versuchen die Neonazis, sich festzusetzen. „Die NPD hat eine klare Strategie, sich in den kommunalen Parlamenten auszuprobieren, dazuzulernen, Argumentationen zu testen und Gelder zu bekommen“, sagt Uli Overdieck. Er dokumentiert und analysiert in einem Projekt die Vorgehensweisen der Neonazis in kommunalen Gremien. Gemeinsam mit den demokratischen Abgeordneten hat er die Strategien gegen die NPD erarbeitet. Overdieck glaubt zwar, dass sie meist funktionieren, aber über die Langzeitwirkung ist er nicht sicher: „Ich würde gerne sagen, es sei allein dem Umgang der Demokraten mit der NPD im Parlament zu verdanken, dass die Partei nur noch zwei Verordnete stellt. Aber es trat bei der Wahl auch die rechtspopulistische Partei Pro Deutschland an. Ohne die Konkurrenz wäre das Ergebnis der NPD voraussichtlich besser ausgefallen.“

Was wäre anders in Treptow-Köpenick, wenn die NPD morgen verboten würde? Es ist derzeit unklar, ob die geschätzt mehr als 350 NPD-Abgeordneten in kommunalen Parlamenten der Republik einfach ihre Mandate behielten. Für Treptow-Köpenick jedenfalls glaubt Matthias Müller: „Durch ein Verbot der NPD würde sich hier so gut wie nichts ändern.“ Der Mann ist Experte bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, er berät seit Jahren Kommunen, Vereine und Initiativen im Umgang mit rechten Strukturen. „Wir haben es mit politischen Überzeugungstätern zu tun, die nicht aufhören werden“, sagt er.

Das Problem bleibt

Müller hat sich nach der Enttarnung der Zwickauer Terrorzelle am meisten über einen erwartbaren politischen Reflex geärgert: „Es war frustrierend zu sehen, dass nach dem Bekanntwerden des NSU sofort aus der Politik ein NPD-Verbot gefordert wurde, ohne überhaupt einmal die gesamtgesellschaftliche Dimension der Mordserie zu sehen.“ Im Alltag sieht Müller genau diese Gesamtgesellschaft. Manche Bewohner scheuten den Konflikt, andere sähen schlicht kein Problem. Doch je mehr sich die Rechten im Bezirk ausbreiteten, desto gefährlicher sei es für diejenigen, die sich engagieren. Müller glaubt, dass die Situation ohne die bisherigen Anstrengungen schlimmer wäre als jetzt: „Wenn die Szene den Druck der demokratischen Zivilgesellschaft nicht spürt, hat sie mehr Möglichkeiten, eigene Aktivitäten zu entwickeln.“

Müller arbeitet seit den 90ern in seinem Beruf. Das Problem ist nicht kleiner geworden. Und die Unterstützung kaum größer: „Wenn ich sehe, auf welch ungewissem Boden die Finanzierung vieler Projekte gegen Rechtsextremismus jetzt wieder steht, dann frage ich mich: Wie ernst meint es die Bundesregierung eigentlich mit der Absicht, Rechtsextremismus zu bekämpfen?“