Sie sagten „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ – und gingen zum Morden. In der Zeit des Untergrunds tarnte sich das Terror-Trio des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) durch eine freundlich-bürgerliche Fassade.

München - Die Bundesanwaltschaft wirft Beate Zschäpe vor, der terroristischen Vereinigung NSU „den Anschein von Normalität und Legalität“ gegeben zu haben, während Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos arbeitsteilig die Morde und Raubüberfälle begangen hätten. Deshalb ist Zschäpe als Täterin und nicht nur wegen Beihilfe angeklagt.

 

Richtig daran ist, die Zeugenvernehmungen dieser Woche belegen es wieder einmal, dass Beate Zschäpe eine chamäleonhafte Fähigkeit hat, sich an die Lebenswelt völlig unterschiedlicher Menschen anzupassen, die jeweils richtigen Legenden und Märchen zu erfinden: beispielsweise, um die Abwesenheit der beiden Männer des NSU-Trios und die Anwesenheit immer neuer Campmobile vor der Wohnung in Zwickau zu erklären – jener Campmobile, die dann bei den Taten benutzt worden sind. Vernommen wird diesmal ein älterer Hausmeister, der Zschäpe nett fand. Zschäpe bewegte sich damals in den 90er Jahren in der Welt der Wende-Verlierer, wo eine feste Arbeit selten, der Alkohol aber ein guter Freund war. Ihr und ihren Geschichten wurde geglaubt, keiner fragte nach.

Man darf aber bezweifeln, dass es für den Anschein der Normalität erforderlich war, in einen Keller hinabzusteigen, in dem sich Zwickaus Loser ihr „Feierabend-Bierchen“ genehmigten. Sie taten es vor einem Hitlerbild. Zschäpes ironisches Lächeln während der Zeugenvernehmung legt nahe, dass die Frau Freude daran hatte, mit diesen altersgeilen Böcken zu spielen, wenn sie dort ihren „Pikkolo“ trank. Wäre es nur um den Aufbau einer „unauffälligen Fassade“ gegangen, wie die Bundesanwaltschaft vermutet, es wäre ein riskantes Spiel gewesen. Aber die Anklage stimmt hier insofern, als die beiden „Uwes“, die mutmaßlichen Haupttäter, mit diesem Subproletariat nichts zu tun haben wollten. Sie sagten nur „Guten Tag“ und „Auf Wiedersehen“ – und gingen zum Morden.

Mit den Urlaubsbekanntschaften wird Doppelkopf gespielt

An der Ostsee, auf Fehmarn, war das ganz anders. Dort begegnete das Trio zwischen 2007 und 2011, wenn es denn jährlich im August Urlaub machte, auf dem hochpreisigen Campingplatz einem Bauingenieur, einer Drogistin, einer Diplominformatikerin und deren Ehemann mit demselben Beruf. Und wieder gelang es, all diese Menschen perfekt zu täuschen – wie die jetzt als Zeugen aussagen. Es war aber nicht Beate Zschäpe, es war einer der Uwes, der gleich am ersten Abend zum Doppelkopfspiel im eigenen Vorzelt einlud. Es war einer der Uwes, der mit seiner Urlaubsbekanntschaft loszog, das Surfen zu lernen. Es war einer der Uwes, der mit der heranwachsenden Tochter der Urlaubsbekanntschaft im Schlauchboot unterwegs war. Er habe den Uwes vertraut, kein Problem gesehen, sagt der Vater. Beate Zschäpe, so die Zeugen, hat derweil Gemüse geschnippelt.

Mehr noch: diese Uwes, die in Zwickau nur „Guten Tag“ sagten, waren auf Fehmarn, so berichtet es eine Mutter, gemeinsam mit Zschäpe der „Anlaufpunkt“ für alle Kinder des Zeltplatzes, weil die drei mit den Kindern so gut konnten. Mit Kindern, von denen jeder weiß, dass ihr Mund die Wahrheit kundtut und dass sie genauer beobachten können als Erwachsene, die sich so leicht täuschen lassen.

Beate Zschäpe als Quartiermacherin des Terrors, die die Mörder nach außen abschirmen musste, dieser Vorwurf klingt nach den Zeugenaussagen zu Fehmarn ziemlich absurd. Wie werden die beiden Uwes, die zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Menschen ermordet haben (sollen), von den Zeugen doch beschrieben: immer höflich, immer freundlich, immer hilfsbereit.

Das Trio sucht die Nähe zu Menschen aus der bürgerlichen Mitte

Man vergisst im Münchner Gerichtssaal allzu leicht, um was es in diesem Prozess eigentlich geht: um Morde aus rassistischen und neonazistischen Motiven, um abgründigen Hass, um abgründige Wut, um nackte Gewalt, um das grausame Unrecht, das den Opfern angetan wurde. Aber auch um den Angriff auf die Grundwerte dieser, der bürgerlichen Gesellschaft. Und je länger dieser Prozess dauert, desto weniger kann man begreifen, wie das eine mit all dem anderen, was die Zeugen beschreiben, zusammenzubringen ist. Natürlich gibt es Mörder, die Katzenliebhaber sind so wie Beate Zschäpe, natürlich hat es Massenmörder gegeben, die gute Familienväter waren.

Aber dann erfährt man in dieser Woche im NSU-Prozess auch noch dies: das Trio hat auf Fehmarn nicht nur die Rollen der Biedermänner und der Biederfrau sehr breit ausgespielt. Das mag noch Camouflage sein. Die drei haben darüber hinaus aktiv ihre Urlaubszeiten nach den Urlauben der befreundeten Familien gerichtet, damit man alljährlich gemeinsam oben sein konnte. Und die drei haben außerhalb der Ferien und der Ferienlaune eine der Familien mehrfach zu Hause besucht. Sie haben beim 17. Geburtstag der Tochter dort übernachtet, Beate gemeinsam mit dem Mädchen in einem Zimmer, die Uwes im Keller. Sie haben immer wieder angerufen. Einer der Uwes hat mit dem Familienvater per E-Mail Computerprobleme besprochen, zuletzt kurz vor dem Auffliegen des NSU.

Alles nur Fassade? Natürlich nicht. Die (mutmaßlichen) Mörder haben die Nähe gesucht und um die Freundschaft gebuhlt von Menschen, die genau die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft repräsentieren, jener bürgerlichen Gesellschaft, die sie so hassten und mit ihren Morden bekämpften. Weshalb? Nicht einmal die Verteidiger Beate Zschäpes thematisieren diese Frage.

Aus der Welt der Großmäuler in die Welt des Mordens

Am Donnerstag wird schon den zweiten Tag Stefan A. vernommen, der Cousin von Beate Zschäpe. Der Mann steckte in den 90er Jahren tief in der Skinheadszene, und er veröffentlicht auch heute noch auf seiner Facebook-Seite eine Grafik mit der Aufschrift „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“. Er ist vom Alkohol gezeichnet und dokumentiert unglaubliche Erinnerungslücken, von denen nicht ganz sicher ist, ob auch sie vom Alkohol verursacht sind.

Er ist, wie schon etliche Zeugen vor ihm, ein Bote aus einer Welt, die allen Verfahrensbeteiligten außer den Angeklagten fremd ist. Es ist eine extreme Welt der Großmäuler, voller Alkohol, wo die Menschen nicht gelernt haben, Reden statt Prügeln als Verständigungsmittel zu nutzen. Eine Welt, in der das NSU-Trio sich aus der „Spaßfraktion“ der rechtsextremen Horde „abgekapselt“ hat und auf der Leiter der Gewalt hochgestiegen ist: „Dann hat es sich so ein bisschen nach oben gesteigert“, beschreibt der Zeuge die Radikalisierung der drei, nachdem sie mit dem Saufen aufgehört haben. Die anderen im Saal, auch der Richter Manfred Götzl, können diese Zusammenhänge schwer nachvollziehen.

Dabei trägt Stefan A. durchaus zur Aufklärung bei. Der Zeuge beschreibt, wie er mit Mundlos in Jena eine Zigeunerin gesehen hat, die vor einer Bäckerei hockte. Mundlos hat diese Roma-Frau nicht getreten. Er ist in die Bäckerei gegangen und hat ein Stück Torte gekauft. Dann hat er diese Torte der Frau ins Gesicht geworfen. Zahlreiche Passanten sahen zu, ohne etwas zu tun. Was er mit Mundlos danach gesprochen habe, will ein Anwalt wissen. „Nichts“, antwortet der Zeuge. Sie hätten beide gelacht. Wer das Böse und den Weg dorthin begreifen will, kann über diese Episode ziemlich am Anfang der Entwicklung hin zum NSU lange grübeln. Mehr als ein halbes Jahr dauert der Münchner Prozess nun schon. Nichts ist geklärt. Nichts ist aufgeklärt. Die Fragen werden immer mehr.