Der Berliner Innensenator Frank Henkel muss sich wegen der rätselhaften Aktenvernichtung im Zusammenhang mit der Aufklärung der NSU-Mordserie verantworten.

Berlin - Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) muss sich wegen eines neuen Skandals im Zusammenhang mit der Aufklärung der NSU-Mordserie verantworten. Diesmal geht es um die angeblich versehentliche Vernichtung von Akten des Verfassungsschutzes aus dem Bereich Rechtsextremismus. Es handelt sich um 57 Ordner, die eigentlich ans Landesarchiv hätten gehen sollen, aber am 29. Juni geschreddert wurden. Henkel sicherte zwar inzwischen schnelle Aufklärung zu. Doch die Opposition kritisierte die Vorgänge scharf – am Donnerstag wird die Aktion Thema im Abgeordnetenhaus sein.

 

Unklar ist bisher, wie es dazu kommen konnte. Die Verfassungsschutzpräsidentin Claudia Schmid sprach am Mittwoch von einem „bedauerlichen Fehler“ durch menschliches Versagen. Sie sagte: „Dies hätte nie passieren dürfen.“ Es war allerdings der Referatsleiter für den Bereich Rechtsextremismus persönlich, der die Akten zur Vernichtung vorbereitete. Auch in anderen Bundesländern und beim Bundesamt für Verfassungsschutz wurden ähnliche Aktionen bekannt.

Henkel wusste seit dem 15. Oktober von der Aktion

Politisch brisant ist überdies die Tatsache, dass Innensenator Henkel drei Wochen verstreichen ließ, bevor er den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages über den Vorgang informierte. Laut Schmid wusste Henkel bereits seit 15. Oktober von der Schredderaktion. Der Ausschuss wurde aber erst am 5. November telefonisch informiert, wie dessen Vorsitzender Sebastian Edathy der Stuttgarter Zeitung sagte. Ihn habe am Montagnachmittag Henkels Staatssekretär angerufen. „Ich finde dies irritierend und fühle mich nicht zeitnah genug informiert“, kritisiert er. Er verwies darauf, dass Berlin den Ausschuss bereits in der Affäre um den V-Mann Thomas S. erst mit Verzögerung informiert habe. „Es ist mir völlig unverständlich, wie man einschlägige Akten schreddern kann, während seit einem halben Jahr die Republik über den NSU diskutiert.“

Ob in den Akten Informationen zur Terrorzelle oder deren Unterstützern zu finden waren, ist unklar – zwei Vorgänge beschäftigten sich zumindest mit der Neonazi-Band „Landser“. Aus deren direktem Umfeld kommt der Berliner V-Mann Thomas S., gegen den die Bundesanwaltschaft als einen der Unterstützer des NSU ermittelt. Die Verfassungsschutzpräsidentin sagte vor Journalisten, es gebe keinen Hinweis auf einen Zusammenhang.

Gekennzeichnete Akten übersehen?

Nach ihrer Darstellung kam es durch ein Versehen zu der Aktenvernichtung: Danach handelte es sich um eine Fülle von Akten aus den Bereichen Rechtsextremismus, Linksextremismus und Ausländerextremismus, die üblicherweise nach zehnjähriger Frist vernichtet werden. Sie lagerten zum Teil seit 2009 beim Geheimschutzbeauftragten des Landes und harrten der Vernichtung – ein übliches Verfahren, da die Schreddertermine bei der Bundesdruckerei knapp sind. Vor der Vernichtung kann das Landesarchiv Akten beanspruchen, die es für historisch bedeutsam hält. Das Archiv wollte neun von 13 Vorgängen zu Neonazis behalten, sowie einige der Akten aus den anderen Bereichen. Die Akten wurden entsprechend gekennzeichnet. Brisant ist nun: Vier Tage vor der Vernichtung, am 29. Juni, bat der Geheimschutzbeauftragte den Verfassungsschutz um Hilfe beim so genannten „Entheften“ der Akten – die Ordner werden entfernt und nicht mitgeschreddert. Diese Aufgabe übernahmen drei ausgewiesene Fachleute: der Referatsleiter Rechtsextremismus und zwei Kollegen, die seit Monaten die Diskussion um den NSU beruflich verfolgten. Fraglich ist, weshalb die Experten erstens übersahen, dass die Akten zum Aufbewahren gekennzeichnet waren und sich zweitens nicht selbst fragten, ob man zu diesem Zeitpunkt in einer Sicherheitsbehörde überhaupt Akten zum Thema Rechtsextremismus schreddern sollte. Die Akten zu Linksextremismus und Ausländerextremismus jedenfalls wurden fachgerecht sortiert. Die Schredderaktion wurde nur deshalb bemerkt, weil die Verfassungsschutzpräsidentin selbst im September im Zuge der Ermittlungen zum NSU auf die Idee kam, es könnten noch Akten im Landesarchiv lagern. Die Untersuchungen ergaben dann, dass die Papiere dort sein müssen, aber vernichtet worden waren.