Am Montag beginnt der Prozess gegen zwei mutmaßliche Täter des Brandanschlags in Winterbach im Rems-Murr-Kreis. Der Angriff auf fünf Ausländer zeigt Probleme auf.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Winterbach - Auf versuchten Mord lautet die Anklage. Die beiden jungen Männer sollen maßgeblich beteiligt gewesen sein, als Rechtsradikale in der Nacht vom 9. auf den 10. April vergangenen Jahres eine Gartenhütte anzündeten , in die sich fünf junge Ausländer vor ihnen geflüchtet hatten. Es war ein lauer Abend gewesen, auf einem Wiesengrundstück bei Winterbach im Rems-Murr-Kreis feierten etwa 70 rechte Skinheads, auf dem Nachbargrundstück saßen neun junge Leute italienischer und türkischer Herkunft am Lagerfeuer. Die Rechten fingen Streit an und wurden handgreiflich. Die Gruppe floh - fünf von ihnen verschanzten sich in der Holzhütte. Der jüngere der beiden Angeklagten soll mit einem brennenden Ast die Hütte angezündet haben. Die Männer drinnen riefen die Polizei und trauten sich erst heraus, als die Angreifer fort waren. Die Hütte brannte vollständig nieder. 14 Verdächtige nahm die Polizei in dieser Nacht vorläufig fest, gegen etwa 40 Personen laufen Ermittlungen, die zwei Hauptverdächtigen stehen von heute an vor Gericht.

 

Die Polizei arbeitete mit Hochdruck an der Aufklärung, richtete die 16-köpfige Ermittlungsgruppe "Gartenhütte" ein und bemühte sich um so viel Transparenz, wie ermittlungstaktisch vertretbar war. Von Anfang stufte sie den Anschlag als Tat von Rechtsradikalen ein und nicht etwa als alkoholbedingten Ausraster junger Leute. Die Polizeidirektion Waiblingen agierte vorbildlich. Es ging auch darum, einen guten Ruf zu verteidigen, einen Ruf, den man sich in Jahren hart erarbeitet hatte: Zu Beginn des Jahrtausends hatte der Rems-Murr-Kreis im Ruch gestanden, eine braune Hochburg zu sein. Es begann im August 2000 mit einem Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Waiblingen, dann folgten mehrere brutale Angriffe auf Ausländer, ein Brandanschlag auf einen Wohncontainer für Obdachlose und ein weiterer auf das Asylbewerberheim in Unterweissach.

Das Bild vom sauberen Landkreis hat dunkle Flecken

Die Häufung der Gewalt und die Erkenntnis, dass es eine organisierte rechtsextreme Szene samt Treffpunkten mit überregionalem Zulauf gab, ließ die Alarmglocken schrillen. Das Landratsamt richtete die Fachstelle Rechtsextremismus ein, und die Polizeidirektion Waiblingen rief die Koordinierungsstelle Rechtsextremismus (Korex) ins Leben. Die Fachstelle kümmert sich um die Prävention, die Polizei bearbeitet Jugendliche, die in die rechtsextreme Szene abgedriftet sind. Die Statistik bestätigte die Arbeit, "seit 2006 geht die Zahl der rechtsmotivierten Straftaten im Rems-Murr-Kreis zurück", sagt Andreas Lindauer, der Leiter der Korex. Die Bestrebungen im Landkreis gelten mittlerweile als Vorbild - wie 2010 eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung bestätigte.

Dann kam Winterbach. Die Aufmerksamkeit war wieder auf den Kreis gerichtet, und sie brachte mehr zu Tage als einen Brandanschlag: Es wurde bekannt, dass es in Winterbach bereits im September 2010 ein Konzert mit einer rechten Skinhead-Band gegeben hatte, dass die NPD ihre Landesparteitage 2009 und 2010 sowie einen Bundeskongress ihrer Jugendorganisation in Korb abgehalten hatte, was das Landratsamt und der Bürgermeister den Bürgern verschwiegen. 2011 fanden in Korb und in Aspach weitere NPD-Treffen statt. Das Bild vom sauberen Landkreis hat dunkle Flecken.

Faktisch aber ist der Rems-Murr-Kreis keine Hochburg des Rechtsradikalismus, behaupten die Verfassungsschützer. Die rechtsextreme Skinhead-Szene ballt sich im gesamten Großraum Stuttgart, weitere Schwerpunkte im Land sind laut Verfassungsschutz die Region Mannheim-Heidelberg, Karlsruhe, Pforzheim, Villingen-Schwenningen, Friedrichshafen, Sigmaringen und Schwäbisch Hall. Auch die Gruppe, die den Brandanschlag in Winterbach verübt hat, werde der rechten Skinhead-Fraktion zugerechnet, sagt Korex-Leiter Lindauer.

Die Neonazis haben Zulauf

Es existieren noch weitere rechte Lager im Land - etwa die Neonazis, die ideologisch beschlagener sind und sich einen totalitären Staat herbeisehnen. Und obschon die Zahl der Rechtsextremisten generell schrumpft - von 2009 auf 2010 um 200 Personen auf nunmehr 2200 - haben die Neonazis Zulauf. Gelegentlich sind die Grenzen zwischen rechten Skinheads und Neonazis auch fließend, wie bei der Kameradschaft Rastatt. Laut jüngstem Verfassungsschutzbericht ist dies "die aktivste neonazistische Kameradschaft in Baden-Württemberg".

Eine wichtige Rolle spielt ferner das Aktionsbüro Rhein-Neckar. "Es koordiniert im gesamten Rhein-Neckar-Raum die Aktivitäten der dortigen rechtsextremistischen Neonazi- und Skinhead-Gruppierungen", heißt es im Bericht. Zudem sei das Aktionsbüro personell mit der NPD verflochten. Knapp ein Drittel der Neonazis in Baden-Württemberg rechnen die Verfassungsschützer aber einer relativ jungen Gruppierung zu, den Autonomen Nationalisten. Von ihren rechten Gesinnungsgenossen unterscheiden sie sich hauptsächlich durch ihr Auftreten, denn sie imitieren ihre Gegner: Mit ihrem Wortschatz und ihrer schwarzen Kleidung sind sie den Linksextremisten zum Verwechseln ähnlich. Die Autonomen Nationalisten verfügen nicht wie andere Gruppierungen über eine Bundesorganisation. Sie sind versprengt, organisieren sich regional in kleinen Gruppen und haben Zulauf. Diese Leute sind extrem auf Krawall gebürstet.

Seit die Mordserie der Zwickauer Zelle aufgedeckt wurde, ist klar, dass Rechtsextremisten organisiert töten. In der Öffentlichkeit hatte bisher die Meinung vorgeherrscht, dass rechtsradikale Schläger oder Brandstifter Tote zwar billigend in Kauf nehmen, konkrete Tötungsabsichten wurden aber selten unterstellt. Die Zwickauer Zelle hat das geändert. Fälle wie der Anschlag von Winterbach rücken nun möglicherweise in ein anderes Licht.

Zahl der Todesopfer rechter Gewalt variiert stark

Opfer Laut der Polizei hat es seit 1990 bundesweit 48 Todesopfer rechter Gewalt gegeben. Die offiziellen Angaben wurden von mehreren Seiten angezweifelt, weshalb die Tageszeitung "Der Tagesspiegel" gemeinsam mit der Wochenzeitung "Die Zeit" die Opferzahlen prüfte. Deren Recherche ergab, dass in den vergangenen zwölf Jahren 148 Menschen von rechten Tätern getötet wurden, davon acht Personen in Baden-Württemberg. "Mut gegen rechte Gewalt", eine Aktion des "Stern" und der Amadeu-Antonio-Stiftung, kommt bundesweit sogar auf 182 Opfer.

Hilfe Opfer von Gewalttaten sollten sich an speziell ausgebildete Traumatherapeuten wenden. Diese findet man im Internet unter www.DeGPT.de oder www.emdria.de. Die Villa Lindenfels ist zurzeit belegt, hilft aber bei der Suche. StZ