Erst nach einjährigem Ringen mit der Justiz bekommt ein interessierter Bürger Einsicht in Jahrzehnte alte Grundbuch-Unterlagen. Der kuriose Grund: wegen der Digitalisierung gelten alle seit 1900 gefertigten Dokumente noch heute als aktuell.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Für Heimatforscher könnte das Grundbuchzentralarchiv Baden-Württemberg eine wahre Fundgrube sein. Wenn die Reform des Grundbuchwesens Ende nächsten Jahres abgeschlossen ist, werden im Salamander-Areal in Kornwestheim mehr als 180 Regalkilometer Akten lagern. Im Zuge der Digitalisierung und Zentralisierung landen dort nach und nach die papierenen Unterlagen aus allen Landesteilen. Das Justizministerium und das Landesarchiv als gemeinsame Hausherren sind mächtig stolz auf die moderne Einrichtung, die 2012 den Betrieb aufnahm. Neben den Grundbuchämtern erhielten auch interessierte Bürger dort auf Wunsch alle benötigten Unterlagen, versprach der frühere Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) einst bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem Chef des Landesarchivs, Robert Kretzschmar.

 

Von Interesse sind die Akten unter anderem für Hobbyhistoriker. In der Heimat- und Familienforschung gelten sie als eine der wichtigsten Quellen. Sie dienen etwa als Grundlage für Hauskataster, in denen Geschichts- und Heimatvereine die Eigentümer und Bewohner historischer Gebäude aufgeführt haben. Doch der Zugang zu den Unterlagen im Zentralarchiv kann zu einem wahren Hürdenlauf werden, wie jetzt ein interessierter Bürger erfahren musste. Ans Ziel kam er erst nach mehr als einjährigem Ringen mit der Justiz.

Justiz hält Akten unter Verschluss

An seinem Wohnort im Großraum Stuttgart hat Hans Vogel (Name geändert) bereits zwei Heimatbücher verfasst. Als nächstes wollte er ein Hauskataster erarbeiten. Dazu beantragte er in Kornwestheim Einsicht in das alte, handschriftlich geführte Grundbuch für sein Elternhaus, das seine Großeltern um 1920 erworben hatten. Nach dem Archivgesetz habe schließlich jedermann das Recht, nach dem Ablauf von Sperrfristen – in der Regel 30 Jahre – Archivgut zu nutzen. Die erbetenen Akten seien sogar fast 100 Jahre alt, da sollte es kein Problem geben.

Doch die Dienststellenleiterin der Justiz in Kornwestheim verweigerte ihm den Einblick. Und der Statthalter des Landesarchivs zeigte sich auf eine Beschwerde hin machtlos: Man sei nur für „echtes Archivgut“ zuständig, nicht aber für „Registraturgut der Justiz“; um solches handele es sich bei den alten Grundbüchern. So bekam es Vogel auch vom Justizministerium bestätigt. „Die meisten der eingelagerten Unterlagen“ – nämlich die seit 1900 entstandenen – blieben in der Verwahrung der Justiz. Man brauche sie noch, um auf Dauer nachweisen zu können, dass bei einem Grundbucheintrag alles korrekt zugegangen sei. Nur jene Bestände, die ausgesondert werden könnten, bekomme das Landesarchiv.

Später Sieg vor dem Oberlandesgericht

Also beschritt Vogel den Rechtsweg, um die Akteneinsicht zu erzwingen. Beim Amtsgericht Heilbronn – zuständig als eines der 13, an denen die Grundbuchführung inzwischen zentralisiert ist – erlitt er zunächst eine Niederlage. Es bestätigte die Ablehnung aus Kornwestheim, weil die Familien- und Ahnenforschung nicht unter das geforderte wissenschaftliche Interesse falle. Es fehle nämlich am „gesellschaftlichen oder historischen Gesamtkontext“.

Erst beim Oberlandesgericht Stuttgart hatte der Heimatforscher schließlich Erfolg. Das Amtsgericht habe die Akteneinsicht „ermessensfehlerhaft nicht bewilligt“, entschied der zuständige Zivilsenat (Aktenzeichen 19 VA 5/16). Auf den Gesamtkontext, so die Richter, komme es gar nicht an. Das Gesetz nenne als Voraussetzung für die Einsicht nur, das dadurch „unterstützungswürdige Zwecke, insbesondere Studien geschichtlicher und volkswirtschaftlicher Art gefördert“ würden. Belange der jetzigen Eigentümer oder der Datenschutz dürften nicht berührt werden – aber damit habe das Amtsgericht sein Nein ohnehin nicht begründet. Zudem erinnert das OLG an das neue Gesetz zur Informationsfreiheit: Zugang zu behördlichen Informationen sei danach in der Regel zu gewähren, die Verweigerung sei die Ausnahme. Eine Beschwerde gegen den Beschluss wurde nicht zugelassen.

Sonderweg im Südwesten mit Folgen

Für Vogel ist der Erfolg zwar erfreulich. Auch anderen Familien- und Heimatforschern müsse das Grundbuchzentralarchiv nun Einblick in alte oder uralte Unterlagen geben. Doch der Weg per Einzelantrag bleibe mühsam, nach dem Archivrecht könnten solche Unterlagen sehr viel unkomplizierter kurzfristig in den Lesesälen eingesehen werden. In anderen Bundesländern sei das ohne weiteres möglich. Warum es in Baden-Württemberg nicht geht, bekam er vom Landesarchiv erklärt: Das Land habe sich für ein anderes Verfahren bei der Digitalisierung von Grundbüchern entschieden, durch das die Daten besser maschinenlesbar seien; eine „bildliche Kopie“ werde dabei nicht hergestellt. Es habe zur Folge, dass Grundbücher mit „rechtserheblichen Altdaten“ nicht geschlossen werden könnten, sondern Dokumente der Justiz blieben. Die Chancen, an der Rechtslage etwas zu ändern, halte man für „sehr gering“.