Er ist 18 Jahre alt, und er weiß, genau was er will. Der Red-Bull-Pilot Max Verstappen verteidigt im Interview vor dem Formel-1-Rennen an diesem Sonntag auf dem Hockenheimring seinen aggressiven Fahrstil.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)
Herr Verstappen, Sie sind von Toro Rosso zu Red Bull befördert worden. Was hat Sie in Ihrem neuen Team besonders beeindruckt?
Das war ein großer Schritt, weg von einem Nachwuchsteam in eine Mannschaft, die mehrere WM-Titel gewonnen hat. Es ist alles noch professioneller, alles findet auf einem noch höheren Niveau statt. Zum Beispiel wird viel Wert auf die Boxenstopps gelegt, damit sie absolut perfekt werden. Ehrlich, ich war echt beeindruckt, wie das hier läuft.
Wo liegen die Hauptunterschiede im Auto?
Eigentlich überall. Der Red Bull ist schnell in langsamen und schnellen Kurven, und er hat mehr Abtrieb. Ein echt starkes Auto.
Wie fällt Ihr persönliches Fazit aus, da die erste Saisonhälfte abgeschlossen ist?
Ganz gut, ich kann mich wirklich nicht beklagen. Ich habe meinen ersten Grand-Prix-Sieg in Barcelona gefeiert – ich bin damit neben den Mercedes-Piloten der einzige Fahrer, der ein Rennen gewonnen hat. Und Mercedes ist wirklich sehr dominant. Beim Großen Preis in Silverstone habe ich die Mercedes-Jungs in der ersten Rennhälfte ganz schön gefordert, das war gut. (Überlegt) Und dann stand ich ja noch zweimal auf dem Podium. Es lief besser, als ich erwartet hätte, ich bin zufrieden – aber natürlich gibt es immer noch etwas zu verbessern.
Sie sind der jüngste Grand-Prix-Sieger.
Ganz ehrlich, das spielt für mich keine ganz so wichtige Rolle. Dass ich einen Rennsieg eingefahren habe, das ist wichtig – ich bin neu zu Red Bull ins Team gekommen, und dann gelingt mir gleich in meinem ersten Einsatz ein Sieg. Das war schon einmalig und hat mich sehr bewegt.
Sie gelten als guter Angreifer im Cockpit. Woran liegt das? Führen Sie Buch über Ihre Konkurrenten, oder studieren Sie Rennvideos?
Es ist vor allem mein Bauchgefühl, oder nennen Sie es Renninstinkt.
Mehr nicht?
Natürlich schaut man in den freien Trainings, wie sich der eine oder andere Kollege an bestimmten Streckenabschnitten verhält, wo er stark ist und wo er vielleicht Schwächen offenbart. Aber ich führe nicht Buch über meine Gegner.
Nicht wie im Fußball sich Torhüter notieren, welcher Schütze üblicherweise wohin schießt?
Nein, das würde nichts bringen. Natürlich könnte ich mir notieren, wie jeder andere fährt – aber wer garantiert mir, dass er sich beim nächsten Mal gleich verhält? Auch die anderen lernen dazu und entwickeln sich weiter. Außerdem ist jedes Rennen anders, die Situationen sind nie zu 100 Prozent vergleichbar. Finden Sie nicht auch? Vor zwei Jahren ist die Formel 1 hier in Hockenheim gestartet, aber ich bin mir sicher: In diesem Jahr, wenn die Ampeln ausgehen, wird der Start ganz anders als 2014 ablaufen.
In Budapest hatten Sie mit Kimi Räikkönen ein knallhartes Duell. Haben Sie sich mit ihm darüber ausgesprochen?
Nein, das war doch gar nicht nötig. Ich bin Fünfter geworden.
Na ja, einige Ihrer Kollegen haben hier in Hockenheim gesagt, Sie hätten sich in Budapest ziemlich unfair verhalten, weil Sie mehrfach die Linie gewechselt hätten.
Nun, die Rennkommissare haben die Szenen alle gesehen und nichts unternommen. Also war alles okay. Außerdem muss ich mal festhalten: Wir fahren Formel 1 und kämpfen um Positionen, wir veranstalten keine Sonntagsfahrten. Es heißt doch nicht: Gut, ich sehe, du bist schneller, also lasse ich dich vorbei. Und Budapest ist außerdem eine Strecke, auf der es unglaublich schwierig ist zu überholen.
Welches war Ihr bestes Manöver dieses Jahr?
Das war in Silverstone gegen Nico Rosberg. Es ist verdammt schwer, einen Mercedes zu überholen. Wenn dir das gelingt, dann kämpfst du um die Spitze. Das war echt klasse – besonders, weil ich damals wegen der Gischt eine schlechte Sicht hatte.
Wie kommen Sie mit Teamkollege Daniel Ricciardo zurecht – und er mit Ihnen?
Gut, wirklich gut. Wir spornen uns gegenseitig zu besseren Leistungen an, wir bringen das Team vorwärts. Wir respektieren uns neben und auf der Strecke.
Ist sein Respekt für Sie gestiegen, nachdem Sie in Barcelona gewonnen hatten?
Keine Ahnung, darauf habe ich nicht geachtet. Zwischen uns hat das Verhältnis im Grunde von Beginn an gepasst, Danny ist ein aufgeschlossener Kerl, mit dem so ziemlich jeder gut zurechtkommt. Außerdem bin ich ja nicht in eine ganz neue Welt gekommen. Ich war davor bei Toro Rosso, das Team gehört ja auch zu Red Bull.
Sie haben zur Halbzeit 100 WM-Punkte – was kommt jetzt noch?
Schwer zu sagen. Nun, wir wollen die Lücke zu Ferrari schließen, in der Konstrukteurs-WM liegen wir nur noch einen Punkt dahinter. Das wird unser Hauptziel sein. Und ich möchte meine guten Ergebnisse bestätigen.
Ihr Vater Jos ist nicht mehr so häufig bei den Rennen anwesend.
Meine Karriere läuft anscheinend in die richtige Richtung. Er hat seine Hauptaufgabe erfüllt und mich in die Formel 1 gebracht. (Pause) Na ja, außerdem hat er ja auch eine Familie und ein Zuhause. Ich muss jetzt meinen eigenen Weg gehen.
Im Fußball sind Deutsche und Niederländer keine Freunde – wie ist das in der Formel 1? Spielt es eine Rolle, ob Sie gegen Kimi Räikkönen oder gegen Sebastian Vettel kämpfen?
Nein, das ist mit Fußball nicht vergleichbar. Natürlich herrscht da eine Rivalität, aber sie ist nicht so extrem wie im Fußball.
Haben Sie Fans aus Deutschland?
Natürlich. Ich erkenne sie entweder daran, dass sie mich auf Deutsch ansprechen, oder an ihrem Akzent, wenn sie Englisch reden. Ich sage dann: Du kannst ruhig Deutsch mit mir sprechen. Und ich bin mir sicher: Sebastian hat auch Anhänger aus Holland.
Apropos Anhänger. Die Deutschen machen sich oft lustig über Ihre Landsleute, die mit Wohnanhängern durch ganz Europa reisen. Hat man Sie auch schon damit aufgezogen?
Ja, Sebastian hat mal in einer Pressekonferenz ein Späßchen darüber gemacht. Ich findet das nicht schlimm – und wenn ich ehrlich bin: Es ist ja auch nicht erfunden. Wir fahren eben häufig mit unseren Wohnwagen in Urlaub, für uns ist das völlig normal.
Haben Sie auch einen?
Nein. (Lacht)
Was geht am Sonntag in Hockenheim – ohne Anhänger? Der zweite Grand-Prix-Sieg?
Dazu ist Mercedes noch zu stark. Wir brauchen Glück und besondere Umstände wie einen Unfall zwischen den Silberpfeilen, um sie bei normalen Bedingungen zu schlagen.