Die Abstimmung über die schottische Unabhängigkeit ist auch die Abstimmung über zwei politische Kulturen. Eine Kommerzialisierung des Bildungs- und Gesundheitsbereiches wie in England will man in Schottland nicht mitmachen.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Edinburgh - Die schottischen Nationalisten haben sich viel vorgenommen. Im September nächsten Jahres wollen sie ihr Land von der „englischen Fessel“ befreien. In Schottland hat mit Blick auf das Referendum die Schlacht um nationale Unabhängigkeit begonnen. Im Augenblick aber sieht es nicht danach aus, dass sich die Mehrheit der Schotten wirklich aus dem Vereinigten Königreich verabschieden will.

 

Die Umfragen deuten darauf hin, dass die Union erhalten bleibt. Vor allem sieht sich der Führer der Nationalisten, Schottlands Ministerpräsident Alex Salmond, einem formidablen Gegner gegenüber. Sämtliche großen Parteien haben gegen sein Braveheart-Trüppchen Front gemacht. Sie alle wollen verhindern, dass Schottland seiner Wege zieht. Gemeinsam haben sie für den Fall einer Verselbstständigung Schottlands ein düsteres Bild wirtschaftlichen Niedergangs und finanzieller Einbrüche an die Wände gepinselt.

Wenige haben an ein Referendum geglaubt

Doch man darf Alex Salmond nicht unterschätzen. In seiner langen politischen Karriere hat der Ökonom die britische Öffentlichkeit immer wieder überrascht. Noch vor wenigen Jahren hätten ihm die wenigsten Briten zugetraut, seine Nationalisten in Schottland einmal zur Regierungspartei zu machen und mit London ein Unabhängigkeits-Referendum für seine Heimat auszuhandeln. In den kommenden Monaten bietet sich Salmond noch einiges an Gelegenheiten, Stimmung zu machen. Vor allem, wenn „drunten“ in London weiter rabiat Sozialabbau betrieben wird. Denn mit der Westminster-Politik haben die wenigsten Schotten etwas am Hut.

Seitdem die Tories unter Margaret Thatcher mit einer sträflichen Vernachlässigung Schottlands dem schlummernden Nationalbewusstsein im Norden Auftrieb gaben, haben sich die Wege der zwei politischen Kulturen immer deutlicher getrennt. Labours Tony Blair glaubte noch, mit begrenzter Selbstverwaltung in Schottland und der Einsetzung eines Landesparlaments und einer Landesregierung Separatisten-Gelüste auf kleiner Flamme zu halten. Die begrenzte Selbstverwaltung aber gab den Schotten erstmals die Chance, auch eine alternative Politik zu der Londons zu entwickeln.

So wie die Engländer wollen die Schotten nicht werden

Die immer nachhaltigere Kommerzialisierung des Bildungs- und des Gesundheitsbereichs in England zum Beispiel mochte man in Schottland nicht mitmachen. Auch nicht den scharfen Sozialabbau der letzten Jahre. Von freier Altersfürsorge etwa oder von Arzneien ohne Rezeptgebühren, wie es sie in Schottland gibt, kann man in England nur träumen. Englische Studenten müssen, weil die Londoner Regierung Bildung als Ware begreift, 9000 Pfund im Jahr an Studiengeld bezahlen. Für schottische Studenten in Schottland ist das Studium bis heute gratis.

Je radikaler der gesellschaftliche Umbau in London weiter geht, desto stärker hebt sich ein sozial orientiertes Modell wie das schottische vom englischen ab. Auch dass so viele Menschen in England den Ausstieg aus der EU verlangen, beunruhigt eine nicht geringe Zahl von Schotten. Antieuropäisches Ressentiment ist (ähnlich wie bei den irischen Nachbarn) nicht Teil der politischen Identität der Schotten.