Muslime, die in Deutschland leben, wollen zunehmend nicht in ihren Herkunftsländern, sondern auf hiesigen Friedhöfen bestattet werden – allerdings nach islamischer Tradition. Dafür hat Baden-Württemberg das Gesetz geändert.

Stuttgart - Es sind ungewohnte Klänge, die auf dem Mannheimer Hauptfriedhof zu hören sind. Mit voller, zuweilen etwas kehliger Stimme rezitiert der Imam Ismail Yilmaz singend Verse aus dem Koran. An die hundert Gäste, überwiegend Vertreter muslimischer Gemeinschaften und Gruppen der Stadt, lauschen andächtig. Wenig später enthüllen der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) und Mustafa Akpinar, der Attaché für religiöse Angelegenheiten des türkischen Generalkonsulats in Karlsruhe, den sogenannten Qibla-Stein.

 

Die Säule aus schwarzem Granit weist – am Rand des neuen muslimischen Gräberfeldes in Mannheim, das vor einigen Tagen eröffnet worden ist – die Richtung nach Mekka. Um 1980 hatte die Stadt in ihrem schönen, parkartigen Hauptfriedhof ein erstes muslimisches Gräberfeld angelegt. „Bis Ende 2010 hat das ausgereicht, 140 Menschen sind bis dahin dort begraben worden“, schildert OB Kurz. Danach sei klar geworden, dass eine Erweiterung nötig sein werde, weil die Nachfrage kontinuierlich steige. Man habe gemeinsam den Dialog gesucht und die Wünsche und Anforderungen erörtert, sagt Kurz.

„Das ist ein wichtiges Zeichen für die Integration“

Dabei habe in wesentlichen Punkten Einigkeit geherrscht: „Die Fläche sollte als eigener Bereich erkennbar, aber nicht ausgegrenzt sein, und sie sollte genug Platz auch für künftige Erweiterungen bieten.“ Vieles von dem, was man seither gemeinsam umgesetzt habe, sei zunächst „nicht so einfach zu realisieren gewesen“, betont der Oberbürgermeister. Doch inzwischen seien unter anderem das lange Nutzungsrecht für die Gräber – es währt 50 Jahre –, die Bestattung ohne Sarg und der Bau eines Wasch- und Gebetsraums im kommenden Jahr beschlossene Sache.

Auf dem neuen Gräberfeld bietet das Friedhofsamt fürs erste Platz für 80 neue Gräber, in denen Muslime ihren Regeln entsprechen bestattet werden können. „Das Grab als die letzte Ruhestätte hat für jede Gesellschaft ein besondere Bedeutung“, sagt Akpinar. Bis vor zehn Jahre hätten die meisten seiner Landsleute noch eine Beisetzung in ihrem alten Heimatland bevorzugt, doch mittlerweile wollten mehr und mehr der hier Lebenden nach ihrem Tod auch „vor Ort“ bestattet werden. „Das ist ein wichtiges Zeichen für die Integration“, sagte Akpinar. Zudem habe er die Hoffnung, dass die Änderung des Bestattungsrechts in Baden-Württemberg, an der auch die Stadt Mannheim großen Anteil habe, einen Beitrag zum weiteren Zusammenwachsen der Gesellschaft leiste.

Bestattungsgesetz wurde im März geändert

Ende März hatte der Landtag die Novelle des Bestattungsgesetzes einmütig beschlossen. Integrationsministerin Bilkay Öney sprach von einem „deutlichen Zeichen, dass wir religiöse Vielfalt anerkennen“. Die für die Muslime wohl wichtigste Änderung ist der Wegfall der Sargpflicht. Außerdem entfällt die 48-Stunden-Mindestfrist vom Eintritt des Todes bis zur Beerdigung. Künftig ist die Bestattung möglich, sobald der Arzt jede Möglichkeit eines Scheintodes ausgeschlossen hat. Diese Neuerung ist übrigens nicht nur für die muslimischen Gemeinden, sondern auch für die jüdische Community von Bedeutung. „Auch im Judentum gilt das Gebot der schnellen Bestattung“, sagt Lars Neuberger von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg. Integrationspolitisch aber zielt die Neuregelung vor allem auf die etwa 600 000 Muslime im Südwesten. Integration müsse sich auf die ganze Spanne des Lebens beziehen, betont Öney.

Entgegenkommen der hiesigen Gesellschaft wichtig für Integration

Dass das Gesetz Früchte tragen wird, davon ist Talat Kamran, der Leiter des Mannheimer Instituts für Integration und interreligiösen Dialog, fest überzeugt. Wenn die Politik auf so sensible Themen wie die Bestattungskultur eingehe, sei das sehr gut, sagt er. Gerade der Wegfall der Sargpflicht wirke integrativ. Solche Zugeständnisse seien wichtig für die Beheimatung der Migranten und ihrer Nachkommen, unterstreicht Kamran: „So entsteht das Gefühl, ich werde anerkannt, meine Kultur wird geschätzt, ich bin hier zu Hause.“ Zu Recht werde von den muslimischen Zuwanderern erwartet, dass sie sich integrieren, sagt der Institutsleiter. Aber für ein glückliches Zusammenleben bedürfe es auch des Entgegenkommens der hiesigen Gesellschaft: „Wir sind schließlich alle nur Menschen.“ Talat Kamran geht davon aus, dass die Zahl der muslimischen Bestattungen in den kommenden Jahren deutlich ansteigen wird. Nicht nur wegen des neuen Gesetzes, sondern auch infolge des Generationswandels.

Yildiray Sahin vom türkisch-islamischen Kulturverein in Meßkirch (Kreis Sigmaringen) sagt, die erste und die zweite Generation der Zuwanderer pflegten noch eine enge Verbindung zur alten Heimat, weshalb nach dem Tod die Überführung der Leiche in die Türkei üblich sei. In der dritten und vierten Generation hingegen nehme der Bezug deutlich ab. „Die Jungen identifizieren sich mit dem deutschen Staat und sehen Deutschland als ihre Heimat an.“ Langfristig werde sich niemand mehr in der Heimat der Vorfahren bestatten lassen.

Anlage islamischer Grabfelder im Südwesten wird einfacher

Sahin gehört zu den Initiatoren eines ausgedehnten islamischen Gräberfeldes in Meßkirch. Den Anstoß hatte eine deutschstämmige, aus Usbekistan eingewanderte Muslimin – Gerda Paul – gegeben, die von Sahin wissen wollte, wo sie denn gemäß ihres muslimischen Glaubens dereinst begraben werden könne. Sahin, der an der Universität Stuttgart zum Ingenieur ausgebildet wurde, erarbeitete daraufhin einen Antrag für ein islamisches Gräberfeld. Dafür wurde auch ein spezieller Sarg entwickelt, der den islamischen Begräbnissitten entgegenkommt. Im Meßkircher Bürgermeister Arne Zwick fand er einen aufgeschlossenen Gesprächspartner. Im Herbst 2012 wurde das Gräberfeld eingeweiht. Gerda Paul hat das allerdings nicht mehr miterleben können.

Mit dem neuen Bestattungsrecht wird die Anlage islamischer Grabfelder im Südwesten erleichtert. Bei der Eröffnung in Mannheim sagt Rapid Kadrija, Sprecher der Arbeitskreises Islamischer Gemeinden in Mannheim: „Wir sind hierhergekommen, unsere Kinder kommen hier zur Welt, wir sterben hier, und hier werden wir auch bestattet.“ Deutschland sei kein vorübergehendes Gastgeberland, „es ist eine neue Heimat“.

Mannheims OB Kurz erwidert, wo sich jemand daheim fühle, dafür gebe es viele Definitionen. Für die einen sei Heimat da, wo sie geboren wurden, für die anderen in der Umgebung, in der sie verstanden werden, sagt er: „Und vielleicht ist die Heimat auch da, wo man sein Grab finden möchte.“