Er hat die Grundlage für die Reformation in Württemberg gelegt, beliebt ist er dennoch nicht: Der in seinen frühen Jahren rücksichtslose und gewaltätige Herzog Ulrich hat bis heute einen zweifelhaften Ruf.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Um das Jahr 1517, als in Wittenberg der Augustinereremit Martin Luther daran ging, die christliche Welt aus den Angeln zu heben, bekam man davon in Stuttgart nur wenig mit. Die unbedeutende Residenzstadt war mit vielleicht 5000 Einwohnern zwar nicht ganz klein, die Bevölkerung aber bestand mehrheitlich aus armen Rebleuten und Handwerkern. Auch das gehobene Bürgertum, die Ehrbarkeit, hatte nicht das Format, wie man es etwa von den gebildeten und einflussreichen Patriziern der auch größeren Reichsstadt Esslingen kannte, die als Handelszentrum stärker mit den damaligen Zeitläuften verbunden war. Für den Keim der Reformation war Stuttgart in diesen Jahren kein guter Boden.

 

Ulrich hatte andere Sorgen als die Reformation

Vor allem hatte Herzog Ulrich, der Regent, von dem hier alles abhing, ganz andere Sorgen. „Württemberg taumelte von einer Krise in die andere“, sagt der Historiker und Theologe Tilman Schröder. Der langjährige Stuttgarter Hochschulpfarrer ist ein profunder Kenner der Reformationsgeschichte. Der unreife, ungezügelte und häufig gewalttätige Herrscher manövrierte sich und sein Herzogtum in wenigen Jahren in eine politisch völlig verfahrene Lage. 1514 brachte der wegen seiner Kriegszüge und seiner aufwendigen Hofhaltung hoch verschuldete Ulrich die arme Bevölkerung gegen sich auf, als er eine Verbrauchssteuer auf Fleisch, Wein und Getreide erhob. Nur mit Mühe und unter Mithilfe der Ehrbarkeit konnte Ulrich den Bauernaufstand des Armen Konrad niederschlagen. Ein Jahr später sorgte der Herzog für einen Skandal, als er Hans von Hutten ermordete. Sein langjähriger Stallmeister wollte Ulrichs Verhältnis zu seiner Frau Ursula nicht mehr weiter dulden. Da erstach der Herzog seinen treuen und arglosen Diener bei der Jagd im Schönbuch.

Den Bogen überspannt hat der auch für die damaligen Verhältnisse brutale Herzog, als er 1519 Reutlingen überfiel. Die freie Reichsstadt war ihm schon lange ein Dorn im Auge seines württembergischen Territoriums. Nun schritten seine früheren Verbündeten vom Schwäbischen Bund ein – und vertrieben Ulrich aus seinem Land.

Im Exil reifte seine Persönlichkeit

Die folgenden, für die Entwicklung der Reformation so wichtigen Jahre verbrachte Herzog Ulrich im Exil. Er floh in die burgundische Grafschaft Mömpelgard, die vier Jahrhunderte zu Württemberg gehörte, und verbrachte einige Zeit in der Schweiz. Verschiedene Male versuchte Ulrich, sein Herzogtum zurückzuerobern, ohne Erfolg.

Mit den Jahren mäßigte sich der oft so rücksichtslose Herrscher, der keine einfache Jugend hatte. Kurz nach der Geburt 1487 im elsässischen Reichenweiher verlor er die Mutter. Mit dem Vater, Graf Heinrich, erging es ihm nicht besser. Eberhard im Barte, der Onkel und mächtige Chef der Württemberger, ließ den Bruder wegen wilder und unkontrollierter Wutausbrüche festsetzen, Ulrich war gerade drei Jahre alt. „Das Kind wuchs ziemlich alleingelassen und wild auf“, sagt Tilman Schröder. Früh geriet er in die machtpolitischen Ränke der Zeit. Der spätere Kaiser Maximilian I., ein Habsburger, sorgte dafür, dass Ulrich schon mit elf Jahren als Herzog eingesetzt wurde.

1529 traf er Luther und Zwingli

Günstig auf Ulrich wirkte sich der Einfluss des Landgrafen Philipp von Hessen aus. Am Hofe dieses fähigen Anführers der lutherischen Partei unter den deutschen Fürsten fand Ulrich von 1526 bis 1534 Zuflucht. Wie in der Schweiz kam der Herzog dort mit der Reformation in Berührung. Beim Marburger Religionsgespräch 1529, wo neben Luther auch Philipp Melanchthon, der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli und Johannes Brenz zugegen waren, traf man auch Ulrich unter den Zuhörern.

Wie stark das Motiv der Frömmigkeit neben dem des Machtkalküls bei Ulrich war, lässt sich nur schwer sagen, Politik und Religion waren damals untrennbar verquickt. Als er mit Hilfe des hessischen Landgrafen nach der siegreichen Schlacht bei Lauffen 1534 sein Herzogtum zurückbekam, führte er jedenfalls sogleich die Reformation ein.

Bei der letzten katholischen Messe gab es viele Tränen

Als man am 2. Februar 1535 in der Stiftskirche die letzte Messe feierte, wurde viel geheult im Gottesdienst. Der Anteil der Altgläubigen war in Stuttgart noch hoch. Insbesondere die Ehrbarkeit blieb mehrheitlich katholisch. Nach der Vertreibung Ulrichs hatte sich das gehobene Bürgertum mit den neuen Machthabern, den Habsburgern, arrangiert. Die moderne Verwaltung des Hauses Österreich und die Karrierechancen in dem katholischen Großreich hatten Vorteile für die Oberschicht. Bei aller Kritik am Klerus gab es zu jener Zeit in der Bevölkerung auch „keine Krise der Frömmigkeit“, sagt Tilman Schröder. Anders war die Stimmung unter der ärmeren Landbevölkerung, die nicht von der Herrschaft der Habsburger profitiert hatte und deren Anhänglichkeit an den Herzog größer war. In dieser Lage trieb Ulrich die Reformation durch einen ungewöhnlich Schritt weiter voran. Auf der einen Seite war er Philipp von Hessen und dem Luthertum verpflichtet, auf der anderen den Schweizer Zwinglianern und den mit diesen verbundenen oberdeutschen Städten. So berief Ulrich gleich zwei Reformatoren: den Lutheraner Erhard Schnepf und Ambrosius Blarer aus Konstanz. Die Weinsteige bildete die Grenze ihrer Gebiete, Schnepf war für den Norden des Herzogtums zuständig („unter der Steig“), Blarer für den Süden („ob der Steig“). Obwohl die beiden Lager theologisch etwa in der Abendmalfrage zerstritten waren, erwies sich Ulrichs „geniale Schnappsidee“ (Schröder) immerhin für eine kurze Zeit als tragfähig. Im Jahr 1535 einigte man sich auf die Stuttgarter Konkordie. Der evangelische Gottesdienst in Württemberg mit seiner Wortlastigkeit und dem Abendmal eher als Ausnahme denn als Normalfall ist bis in die Gegenwart oberdeutsch-zwinglianisch geprägt.

Viele Katholiken gingen, Protestanten kamen von außerhalb

Mit der Zeit wuchs auch in Stuttgart langsam der Anteil der Evangelischen. Geistliche, die sich nicht der Reformation anschlossen, wurden durch protestantische Pfarrer etwa aus Hessen oder der Schweiz ersetzt. Viele Altgläubige, ein Großteil der Oberschicht und fast der komplette Adel verließen in diesen Jahren Württemberg. „Viele gingen mit den Österreichern, ihre Treue zu Habsburg wurde ihnen versilbert“, sagt Tilman Schröder. An ihre Stelle zogen nach und nach Protestanten von außerhalb zu.

An diesen Verhältnissen änderte sich auch nichts, als die Protestanten im Schmalkaldischen Krieg gegen die katholische Partei unterlagen und Ulrich erneut unter Druck geriet. Trotz der Gefahren blieb er standhaft beim neuen Glauben, wie jetzt auch seine Untertanen. Diese Kraftnatur von einem Renaissancefürsten hatte aus seinem Herrschaftsgebiet ein evangelisches Herzogtum geformt. Als Ulrich 1550 starb, war der Boden für seinen Sohn Christoph und dessen Reformator Johannes Brenz bereitet.

In unserer morgigenAusgabe folgt der Beitrag über Johannes Brenz.