Wer braucht schon eine Geschäftsordnung für den Gemeinderat? Wir nicht, finden die Hemminger Räte – und müssen sich nun trotzdem fügen.

Hemmingen - Ich kann, weil ich will was ich muss.“ Das soll der große Philosoph Immanuel Kant dereinst gesagt haben. Gemeint war wohl so etwas wie: Motivation macht auch die ödeste und blödeste Aufgabe weniger öde und blöde.

 

Auch der Hemminger Gemeinderat muss etwas – sich eine Geschäftsordnung erlassen. Das ist in den allermeisten anderen Kommunen längst Usus, in dem 7500-Einwohner-Ort hält man nicht viel von der Idee. Der Erlass einer Geschäftsordnung, heißt es in einer Sitzungsvorlage, sei aber „nunmehr doch geboten“. Es muss schließlich alles seine Ordnung haben, oder, wie es der Hauptamtsleiter Ralf Kirschner formuliert: „Es ist heutzutage so, dass vieles schriftlich festgelegt werden muss.“ Von wollen, was getan werden muss, kann im Hemminger Rat jedenfalls keine Rede sein. Schon vor drei Jahren war die Idee nicht eben auf Gegenliebe gestoßen, die Meinung der Räte hat sich seither nicht nennenswert verändert. „In Deutschland muss alles geregelt werden“, hatte der Freie Wähler Jörg Haspel bei einer früheren Beratung beklagt. „Man redet drei Stunden darüber, wer wie lange reden darf, und dann wird doch reingequatscht.“

Allein, es hilft nichts: Am Dienstag ging es im Verwaltungsausschuss um die Details des künftigen Regelwerks. Man hat sich umgeschaut bei den Nachbarn – und festgestellt, dass man eine Passage über die Befugnisse des Beigeordneten getrost streichen kann (aus Mangel an eben Jenem). Auch ein Ältestenrat ist nicht vorhanden, was die SPD aber zu der Frage veranlasst hat, ob so etwas nicht eine gute Idee wäre. Geklärt werden musste auch, wer wen unterbrechen darf: nur der Bürgermeister oder alle Gemeinderäte?

Dieser Punkt ist nicht unwichtig für das Gremium, denn bisher wird rege diskutiert – und eine Rednerliste ist oft das Letzte, von dem sich ein aufgebrachter Volksvertreter aufhalten lässt. Diese Diskussionskultur möchte man eigentlich gerne beibehalten, statt wie anderswo stoisch vorab verfasste Redebeiträge zu rezitieren.

Weitere knifflige Fragen: können Unterlagen auch elektronisch übermittelt werden, und wie definiert man eigentlich öffentliches Wohl? Es geht um die Stellung von Fraktionen und Einzelkämpfern im Rat, und darum, was öffentlich beraten werden soll und was nicht. Selbst das Wörtchen „dazu“ kommt ganz groß raus, als es darum geht, ob es einer bestimmten Passage nicht gut zu Gesicht stehen würde.

Begeisterung macht sich ob all dieser bald wohl klaren Regelungen nicht breit. „Hat ja bisher auch funktioniert“, findet Martin Pfeiffer (CDU) und garniert diese Meinung mit einer Fußballmetapher: „Ein gutes Spiel zeichnet sich nicht dadurch aus, dass der Schiri ständig eingreift.“ Einig wird man sich am Ende doch, nun muss noch der Gemeinderat abstimmen. Ob die Spielregeln beachtet werden, wird sich zeigen. Der CDU-Rat Walter Bauer jedenfalls, bekannt für spontane Reaktionen, unterbricht irgendwann Elke Kogler (SPD), die gerade die Vorteile eines Ältestenrats aufzählt. Der Bürgermeister greift geistesgegenwärtig ein (Geschäftsordnung! Rednerliste!). Das Spiel ist unterbrochen, der Zwischenstand: Bürokratie: 1, Diskussionskultur: 0.