Mit ihrer absoluten Mehrheit setzt die CSU in Bayern ein eigenes Integrationsgesetz durch. Wer gegen die Verhältnisse hierzulande agiert, der muss an einem Nachhilfekurs in freiheitlicher Demokratie teilnehmen. Das gilt nicht nur für Zuwanderer.

München - Die beiden Meldungen kamen am Freitag im Abstand von nur wenigen Stunden. Die erste betraf das Bayerische Integrationsgesetz, das die CSU im Landtag nach 16-stündiger, erbitterter Debatte am frühen Morgen durchgesetzt hat und das den Zuwanderern erstmals „die Leitkultur“ gesetzlich als „zu respektieren“ vorschreibt. Die zweite Meldung betraf „13 Traditionen und Bräuche aus Bayern“, die „neu in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen“ worden seien. Zu diesen zählen laut offiziellen Angaben „das Feldgeschworenenwesen, das historische Festspiel «Der Meistertrunk» in Rothenburg ob der Tauber, das Wunsiedler Brunnenfest und der „Zwiefache“ aus der Volksmusik.

 

Bräuche oder Leitkultur?

Gehören mit dieser Aufwertung die „13 Traditionen und Bräuche“ nun auch zur Leitkultur? Also zu jener „identitätsbildenden Prägung unseres Landes“, welche „der Integration die notwendige Richtung gibt“, wie es in der Gesetzesvorlage heißt? Wahrscheinlich schon, denn die Präambel hält geradezu hymnisch fest: „Ganz Bayern ist geformt von gewachsenem Brauchtum, von Sitten und Traditionen.“ Vielleicht fallen jene 13 Bräuche aber auch nicht unter „Leitkultur“. Nichts Genaues weiß man nicht, denn so wie das neue CSU-Gesetz diesen Begriff umreißt, ist er rechtlich dermaßen unbestimmt, dass nicht nur die politische Opposition, sondern auch Fachjuristen meinen, er habe in einem Gesetz nach bundesdeutsch-rechtsstaatlichem Standard nichts verloren.

Schwammiger Begriff

Auffällig drückt sich der Gesetzestext um die nahe liegende Vermutung herum, die CSU wolle den Migranten – unter diesem Begriff fasst sie zur Zuzügler aus Nicht-EU-Staaten – allein bayerische Normen auferlegen. Das Gesetz spricht nur von „der“ Leitkultur; das Attribut „bayerisch“ taucht nicht auf. Und wer dagegen „beharrlich“ agiert – „durch demonstrative Regelverstöße, Verunglimpfen oder sonst durch nach außen gerichtetes Verhalten“, der „kann durch die Sicherheitsbehörden verpflichtet werden, sich einem Grundkurs über die Werte“ zu unterziehen. Aber wer wogegen verstößt: gegen die ominöse Leitkultur? Gegen deren Werte? Nein. Es muss dafür schon „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ als solche gehen, befindet das Gesetz – und gibt zwischen den Zeilen damit selber zu, dass der Begriff „Leitkultur“ allein zu schwammig ist, um in konkreter Paragrafensprache irgendwelche Rechtsverschärfungen durchzusetzen.

Verpflichtender Nachhilfekurs

Auf jeden Fall, und das ist eine der Neuheiten in diesem Gesetz: den verpflichtenden Nachhilfekurs in freiheitlich demokratischer Grundordnung soll es tatsächlich geben, und auch die Geldbuße bei Nichtteilnahme. Interessanterweise, „schon um nicht diskriminierend zu sein“, sieht die CSU in der offiziellen Gesetzesbegründung eine solche „Belehrung“ auch für renitente Deutsche vor. Wer da an die „Reichsbürger“ denkt, von denen es in Bayern nach Schätzungen des Innenministeriums mindestens 1700 gibt, liegt bestimmt nicht falsch.

Doch die empirische Basis ist offenbar dünn. Denn dort, wo es um den Finanzbedarf für die Demokratie-Nachhilfe geht, räumt die CSU unumwunden ein: „Die genauen Kosten sind derzeit nicht bezifferbar, da keine Erfahrungswerte hinsichtlich der Anzahl der Verstöße gegen die Rechts- und Werteordnung vorliegen und somit die benötigte Anzahl an Kursen nicht festgestellt werden kann.“

Konkreter wird das Gesetz da schon bei der Ausweitung der Polizeibefugnisse. Da sich „die Zahl der Straftaten innerhalb und am Ort von Ausländerunterkünften deutlich vergrößert“ hat, darf die Polizei nun auch an solchen Orten Personenkontrollen vornehmen. Die CSU-Gesetzgeber räumen ausdrücklich ein, dass das – „ebenso wie die Schleierfahndung“ – einen „Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit)“ darstellt; die „legitimen Schutzzwecke“ allerdings rechtfertigten eine solche Maßnahme.