Gab es eine politische Einflussnahme auf die Polizei im Konflikt um Stuttgart 21? Zumindest für den Beginn der Abrissarbeiten am Bahnhof geht die Landesregierung davon aus. Das schreibt sie in ihrem Bericht an den Landtag.

Stuttgart - Die Landesregierung erkennt in ihrem Bericht an den zweiten Untersuchungsausschuss des Landtags zum Schwarzen Donnerstag eine mit Dokumenten belegbare Einflussnahme der Regierung Stefan Mappus auf die Einsatzplanung der Polizei – allerdings nicht bezogen auf die Räumung des Mittleren Schlossgartens am 30. September 2010, sondern bereits zuvor beim Start des Abbruchs des Bahnhofnordflügels Mitte August desselben Jahres. Dabei rekurriert der am Montag übergebene Regierungsbericht auf die erst jüngst bekannt gewordenen Fundstücke aus dem Geschäftsbereich des Innenministeriums, konkret: aus den Reihen der Polizei.

 

Es geht unter anderem um die Bereitstellung eines Baggers für den Beginn der Abrissarbeiten. Das Stuttgarter Polizeipräsidium hatte die Aktion für die Nacht vom 23. auf den 24. August empfohlen, um den anschwellenden Protest gegen das Projekt Stuttgart 21 nicht weiter zu eskalieren. Statt dessen kam es aber in der Nacht zum 19. August zum Polizeieinsatz. Der frühere Stuttgarter Polizeipräsident Siegfried Stumpf bestätigte unlängst, über Dritte von einer Direktive des damaligen Ministerpräsidenten Mappus (CDU) gehört zu haben. Deren Wortlaut: „Holt den Bagger rein.“ Stumpf hielt das zu diesem Zeitpunkt für falsch, doch seine Einwände wurden übergangen. Ein zweiter Bagger sollte dann Ende August herangeschafft werden, auf Intervention des Landespolizeipräsidiums geschah dies dann erst Mitte September.

Machtdemonstration beim Baggerbiss

Weitere Dokumente beziehen sich auf eine „Tagung Polizeiliche Aufgaben“ am 10. September 2010 sowie auf eine Dienststellenleiterbesprechung beim Bereitschaftspolizeipräsidium am 28. September 2010. In Notizen von Teilnehmern ist davon die Rede, der Polizeipräsident Stumpf habe von einer „engen politischen Begleitung“ der Polizeieinsätze gesprochen. Das geht aus den Akten des Polizeipräsidiums Karlsruhe hervor. Stumpf sagte später, es sei bei der Äußerung nicht um einen konkreten Polizeieinsatz oder einen Termin gegangen. Vielmehr habe er allgemein die Polizeiarbeit im Kontext von Stuttgart 21 dargestellt. In Akten des Polizeipräsidiums Ludwigsburg findet sich die Wiedergabe einer Äußerung Stumpfs, Stuttgart 21 werde auf oberster politischer Ebene gesteuert, die Arbeitsebene – zu der auch die Polizei zähle – habe nur bedingt Einfluss.

Laut Regierungsbericht liegt es nach Sichtung der Akten nahe, beim Baggereinsatz in der Nacht zum 19. September von einer politischen Einflussnahme auszugehen. Für den Polizeieinsatz im Schlossgarten gebe es hingegen keine vergleichbaren neuen Anhaltspunkte – auch wenn aus einem Vermerk des Staatsministeriums hervorgeht, dass die Bahn auch mit einem späteren Beginn der Baumfällarbeiten im Schlosspark einverstanden gewesen wäre. Mit Blick auf den Schwarzen Donnerstag bietet der Bericht zwei gegensätzliche Interpretationen an: Entweder habe die politische Ebene Lehren aus den Erfahrungen beim Abriss des Nordflügels gezogen – obwohl der Bagger gegen den Rat der Polizei erfolgreich platziert worden war, stand das Gerät erst einmal still – und auf eine weitere Einflussnahme verzichtet. Oder die politische Führung habe sich ermutigt gesehen, auch in anderen Fällen gegen die Absichten der Polizeiführung Entscheidungsstärke zu beweisen. Welche Variante zutreffe, lasse sich aber nicht abschließend beurteilen.

Keine Verletzung der Parlamentsrechte?

Was die Vollständigkeit der Aktenübermittlung an den ersten Untersuchungsausschuss angeht, so kommt der Regierungsbericht bezüglich des Innenministeriums zu dem Ergebnis, es gebe keine Hinweise auf ein bewusstes Zurückhalten von Dokumenten. Deshalb könne auch keine Verletzung der Parlamentsrechte konstatiert werden. Zur Frage, ob eine von Mappus geplante Regierungserklärung zu Stuttgart 21 den zeitlichen Spielraum der Polizei eingeengt habe, liefert der Regierungsbericht keine grundstürzend neuen Informationen. Indes stellt er in seinem dem Staatsministerium gewidmeten Teil fest, dass der von der Stuttgarter Zeitung publizierte E-Mail-Austausch unter anderem zwischen Mappus und der damaligen Umweltministerin Tanja Gönner in den Akten des Staatsministeriums nicht vorgefunden wurde.