Vor drei Jahren hat Grün-Rot die Landtagswahl gewonnen. Was ist seither aus der „Politik des Gehörtwerdens“ geworden? Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) zog in einer Regierungserklärung Bilanz. Die Opposition findet diese mickrig.

Stuttgart - Wir machen es in Zukunft deutlicher.“ Diese Schlussfolgerung zieht Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) aus den Erfahrungen, die Grün-Rot mit seiner Politik für mehr Bürgerbeteiligung gemacht hat. Sie habe national und international Maßstäbe gesetzt, so der Regierungschef. Besser werden kann sie aber auch, indem die Spielregeln der Politik des Gehörtwerdens „von Anfang an noch klarer“ gemacht werden.

 

Damit müsste Grün-Rot bei der Opposition anfangen, denn CDU und FDP sehen keine Fortschritte hin zu mehr Bürgerbeteiligung. Wo es sie gebe, seien sie nicht wegen, sondern trotz der Regierung gelungen, so FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. CDU-Vormann Peter Hauk hielt Kretschmann vor: „Sie hören die Menschen in diesem Land nicht, Sie bevormunden sie.“

Am 27. März 2011 haben Grüne und SPD zusammen die Landtagswahl gewonnen. Das ist exakt drei Jahre her und darum der Anlass für eine Regierungserklärung im Landtag zu einem zentralen grün-roten Projekt: „Auf dem Weg zu mehr Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie in Baden-Württemberg“. Kretschmann umriss in seiner 30-minütigen Erklärung zunächst die Aufgabe. Mehr Demokratie zu wagen, sei „ein großes Versprechen und eine fortwährende Aufgabe für alle, die politische Verantwortung tragen“. Demokratie verkümmere, wenn sie nicht immer wieder erneuert werde. Darum habe Grün-Rot den Aufbruch zu mehr Bürgerbeteiligung und mehr direkter Demokratie gewagt.

Gesetz der lautesten Trompete

Beteiligung bedeute freilich nicht, die letzte Entscheidung zu treffen. „Es gilt nicht das Gesetz der lautesten Trompete“, sagte Kretschmann. Alle, auch die leisen Töne sollen gehört werden. „Alle Argumente fließen in die Entscheidung ein, aber am Ende wird entschieden und zwar von den dafür zuständigen Organen“. Nicht jeder könne erhört werden, „aber niemand soll überhört werden“. Kretschmann nannte als Beispiel das Verfahren bei der Schaffung des Nationalparks Schwarzwald. In dem Projekt stecke sehr viel Bürgerwille.

Dass man früher deutlich machen müsse „was geht und was nicht geht“, sei eine Erfahrung aus der dreijährigen Regierungszeit – gerade am Beispiel des Streits über den Nationalparks. Kretschmann sieht aber auch „eine Bringschuld der Bürgerschaft, zivilisiert für eine Sache einzutreten“. Das sei in der Nationalparkdebatte nicht immer der Fall gewesen. „Manchmal schießen die Emotionen durch die Decke“. Die gesellschaftlichen Bindungskräfte würden so aber nicht gestärkt, sondern eher weiter geschwächt.

Paradebeispiel Planungsleitfaden

Als Paradebeispiel diente dem Regierungschef der von der Staatsrätin Gisela Erler zusammen mit der Bauwirtschaft konzipierte Planungsleitfaden. Der, sagt Erler, lasse „andere Landesregierungen sehr auf uns schauen“. Pro Jahr 150 Projekte seien künftig verstärkter Bürgerbeteiligung zugänglich. Das bedeute laut Kretschmann auch: „Wir ermöglichen Kritik, das ist genau das Gegenteil von Ideologisierung“. Die Opposition beeindruckte das nicht. Der „staubtrockene Planungsleitfaden“ sei eigentlich keiner Regierungserklärung wert, sagte Rülke. Die „selbst ernannte Bürgerregierung hat Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden“, sagte Hauk. „Sie schweben auf Ihrer Ideologiewolke über den Menschen und wollen ihnen erklären, was gut und was schlecht für sie ist“, sagte Hauk weiter. „Das missfällt immer mehr Bürgern.“

Grün-Rot misstraue den Menschen. Man traue ihnen nicht zu, dass sie verantwortlich mit ihrem Lebensraum umgehen. „So nimmt man Menschen nicht mit, so demotiviert man sie“, befand Hauk. Der CDU-Fraktionschef forderte die Regierung auch auf, endlich den Kompromiss umzusetzen, auf den sich die vier Landtagsfraktionen verständigt hatten, um mehr direkte Demokratie möglich zu machen.

Mehr direkte Demokratie

Dazu gehört, eine Volksinitiative einzuführen. Wenn binnen einer festzulegenden Frist 40 000 Unterschriften für eine solche Initiative zusammenkommen, soll sich der Landtag mit dem Thema befassen müssen. Um ein Volksbegehren zu erreichen mit dem Ziel, eine Volksabstimmung einzuleiten, sollen nur noch zehn und nicht mehr 16,6 Prozent der Wahlberechtigten sich dafür einsetzen müssen. Bei einer Volksabstimmung selbst sollen nur noch 20 Prozent der Bürger zustimmen müssen und nicht mehr ein Drittel, damit das Anliegen Erfolg hat. Auf kommunaler Ebene werden die Anforderungen ebenfalls gesenkt, bei einem Bürgerbegehren sollen sieben statt zehn Prozent der Wahlberechtigten unterschreiben müssen. Bei einem Bürgerentscheid soll das Zustimmungsquorum von 25 auf 20 Prozent sinken. Vor der Kommunalwahl am 25. Mai, so kündigte die Fraktionschefin der Grünen, Edith Sitzmann, an, solle der Referentenentwurf für ein entsprechendes Gesetz auf dem Tisch liegen.