Der neue italienische Premier, Matteo Renzi, hält vor dem Parlament eine fulminante Rede und sagt den Senatoren, was er von ihnen hält. Die Politiker sprechen ihm danach mit nur knapper Mehrheit das Vertrauen aus.

Rom - Weg mit der alten Politik, die Italien über Jahrzehnte gelähmt hat. Es sei höchste Zeit für radikale Einschnitte. Matteo Renzi, neuer Chef in Rom, hat mit einer lockeren Rede praktisch aus dem Stegreif seine gut einstündige Regierungserklärung abgeliefert. Während des Auftrittes huscht immer wieder ein süffisantes Lächeln über Renzis Gesicht. Und dann sagt er den Senatoren, was er von ihnen hält. Die politische Kaste vergnüge sich in ihrem römischen Palazzo, während sich draußen die Arbeitslosigkeit verdoppelt hat und das Bruttoinlandsprodukt in den Keller rausche.

 

Er, sagt Renzi, komme „aus der Mitte der Menschen“. Er sei, sagt Renzi, als Bürgermeister von Florenz über die Stadtteilmärkte gegangen und habe mit vielen Leuten geredet, die „Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen“. Doch „die in der römischen Politik glauben immer alles von einem Tag auf den anderen verschieben zu können, so dringend es ist“. Vor sich hat Renzi nur einen wilden Packen von Notizzetteln mit einzelnen Stichwörtern. Er spricht frei, das hat sich vor ihm noch kein Regierungschef getraut, immer voller Sorge, irgendein Thema zu vergessen, irgendeine Interessengruppe durch Nichterwähnung zu verprellen. Renzi, ein packend formulierender, gestenreicher Redner mit Sinn für Dramatik, schwebt ungerührt über alle Rituale hinweg. „Es ist Zeit für Mut”, sagt er, in einem „verrosteten, versumpften, von Bürokratie erstickten Italien“.

Renzi droht dem Senat mit Rauswurf

Doch er geht noch weiter: mit seinen 39 Jahren dürfte Renzi noch nicht einmal Senator sein, aber jetzt wird er Regierungschef – droht dem Senat mit Rauswurf. „Ich will der letzte Premier sein, der in dieser Aula um das Vertrauen wirbt“, schleudert er den Abgeordneten ins Gesicht. „Schon im März muss von dieser Kammer selbst die Initiative zu ihrer Auflösung ausgehen.“ Da legt sich eisige Stimmung über den Saal. Die Beschneidung der Macht des Senats liegt als ebenso mögliche wie sinnvolle Verfassungsreform schon lange in der Luft. Aber welche hoch bezahlten Volksvertreter wollen sich schon selber abschaffen? Und welcher Regierungschef – noch nicht einmal im Amt – hätte sich getraut, den Senatoren die Entmachtung anzuordnen?

„Allzu selbstsicher, allzu arrogant“ schreiben italienische Kommentatoren, sei Renzi aufgetreten. Allzu deutlich habe er gemacht, dass in der Regierung künftig nur mehr einer zählen solle: er selbst. Und überhaupt, heißt es am Tag danach, habe es Renzi trotz allen Drängens auf „zwingende, rasante Reformen“ an Inhalten fehlen lassen. „Absolut ungenügend! Nur Überschriften!“ meckert Dario Stefano vom linken Rand des Senats aus. „Wenig Lösungen, viel Durcheinander”, rufen Berlusconis Leute von rechts.

Notorischer Wankelmut der Politiker

Egal. Fürs erste ist Renzi durch. 169 Stimmen haben sie ihm im Senat gegeben, das waren sieben Stimmen weniger als nach der Stärke der Koalitionsparteien zu erwarten – und das verheißt nichts Gutes. Die Mehrheit im Senat liegt bei 161 Stimmen. Angesichts der notorischen Wankelmütigkeit italienischer Abgeordneter liegt Renzi also nicht eben weich. Das dickere Polster im Abgeordnetenhaus hilft da nicht viel. Bevor der Senat sich nicht selbst abschafft, braucht ihn Renzi zum Regieren.

Draußen haben sich die Kommentatoren darauf verständigt, Renzi habe gar nicht zu den Senatoren, sondern einfach über sie hinweg sprechen wollen: der „Bürgermeister von Italien“ zu seinen Mitbürgern. Eine „Ruckrede“ fürs Volk. Ein Wahlkampfauftritt eben. Das werde schon noch, sagen die einen. Die anderen sagen, das könne nichts werden.