Der Regionalverband will prüfen, ob der Handel mit Flächen zwischen benachbarten Gemeinden oder Flächenzertifikate Schwung in die Bautätigkeit brächten. Vor allem die Freien Wähler und die FDP dringen auf ein solches Vorgehen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Der Druck, in der dicht besiedelten Region Stuttgart Grün- in Wohnflächen umzuwandeln, war nie größer als heute, denn die Zahl der Einwohner wächst. So steigt aber auch der Flächenverbrauch. Für Stuttgart und manche andere Städte in der Region kann man bereits von Wohnungsnot sprechen. Kein Wunder also, dass es auch im Verband Region Stuttgart (VRS) Stimmen gibt, die eine Lockerung der relativ strengen Bauvorgaben fordern.

 

Tatsächlich ist es so, dass die Städte und Gemeinden rund um Stuttgart nicht frei entscheiden dürfen, wie groß ihre Neubaugebiete werden. Vielmehr wacht der VRS streng über die Einhaltung bestimmter Regeln. Danach darf die Zahl der Häuser und Wohnungen in Kommunen entlang sogenannter Entwicklungsachsen (vor allem entlang der S-Bahn) jährlich um maximal 0,3 Prozent wachsen; in allen anderen Gemeinden sind es 0,2 Prozent. Daneben ist die Dichte reglementiert: Neue Baugebiete müssen so geplant werden, dass dort mindestens zwischen 50 und 90 Einwohner pro Hektar – je nach Kommune – wohnen.

Vor allem die Freien Wähler und die FDP sind seit Jahren unzufrieden mit diesen Vorgaben und haben nun angesichts des Wohnungsmangels unabhängig voneinander neue Vorstöße unternommen. Andreas Hesky, OB von Waiblingen und Chef der Regionalfraktion der Freien Wähler, regt an, einen Austausch von Flächenkontigenten unter den Kommunen zu erlauben: Wenn eine Gemeinde also weniger baut als sie dürfte, solle sie diese Größenordnung an andere Gemeinden abtreten dürfen – allerdings nur in der Nachbarschaft. „Der interkommunale Gedanke muss wichtiger werden“, sagt Hesky.

FDP: „Eltern wollen Kinder in Freilandhaltung aufziehen“

Daneben müsse der VRS kulanter sein bei der Anrechnung von Brachflächen im Siedlungsgebiet; da Brachflächen vorrangig bebaut werden sollen, müssen viele Gemeinde ihre Pläne bei Neubaugebieten abspecken. „Wir sehen die Wohnungsknappheit und die Preisentwicklung in der Region mit Sorge, da diese neben den einkommensschwachen Haushalten zunehmend auch Haushalte mit mittleren Einkommen in Schwierigkeiten bringen“, betont Hesky.

Die FDP setzt auf ein ähnliches Modell: Sie will prüfen lassen, ob man mit Flächenzertifikaten den Wohnungsbau befördern kann. Denn FDP-Regionalrat Armin Serwani forderte kürzlich in der Regionalversammlung, dass die Menschen auch in der Region Stuttgart ihren Wohntraum verwirklichen können müssten: „Der Traum heißt, ein eigenes Häuschen und die Kinder möglichst in Freilandhaltung aufziehen, nicht in Wohnkäfigen.“

Freie Wähler und FDP haben keine Mehrheit in der Regionalversammlung, doch hat auch die CDU einen – zurückhaltend formulierten – Antrag zum Thema Wohnungsmangel gestellt. Rainer Ganske stellt aber klar, dass mit ihm und der CDU ein Flächentausch nicht zu machen sei: „So entstünden Baugebiete in zweiter oder dritter Reihe zur S-Bahn, was neuen Verkehr erzeugen würde – das wollen wir gerade nicht.“ Der CDU gehe es mit dem Antrag darum zu erfahren, ob die privilegierten Kommunen ihre Chancen genutzt haben.

Laut dem VRS gibt es Bauflächen für 105 000 Menschen

Thomas Kiwitt, der technische Direktor des VRS, hat zugesagt, alle Prüfaufträge zu bearbeiten und die angeforderten Berichte zu erstellen. Inhaltlich hält er sich zwar noch bedeckt, doch ist aus früheren Sitzungen bekannt, dass der VRS im Grunde keinen großen Handlungsbedarf sieht. Im Gegenteil: Es gebe noch immer genügend Flächen, die bebaut werden könnten, so Kiwitt. Laut einer Vorlage vom April dieses Jahres könnte in den bereits genehmigten Baugebieten sofort Wohnraum für 105 000 Menschen erstellt werden. „Wir sind deshalb auch auf weitere Zuwanderung vorbereitet“, sagt Thomas Kiwitt. Das Problem seien nicht die mangelnden Flächen, sondern sei die mangelnde Bautätigkeit. Zudem prognostiziere das Statistische Landesamt bis 2030 einen Rückgang der Bevölkerung um 116 000 Menschen.

Kai Buschmann, der Vorsitzende der FDP-Fraktion, zieht allerdings beide Zahlen in Zweifel. Schon die letzten Prognosen seien falsch gewesen, und das eigentliche Problem in der Region sei doch die ungleiche Verteilung der freien Flächen: Während es am Rand der Region teilweise Leerstände gebe, herrsche in Stuttgart und direkter Umgebung Wohnungsnot.

Die Berichte des Regionalverbandes werden vermutlich erst Anfang des kommenden Jahres vorliegen.

Fakten rund um den Flächenverbrauch in der Region:

Bevölkerung: Die Zahl der Einwohner in der Region Stuttgart ist seit 1990 um rund zehn Prozent gestiegen. Es leben derzeit 2,66 Millionen Menschen in der Region.

Wohnfläche: Zum Flächenverbrauch trägt auch bei, dass jede Person immer mehr Wohnraum für sich beansprucht. Laut dem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung begnügte sich jede Person im Jahr 1998 im bundesweiten Schnitt mit 39 Quadratmeter Wohnfläche; heute sind es bereits 45 Quadratmeter.

Flächenverbrauch: Zwischen 1990 und 2010 hat die besiedelte Fläche in Baden-Württemberg um 26,5 Prozent zugenommen; in der Region Stuttgart waren es „nur“ 18 Prozent. Der Regionalverband sieht darin einen Beleg für seine erfolgreiche Flächenpolitik. Dennoch werden auch in der Region im Durchschnitt der letzten 20 Jahre täglich 1,4 Hektar versiegelt, also rund eineinhalb Fußballfelder.

Baulandpreise: Aufgrund der knappen Flächen und der hohen Nachfrage ist Bauland in der Region Stuttgart teuer: Während in Deutschland ein Quadratmeter im Schnitt 130 Euro kostet, sind es in der Region Stuttgart 424 Euro.