Der britische Regisseur Kenneth Branagh erklärt, warum seine Märchenverfilmung „Cinderella“ dem Zeitgeist entspricht – und warum man eigentlich immer mehr Geld und Zeit bräuchte, als man zur Verfügung hat.

London - Lange Jahre war Kenneth Branagh der Experte in Sachen Shakespeare. Bereits 1984 stand er mit der Royal Shakespeare Academy auf der Bühne. Für seinen ersten selbst inszenierten Kinofilm „Henry V.“, in dem er die Hauptrolle spielte, bekam er prompt zwei Oscar-Nominierungen. Es folgten Kino-Adaptionen von Stücken wie „Viel Lärm um nichts“, „Hamlet“ oder „Verlorene Liebesmüh“. Der gebürtige Belfaster kann aber auch anders, sei es als Laurence Olivier in „My Week with Marilyn“ oder als Regisseur von Blockbustern wie „Thor“. Nun bringt der 54-Jährige mit der Neuverfilmung von „Cinderella“ erstmals ein Märchen auf die Leinwand.
Mr. Branagh, die Geschichte vom Aschenputtel ist schon unzählige Male erzählt worden. Schreckt einen Regisseur das nicht ab?
Wie Sie sehen, hat es mich nicht abgeschreckt. Aber natürlich habe ich mir nichts vorgemacht: Jeder kennt dieses Märchen, und jeder hat vor allem eine Lieblingsversion. Dass die Erwartungen an meinen Film ebenso hoch sein würden wie die Fallhöhe, war also von Anfang an klar. So etwas irritiert mich allerdings nicht – mit anderen verglichen zu werden, das kenne ich seit dem Beginn meiner Karriere. Ich habe mit 16 Jahren zum ersten Mal Shakespeare gespielt, an der Schauspielschule gab ich dann den Hamlet. Da weiß man auch, dass das schon Millionen andere vor einem gemacht haben. Und dass immer irgendwer etwas auszusetzen hat, weil man die falsche Haarfarbe, die falsche Größe oder nicht das richtige Alter hat. Aber Klassiker sind eben Klassiker, deswegen wird sie immer jemand neu interpretieren.
Sie haben den Film für Disney gedreht, deren legendäre Zeichentrickversion von „Cinderella“ auch sichtbar Pate stand. Da könnte schon der Verdacht aufkommen, dass Ihr kreativer Spielraum eher gering war . . .
Sie täuschen sich. Es war gerade reizvoll, dass Disney hinter diesem Projekt stand. Die Grimm-Märchen sind ja längst lizenzfrei, rein theoretisch könnte jeder sie verfilmen. Aber Disneys derzeitige Taktik, sich genau die Geschichten vorzunehmen, mit denen bereits Geschichte geschrieben wurde, finde ich unglaublich smart. Sie bleiben ihrer Tradition treu und behalten diese Märchen in der Hand, modernisieren sie aber gehörig. Zwar gibt es auch in meinem Film Mäuse, ein schönes Kleid und einen Kürbis, der sich in eine Kutsche verwandelt, aber dennoch halten sich die Parallelen zum Zeichentrickfilm in Grenzen.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum Märchen in Hollywood derzeit so boomen?
Der legendäre Comicautor Stan Lee hat mal gesagt, dass Comics und Superheldengeschichten nichts anderes sind als Märchen für Erwachsene. Da ist was dran. So erfolgreich wie Comic-Verfilmungen derzeit sind, macht es nur Sinn, sich auch die Märchen noch mal vorzunehmen. Zumal sie nicht nur für Erwachsene, sondern für die ganze Familie sind.
Was ist das Moderne an Ihrer „Cinderella“?
Mir war wichtig, dass dieses Mädchen nicht passiv wirkt, so als würde sie nur darauf warten, dass ein Mann sie aus ihrer misslichen Lage befreit. Sie ist auch ohne den Prinzen nicht unzufrieden mit dem Leben, obwohl sie es alles andere als leicht hat und die Stiefmutter sie erbärmlich behandelt. Dieser geradezu buddhistische Blick aufs Leben gefiel mir. Er erscheint mir zeitgemäß und wichtig. In jedem Moment versucht Cinderella, so glücklich wie möglich zu sein und das Beste aus der Situation zu machen.
Sie haben die Kürbiskutsche bereits erwähnt. Auch sonst gibt es eine Menge Computertricks. Ist das für Sie als großer Theatermann nicht eine fremde Welt?
Inzwischen nicht mehr. Kein Vergleich zu den „Star Wars“-Drehs, von denen Ewan McGregor in den neunziger Jahren erzählte. Der fühlte sich richtig einsam, weil er tagelang alleine vor grünen Wänden drehen musste. Ich selbst habe als Schauspieler bei einigen Quidditch-Szenen meine Erfahrungen mit der Technik gemacht. Das ist schon seltsam, wenn man auf einem Besenstil sitzt und alles um einen herum nachträglich per Computer hinzugefügt wird. Bei „Cinderella“ ist das alles anders.
Wie anders?
Wir haben versucht, alles so echt, analog und haptisch wie möglich zu machen, angefangen damit, dass wir nicht digital, sondern auf Film gedreht haben. Und was die Computeranimation angeht: natürlich wurden viele Szenen am Computer bearbeitet. Die märchenhaften Zaubereien waren ja wichtig. Aber wie schon bei „Thor“, wo wir eine ganze Stadt in die Wüste stellten, haben wir auch dieses Mal bei den Kulissen keine Mühen gescheut. Statt den Ballsaal im Rechner zu kreieren, haben wir ihn komplett gebaut. Mir war wichtig, dass die Schauspieler ein Gespür dafür bekommen, selbst die Stufen hoch- und runterlaufen und zur Not auch mal mit ihren Kleidern eine Vase umstoßen. Sie sollten die Märchenerfahrung, so gut es geht, am eigenen Leib machen.
Filme wie „Cinderella“ oder „Thor“ kosten ein Vermögen. Fühlt man sich da nicht mehr als Geldverwalter denn als Künstler?
Ob Sie es glauben oder nicht: die Höhe des Budgets ändert an der Arbeit des Regisseurs nicht das Geringste. Den Balanceakt, das Kreative mit der Logistik in Einklang zu bringen, muss man immer bewältigen, ganz gleich ob ein Film 100 Pfund oder 100 Millionen Pfund kostet. Was man auch vorhat, man bräuchte immer mehr Geld und Zeit, als man zur Verfügung hat. Deswegen fährt ja jeden Tag, wie Woody Allen so schön sagt, der Lkw mit den Kompromissen vor. Ohne den geht am Filmset gar nichts!