Seit 2012 schießen Reiseblogs wie Pilze aus dem Boden. Die Blogs sind qualitativ sehr unterschiedlich. In der Tourismusbranche gewinnen Reiseblogger jedoch an Einfluss. Eine Übersicht.

Wer sich dafür interessiert, wie es - nur als Beispiel - in Stockholm bei Nacht aussieht und was man dort am Tag so alles unternehmen kann, der ist beim Reiseblog von Vanessa Pur richtig. Dort beschreibt die junge Frau in Texten und mit vielen Fotos ihre ganz persönlichen Eindrücke und gibt ganz persönliche Tipps. Diese frische, subjektive Herangehensweise an Themen ist symptomatisch für viele Blogs. Vanessa Pur ist jung, ehrgeizig, diszipliniert, attraktiv - und als Bloggerin richtig erfolgreich. 160 000 Besucher schauen bei ihren Online-Tagebüchern, wie man Blogs altmodisch übersetzen könnte, pro Monat vorbei, 125 000 davon bei ihrem Haupt-Blog pureglam.tv. Die 29-Jährige aus München hat mehr als 100 000 Anhänger (Follower) in den sozialen Netzwerken und mehr als 200 000 Videoabrufe pro Monat auf ihrem im vergangenen Herbst gestarteten You-Tube-Kanal. 2010 hatte bei ihr alles in bescheidenem Rahmen begonnen: „Ich habe mit dem Bloggen ursprünglich nur für Freunde und Familie angefangen, mir über Layout, Reichweiten, Suchmaschinenoptimierung etc. überhaupt keine Gedanken gemacht.

 

Da ich früher schon viel unterwegs war und meine Freunde auf der ganzen Welt verteilt sind, gab es viele Inhalte, die ich mit ihnen auch schnell einmal teilen wollte. So entstand mein erster Blog pureglam.tv - Reise trifft Mode.“ Zuvor war Vanessa Pur nach dem Abitur und einer kaufmännischen Ausbildung einem unspektakulären, geregelten Bürojob nachgegangen. In ihrem neuen Leben als Bloggerin ist nun alles anders: „Blogeinträge schreibe ich häufig noch nach Mitternacht, ich beantworte E-Mails im Flugzeug oder in der Bahn oder bearbeite die Fotos vom Abend davor. Das typische Wochenende mit Freunde und Familie treffen und weggehen entfällt meistens.“ So steil wie bei ihr verläuft die Karriere von Reisebloggern durchaus nicht bei allen. Dennoch schießen Reiseblogs seit drei bis vier Jahren wie Pilze aus dem Boden. Ihre Macherinnen und Macher sind selten organisiert, verlässliche Zahlen gibt es deshalb nicht. Hans-Werner Rodrian (57) aus Wolfratshausen, Mitglied in der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten (VDRJ), hat aktuell 527 deutschsprachige Reiseblogs in seiner Datenbank.

Die „Dunkelziffer“ an Reiseblogs dürfte höher liegen

In dem von ihm mit herausgegebenen und jetzt brandneu zur Touristikmesse ITB erschienenen Journalistenhandbuch „Touristik Medien“ sind 187 davon verzeichnet. Um im Buch aufgenommen zu werden, so Rodrian über die Kriterien, „musste ein Blog mindestens zwei Jahre aktiv sein, zumindest 20 Beiträge pro Jahr eingestellt haben, der Schwerpunkt musste bei persönlichen Reiseerfahrungen mit journalistischem Ansatz liegen, bezahlter Inhalt musste deutlich erkennbar markiert sein“. Die „Dunkelziffer“ an Reiseblogs dürfte höher liegen. Dabei tummeln sich viele Fische unterschiedlichen Kalibers im großen Teich, wie Hans-Werner Rodrian beim Datensammeln herausgefunden hat: „Mancher Blogger hat die 50 überschritten. Und ist nicht selten von Haus aus Journalist oder PR-Mann bzw. -Frau.“ Von 143 Bloggern, die ihren Beruf angaben, bezeichneten sich 69 als Journalisten oder Reiseführerautoren, 25 als Marketing- und PR-Experten, 36 nannten Berufe aus der IT-Branche inklusive Webdesign.

Bei den großen Reiseveranstaltern und Touristikbüros sind die neuen, meist rein digital orientierten „Nomaden“ seit ein paar Jahren eine feste Größe, wenn es darum geht, die Kunde von tollen Hotels und Destinationen in die Welt hinauszutragen. Monika Fritsch, Sprecherin von Atout France, der französischen Zentrale für Tourismus: „Frankreich-Tourismus muss sich dringend um eine jüngere Zielgruppe kümmern. Der Anschluss an die Jugend fehlt.“ Inzwischen besetzt Atout France Pressereisen zu drei Vierteln mit Printjournalisten und zu einem Viertel mit Bloggern. Fritsch: „Wir schauen aber schon, dass die Blogs bereits eine Weile bestehen und die Blogger sicher in Rechtschreibung und Grammatik sind.“

Dass man den Punkt Sprachsicherheit extra erwähnen muss, ist bemerkenswert und zeigt, dass die (Reise-)Blogger-Szene sehr heterogen ist. Hinzu kommt, dass die Berufsbezeichnung Blogger ebenso wenig geschützt ist wie etwa die des Heilers, Dozenten oder Coachs. Monika Fritsch: „Es gibt sehr versierte Leute, vor allem, wenn es sich um gelernte Journalisten handelt, aber auch solche, deren Blogs sich lesen wie Schulaufsätze.“ Insgesamt habe Atout France bisher gute Erfahrungen mit Bloggern gemacht. Fritsch: „Blogger finden oft abseitige Themen, von deren Umsetzung unsere Partner dann aber angenehm überrascht sind. Und die Resultate sind sehr schnell öffentlich zu sehen, auch das ist ein Pluspunkt dieser Arbeitsweise.“ Immerhin, so ist in der Reiseanalyse des Kieler Instituts für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT) aus dem Jahr 2013 nachzulesen, ziehen 17 Prozent der Internetnutzer Reiseblogs vorab als Anregung für den eigenen Urlaub heran, 13 Prozent nutzen sie zur aktiven Info vor dem Urlaub - Ergebnis einer repräsentativen Umfrage unter 14- bis 70-Jährigen.

Reiseblogger versus Reisejournalist

Doch vielleicht auch wegen der wachsenden Popularität der Blogger regen sich zuweilen Neid und Missgunst bei den Kollegen von den klassischen gedruckten Medien der Reisebranche. Monika Fritsch berichtet jedenfalls von „empfindlichen Journalisten“, von denen sie teils „nicht sehr freundliche“ Zuschriften erhalte. Da sei im Zusammenhang mit Bloggern etwa von „Selbstdarstellern“ und „Jubelpersern“ die Rede und davon, dass man mit „solchen Leuten“ bei Pressereisen oder Medienveranstaltungen nicht an einem Tisch sitzen wolle. Christoph Karrasch, freier Reisejournalist und Blogger sowie Gründungsmitglied des Reiseblogger-Kollektivs, einem der eher seltenen Verbünde in der Branche, sind solche Berührungsängste fremd: „Warum es zwischen Reisebloggern und Reisejournalisten aus dem Printbereich angeblich Spannungen gibt, habe ich noch nie verstanden. Wer bereit ist, mit der Zeit zu gehen, wird in der Lage sein, seinen Platz zu finden, und muss dem anderen nichts neiden. Ich selbst bin jetzt im fünften Jahr selbstständig. Und ich kann mich nicht beschweren.“

Karrasch: „Seit dem Thema Reiseblogs in der deutschen Tourismusindustrie eine gewisse Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, sind natürlich viele neue Reiseblogs dazugekommen. Das ist wie bei allen Trends ganz normal. Allein der Reiseblogger-Kodex, der von unserem Kollektiv mit weiteren Reisebloggern gegründet wurde, zählt inzwischen mehr als 350 Reiseblogs, die sich dem Kodex zugehörig fühlen.“ Der 31-Jährige aus Kiel kommt aus dem Hörfunkbereich, 2009 wurde er für eine Radio-Reportage mit dem Axel-Springer-Preis ausgezeichnet. Nun arbeitet er als freier Reisejournalist für Reisemagazine, Tageszeitungen sowie für diverse Online-Medien - und natürlich für seinen Reiseblog „Von unterwegs“.

Die meisten Blogger, so Karrasch, verstünden ihre Webseiten als Hobby- oder semiprofessionelle Blogs, die allerwenigsten seien damit hauptberuflich beschäftigt. So ähnlich bewertet Michael Hirschler vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) in Bonn die Situation: „Grundsätzlich ist festzustellen, dass zahlreiche unserer Mitglieder auch bloggen und sich insofern als bloggende Journalisten oder journalistische Blogger ansehen. Manche vielleicht auch nur als Blogger, wobei letzteres Modell öfter von Kollegen praktiziert wird, die bereits in Rente sind und sich daher ein sich kaum refinanzierendes Projekt leisten können.“ Karrasch sieht jedoch durchaus auch Chancen finanzieller Art: „Ein Blogger ist ja Chefredakteur, Autor, Anzeigenleiter, Marketingabteilung usw. in einer Person.

Das heißt, es kommt darauf an, wie man es angeht - und was man am besten kann. Einige Reiseblogger erzielen beachtliche Werbeeinnahmen auf dem eigenen Blog. Andere nutzen ihr Wissen, um Workshops und Seminare zu geben, und wieder andere bieten reisebezogene Inhalte als Dienstleistung für andere Webseiten an. Wenn man in seinem Bereich gut ist, kann man vom Bloggen - und allem, was noch so drum herum passiert - leben.“ Also alles wie im „echten“ - analogen - Leben der klassischen Reisejournalisten auch: Um Erfolg zu haben, muss man sich schon ein bisschen anstrengen. Und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.