Fernweh trifft auf Heimweh: die Besucher auf der Reisemesse CMT in Stuttgart brauchen manchmal starke Nerven. Denn der Traum vom nächsten Urlaub beginnt für viele mit dem Albtraum der Parkplatzsuche.

Stuttgart - Was es braucht, um Menschen dazu zu motivieren, Stuttgart zu entfliehen? Einen regnerischen Januartag, 5 Grad und Nebelfelder, die Teile der Stuttgarter Halbhöhe verschlucken. Am Samstagmittag herrscht ideales Wetter für einen Besuch bei der CMT – das denken sich wohl viele: Am ersten Wochenende strömen 70 000 Menschen zur Reisemesse. Der Traum vom Urlaub beginnt für viele Besucher an diesem Tag mit dem Albtraum der Parkplatzsuche. Wer nicht mit der S-Bahn anreist, wird bestraft: Viele Parkhäuser sind voll, es beginnt das große Kreisen.

 

Und der Kreisverkehr geht weiter – auch in den Messehallen auf den Fildern. Es ist Stoßzeit auf der Reisemesse, Tausende von Besuchern drängen, schieben, sie ecken an. Zwischen Hamburg und Hawaii stehen die Fernwehsüchtigen im Messestau. Doch gleich hinter der nächsten Ecke verbirgt sich die Exotik. Zwischenstopp am Stand von Wolfsburg – in der Autostadt glänzt nicht nur das Blech des Golfs, hier hält eine blonde Frau Hof, in deren Haaren ein Krönchen funkelt. Eine Schärpe weist sie als Kartoffelkönigin aus. In Wolfsburg gibt es auch: Royals made in Niedersachsen.

Der Aufmarsch der Maskottchen

Rumänien hat keinen Kartoffelschäler, sondern einen Holzschnitzer verpflichtet. Der Mann sitzt vor dem Stand, der zur Reise in den „Garten der Karpaten“ einlädt, und arbeitet an filigranen Holzvögeln. In Messehalle 4 könnte das Motto auch lauten: „Go east!“ Es muss ja nicht gleich der Ferne Osten sein, Osteuropa zeigt selbstbewusst seine Reize auf der CMT. Nur einen kurzen Besucherstau von Rumänien entfernt präsentiert sich Krakau, gleich daneben wirbt Bulgarien mit Strandurlaub, der weitaus günstiger ausfällt als in Italien oder Spanien. Und natürlich hat Serbien diesmal vieles aufgefahren – das Land steht dieses Jahr gemeinsam mit der Dominikanischen Republik als Partnerland der CMT besonders im Blickpunkt. So tanzt sich eine Folkloregruppe am Stand die Füße wund.

Die CMT ist eine große Spielwiese für Klischees und Wunschbilder aller Art. Zur Reisemesse gehört der Aufmarsch der Maskottchen. Wer durch die Messehallen läuft, begegnet Steiff-Tieren, Löwen, Adlern und Weinköniginnen. In der bunten Werbewelt der Traumreiseziele aus allen Kontinenten genügt es schon lange nicht mehr, nur auf die Schönheiten von Stadt, Land, Fluss zu setzen. Jede Region braucht einen Markenkern, eine unverwechselbare Botschaft, mindestens jedoch ein aus Worten zusammengeschustertes Etikett. Bühne frei für „Incredible India!“ Oder für das „Erzgebirge – die Erlebnisheimat“.

Affen und Affenfreunde

Und die Region Stuttgart? „Spricht für sich“ plakatieren die Werber riesengroß in Messehalle 6 und setzen sich damit im Baden-Württemberg-Duell vom schräg gegenüber liegenden Freiburg ab, das nun auch als „Health Region Freiburg“ bekannt werden will. Stuttgart also, so machen uns die Marketingfachleute glauben, muss gar nicht viele Worte machen, um Touristen aus aller Welt anzulocken. Aber womit? Mit Autos selbstverständlich – ein Porsche funkelt neben einem Mercedes-Oldtimer, die beide für die Automobilmuseen werben. Das Auto gehört in Stuttgart zur Stadtkultur, genau wie die Wilhelma, die mit einem Stand präsent ist, und das Musical. So kommt zusammen, was zusammengehört: Tarzan, der Freund der Affen, und die Wilhelma mit ihrer neuen Heimat für Menschenaffen.

Stuttgart also definiert seinen Markenkern rund um die Kultur und die Motorenpower, aber natürlich wird auch Wein ausgeschenkt, was einer Pflicht gleichkommt, weil die Stadt „Deutschlands schönstes Weindorf“ beherbergt. Apropos Superlativ: die CMT sei die größte Messe in Stuttgart, sagt Oberbürgermeister Kuhn in seinem Grußwort, sie stoße jedoch längst an ihre räumlichen Grenzen. „Ich werde mich sehr dafür einsetzen, dass wir die noch fehlende Halle zustande kriegen.“

Wo das flüssige Gold fließt

Unterdessen macht das Kurven in den Messehallen durstig. Vielleicht gehört der „Irish Pub“ auch deshalb zu den bestbesuchten Ständen. Eine Regel gilt jedenfalls nicht: „Kein Bier vor vier!“ Das Bier fließt in Strömen – und das Ruhrgebiet macht aus dem Trend umgehend ein Reiseangebot: „Bierreise Ruhr – entdecke unser flüssiges Gold!“ Na denn, Prost. Beladen mit Katalogen, den Kopf voller Reisepläne, treten die Besucher die Rückfahrt an. Die Messe macht müde – auch jenen mongolischen Musiker, der vor dem Stand seines Landes auf dem Boden sitzt und in sein Smartphone tippt. Fernweh trifft auf Heimweh.