Wenn man in Zeiten der Flüchtlingskrise über die Stuttgarter Urlaubsmesse CMT flaniert, können einem seltsame Gedanken kommen. Noch bis Sonntag wirbt die Messe für mal luxuriöse, mal einfache Reisen.

Stuttgart - Seltenst!“, sagt die Frau, die den Landkreis Passau in der Halle 8 vertritt. „Seltenst!“ superlativisch, so wie junge Frauen in der Straßenbahn Partys, Kleider oder Zustände mit dem Wort „übelst“ klassifizieren. „Seltenst“ nur würde sie darauf angesprochen, dass Passau eines der Hauptziele ankommender Flüchtlinge in Deutschland ist, nicht bewusst ausgesucht freilich, sondern schlicht gleich hinter der Grenze gelegen. Was die Messebesucher auf der CMT denn dann am Passau-Stand interessiert? „Die große Landesausstellung zum Bier in Bayern“, sagt die Frau, „fünfhundert Jahre deutsches Reinheitsgebot!“

 

Die intensive Reisebewegung Richtung Deutschland spielt auf der CMT, der Messe, die die Gegenrichtung propagiert, allenfalls eine mittelbare Rolle. Aber die lebensgefährliche Balkanroute gen Norden schwingt natürlich mit, wenn man bedenkt, wie billig einem Flüge heutzutage hinterhergeworfen werden, nicht nur auf der CMT: Istanbul– Frankfurt nonstop gibt’s One Way für unter fünfzig Euro, ohne Schleuser und ohne die Gefahr, unterwegs zu ertrinken. Das könnten auch Flüchtlinge buchen, wenn Europa wenigstens Syrern und Irakern die visumfreie legale Einreise gestatten würde. Aber nein: Europa verlangt – quasi als zynische Mut- und Kraftprobe – den Flüchtlingen eine Tausende Euro teure, Tage dauernde, strapaziöse und lebensgefährliche Meer-und-Landroute ab, über Griechenland, Mazedonien, Serbien und so weiter. Offenbar qualifiziert sich nur derjenige für ein Warteschlangen-Ticket für Deutschland, der unterwegs leidet und friert.

Die Stuttgarter CMT zeigt – unabsichtlich –, dass diese Art der Über-Land-Reise für die hiesige Touristenklientel als unzumutbar empfunden wird, denn die Firma Rent a Camper hat einen schonenden Slogan gereimt: „Flieg ans Ziel & wohn’ mobil!“ Der Gedanke dahinter: wer beispielsweise in Schweden rumgondeln will, fliegt anstrengungsfrei nach Stockholm und nimmt erst dort sein Wohnmobil in Empfang.

Wohnmobil mit Fußbodenheizung und luftgefederten Sitzen

Wobei man mit den Wohnmobilen, die auf der CMT vorgestellt werden, auch die 2000 Kilometer von Athen nach Passau komfortabel zurücklegen kann: Das Spitzenmodell der Firma Knaus Tabbert kostet 100 000 Euro in der Grundausstattung, und mit einer Menge Zusatzluxus legt man 150 000 Euro hin. Dafür fährt das Treppchen nach drinnen selbstständig aus, wenn man die Tür öffnet. Auf Knopfdruck taucht ein 32-Zoll-Fernseher aus einem Schlitz auf, selbstverständlich gibt es Fußbodenheizung und luftgefederte Sitze.

Denn das ist ein Trend der diesjährigen CMT: komfortabel reisen, luxuriös. Der Veranstalter Lernidee-Erlebnisreisen etwa empfiehlt eine 19-tägige Sonderzugreise mit dem Rovos Rail, Afrikas luxuriösestem Zug, von Kapstadt nach Daressalam. Für 15 000 Euro in der Pullmann-Suite verspricht der Veranstalter „Nobles und romantisches Reisen im Stile der 20er und 30er Jahre.“ Die Pullmann-Suite misst allerdings gerade mal sieben Quadratmeter; in der Royal-Suite hingegen wird die „wahrhaft königliche Abteilgröße“ von 16 Quadratmetern versprochen. Kostenpunkt für zweieinhalb Wochen: 24 000 Euro pro Person, sprich: ungefähr sechzig durchschnittliche eritreische Jahreseinkommen.

Im thailändischen Tuk-Tuk durch Marbach

Wer sich bei derartigen Rechnungen unwohl fühlt, dem offeriert die CMT selbstverständlich auch den Gegentrend: einfach und einfachst reisen, ein klein wenig wie ein Flüchtling vielleicht, zu Fuß zum Beispiel. Der Kreativität in Sachen Anpreisung der jeweiligen Destination sind dabei keine Grenzen gesetzt. Auf der Pressekonferenz des Schwarzwald-Tourismus sagt ein Herr mit sehr ernstem Ausdruck: „Natürlich kann man wandern überall. Aber nur im Schwarzwald kann man wandern im Schwarzwald!“ Die Firma bike-touring.de hingegen bezieht immerhin schon die Erfindung des Rades in ihre Reiseplanung mit ein und bietet unter anderem eine 16-tägige Fahrradreise durch Madagaskar an: „Wem die Etappen zu lang sind, kann unterwegs ins Begleitfahrzeug umsteigen“, steht im Katalog. Denn „Reisen ist die schönste Zeit im Leben“, frohlockt der Veranstalter Tourvital, der natürlich freiwilliges Reisen meint. Wer mag, kann bei der Firma Pferd & Reiter Hunderte Kilometer auf dem Rossrücken buchen. „Der Vorteil: Sie können überall hin, auch ins Geröll“, verspricht der Mann am Stand. Dafür hat der Veranstalter G Adventures sowohl die Arktis als auch die Antarktis im Programm, und die Fotos von eingemummelten Abenteurern im Katalog lassen vermuten, dass man hie wie dort auch in Luxus-Daunenjacke ähnlich frieren kann wie ein Flüchtling mit zu leichter Kleidung im Winter auf der Balkanroute.

Wem Frieren nicht reicht, dem werden auf der CMT diverse einschlägige Reiseverschärfungen angeboten. Auf dem Segway zweirädrig instabil durch Weinstadt! Im thailändischen Tuk-Tuk durch Marbach am Neckar! In Dänemark winkt „ein gutes Erlebnis – mit Hund“, und in Ravensburg soll man „bei Maus & Co.“ übernachten. Die Dame von medicusreisen.com jedoch hat sich ganz besondere Erschwernisse ausgedacht: „Haartransplantation in der Türkei“ zum Beispiel. Oder „Zahnimplantate ab 550 Euro“, ebenfalls in der Türkei. Denn „ein breites Lächeln ist die coolere Variante, um seinen Feinden die Zähne zu zeigen“, steht am Stand geschrieben, und die Dame versichert, sie würde beim Zahnarztbesuch selbstverständlich auch Händchen halten, schließlich wohne sie ja in der Türkei.

In Ägypten gibt es inzwischen viel Videoüberwachung

Aber die Türkei ist in die Schlagzeilen geraten. Zuletzt wegen des tödlichen Anschlags in Istanbul. Der Herr vom türkischen Tourismusministerium vermutet deshalb am ausladenden Messestand seines Landes, dass die Deutschen jetzt eben zwei Monate mit der Buchung warten würden. Istanbul jedenfalls sei sicher. Seine Logik: „Der Anschlag war bei der Blauen Moschee. Die Blaue Moschee ist ja eine Moschee und kein Museum. Dort wird weiterhin gebetet. Wenn es dort gefährlich wäre, wäre sie längst geschlossen worden.“

Anschläge auf Touristen sind durchaus ein Thema auf der CMT: „Unsere Aufgabe ist, die Leute zu beruhigen“, sagt die Vertreterin Tunesiens. In Ägypten gäbe es inzwischen viel Videoüberwachung, „aber jeder muss für sich eine Entscheidung treffen“, sagt die Ägypten-Promoterin, an deren Stand diesmal die Pyramide fehlt. „Nicht mehr reparabel“ sei die.

Aber die Flüchtlingsproblematik spielt bei der Wahl des Urlaubsorts auf der CMT offenbar keine Rolle: Er sei selbst erstaunt, dass ihn niemand darauf anspreche, dass seine Regierung Flüchtlinge grundsätzlich ablehnt, bekundet der Mann am Stand von Ungarn, dem Land, das mit einem Herz in den Landesfarben wirbt. Und Serbien hat sein B im Namen leicht geneigt und rot angemalt, so dass das B einem Herzen gleicht. Wenn sie nach Flüchtlingen gefragt werde, sagt die Frau am Serbien-Stand, dann danach, ob Grenzkontrollen lästig für Touristen seien. Seien sie aber nicht, bekräftigt die Touristikerin. Ihr Kollege sei gerade erst aus Serbien angekommen. 15 Minuten habe er an der Grenze gewartet. So what?

Europa, das propagiert die CMT, sei ein Kontinent der Verbindungen und der Brücken. Für Europäer eben. Auf dem Steg zwischen den Messehallen vier und sechs ist es kalt, dafür darf man rauchen. „Wenn ich aus dem Urlaub zurückkomme, dann will ich braun sein“, sagt dort eine junge Frau zu einer anderen jungen Frau: „So braun wie diese Leute aus Afghanistan.“