Alle zwei Wochen dürfen die Mädchengruppen des Stuttgarter Vereins „Frauen helfen Frauen“ zur Reittherapie. Die Mädchen, die teilweise in Frauenhäusern leben, sollen dadurch ihr Schicksal besser verarbeiten und neues Selbstvertrauen gewinnen.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Am Anfang hatte die elfjährige Sarah immer ein komisches Gefühl bei den Pferden. „Richtig Angst hatte ich nicht“, fügt sie hinzu. Nach knapp einem Jahr kann das Mädchen nun ohne Hilfe reiten und traut sich sogar kleine Kunststücke auf dem Pferd zu. Am liebsten macht Sarah Ausritte im Wald. „Das ist besser als auf der Koppel reiten“, sagt sie.

 

Die Mädchen haben alle ein ähnliches Schicksal

Ungefähr zweimal im Monat darf Sarah mit anderen Gleichaltrigen, die ebenfalls an der Mädchengruppe des Vereins Frauen helfen Frauen teilnehmen, zur Reittherapie. Denn die Mädchen aus der Gruppe teilen ein ähnliches Schicksal. Sie kommen aus Familien, in denen Gewalt zum traurigen Alltag gehörte. Teilweise lebten die Mädchen mit ihren Müttern in einem der Stuttgarter Frauenhäuser. „Die Kinder dürfen beim Reiten einfach Kind sein“, sagt Dorothée Nägele vom Verein Frauen helfen Frauen. Doch natürlich sollen sich die Mädchen dort nicht nur austoben, die Therapie mit den Pferden soll ihnen auch ganz konkret helfen. „Einem Pferd muss man Grenzen setzen, das kennen die Mädchen meistens nicht“, fügt Nägele hinzu.

Neben Sarah sind noch zwei andere Elfährige am Mittag bei der Reittherapie dabei. Alle drei sind inzwischen schon ganz routinierte Reiterinnen. Ein bis zwei Jahre machen sie mit beim Unterricht auf einem Reiterhof nahe Stuttgart, den die Reittherapeutin Silke Schumacher betreibt. Zwei Gruppen hat die Fraueninterventionsstelle von Frauen helfen Frauen, immer im Wechsel dürfen die Mädchen zum Reiten. „Wir schauen, dass sie ein- bis zweimal im Monat drankommen“, sagt Nägele, die beide Gruppen mitbetreut.

Der Umgang mit den Pferden gibt den Mädchen Selbstvertrauen

Auf dem Hof empfängt Silke Schumacher die drei Mädchen bereits mit Tacko und Fauni. Die Pferde wissen, was zu tun ist, schließlich sind sie zu Therapiepferden ausgebildet. Schumacher arbeitet mit beiden seit mehr als zehn Jahren. Geduldig lassen die Pferde alles mit sich machen. Wenn die Mädchen toben oder zu laut sind, stört sie das nicht. Gerade für Mädchen, die keine guten Beziehungserfahrungen gemacht haben, sei der Einfluss der Pferde ideal, sagte Silke S.. Wenn Fauni oder Tacko etwas toll finden, schnauben sie laut. „Die Mädchen erhalten eine direkte Reaktion von den Tieren“, erklärt sie, und fügt hinzu: „Das gibt ihnen Selbstvertrauen.“ Auch wenn den Pferden etwas nicht gefalle, zeigten sie das sofort.

Bevor für die Mädchen Sarah, Jenny und Anna der Reitspaß beginnt, müssen sie anpacken. Nicht nur der Spaß soll bei der Reittherapie im Mittelpunkt stehen, die Mädchen sollen auch lernen, Verantwortung zu übernehmen. Am Anfang müssen die drei Tacko und Fauni deshalb striegeln und bürsten. Weil die beiden gerade ihr Winterfell verlieren, ist das harte Arbeit. Am Ende ist das Fell der Pferde zwar glatt, doch die Kleider der Mädchen voll mit Rosshaaren. Vor zwei Jahren hätte die drei das noch sehr gestört, erinnern sich Nägele und Schumacher: „Da kam oft, dass es dreckig ist, stinkt und überhaupt viel zu kalt sei im Stall“, erzählt die Reittherapeutin.

Inzwischen stört das die Mädchen nicht mehr. Im Gegenteil – von Scheu vor Schmutz oder den Tieren keine Spur. Nach dem Striegeln, Hufe Putzen und Satteln bricht die Gruppe auf zur Koppel, wo Schumacher Fauni an der Longe führt und mit einem der Mädchen arbeitet. Die anderen beiden üben mit Tacko und einer weiteren Betreuerin vom Verein, Annalena Biallas, das Pferd unter Kontrolle zu halten, zu lenken sowie Auf- und Absteigen. Bei den Einzelübungen auf Fauni können die Mädchen zeigen, was sie während ihres gesamten Reitunterrichts gelernt haben – das ist inzwischen ganz schön viel. Freihändig stehen auf dem Pferd, rückwärts und über kleine Hindernisse reiten ist für sie kein Problem mehr. „Sie haben alle eine tolle Entwicklung durchgemacht“, sagt Nägele, die die Mädchen gelegentlich begleitet. Was sie alle vor allem gelernt haben: Sie haben eine enge Bindung zu den Tieren und zur Reittherapeutin aufgebaut. „Für viele Übungen braucht es großes Vertrauen in Pferd und Therapeutin“, sagt Nägele, die selbst ein eigenes Pferd besitzt. Genau das sei es, was den Mädchen bisher in ihrem Leben gefehlt habe: Vertrauen in andere und Vertrauen in Beziehungen. Wenn die Reittherapeutin Sarah fragt, ob sie das Gefühl habe, sie könne sich auf das Pferd Fauni verlassen, sagt die inzwischen nur: „Ja“.

Nach einer Stunde Reiten ist der schöne Teil des Nachmittags jedoch vorbei. Die Mädchen bringen die Pferde zurück in den Stall und das ganze Prozedere läuft nun rückwärts ab: Absatteln, bürsten und Sattelzeug aufräumen. Im Stall bewegen sich die drei schon so selbstverständlich, als wären sie zu Hause. Begleitet werden sie ständig von den Hunden von Schumacher, Bonita und Finya. Auch diese beiden haben die Mädchen ins Herz geschlossen. Während Sarah an der Reittherapie die Ausritte in den Wald am schönsten findet, sagt Jenny, ihr gefalle, dass die Pferde immer alles so gut mitmachten. „Ich finde es toll, dass ich überhaupt hier dabei sein kann und reiten darf.“

Mädchengruppe und heilpädagogisches Reiten

Gruppen
Das Angebot richtet sich an junge Mädchen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind oder waren. Die Fraueninterventionsstelle des Vereins Frauen helfen Frauen unterstützt Mädchen von sieben bis 13 Jahren dabei, ihre Identität zu finden. Die Mädchen spielen, basteln oder machen Ausflüge. Es bestehen es zwei Gruppen, die sich je alle 14 Tage treffen.

Reittherapie
In den Reitstunden wird die heilende Wirkung des Pferdes auf den Menschen genutzt. Im Umgang mit dem Pferd bauen die Mädchen eine Beziehung zu dem Tier auf und lernen, Verantwortung zu übernehmen, was sich positiv auf ihre Selbstvertrauen auswirken soll. Die Reittherapie bietet der Verein seit 2008 an.

Finanzierung
Das heilpädagogische Reiten wird über Spenden ermöglicht. Jede Gruppe hat so einmal ein Mal im Monat die Möglichkeit, zwei Stunden zu reiten. nay