Jahrhundertealte Religion und moderner, aufgeklärter Rechtsstaat: dazwischen herrscht gern mal ein wenig Spannung. Das zeigt der Streit über ein Verbot der Gotteslästerung und der Knabenbeschneidung.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Jahrhundertealte Religion und moderner, aufgeklärter Rechtsstaat: dazwischen herrscht gern mal ein wenig Spannung. Hier die Regeln des Glaubens, dort jene der Vernunft. Im Zweifel heißt es zu differenzieren und abzuwägen. Das machen zwei aktuelle Debatten sehr deutlich.

 

Die erste Debatte hat der Autor Martin Mosebach angestoßen. Er fordert die Verschärfung des Verbots der Gotteslästerung in der Öffentlichkeit. Nach geltendem Recht muss es zur Störung des Religionsfriedens kommen, bevor die Behörden eingreifen dürfen. Doch im Zweifel urteilen die Richter ganz im Sinn der Meinungs- und Kunstfreiheit. Mosebach will nun zu einem Stand zurück, bei dem der Name Gottes und sein Werk an sich geschützt ist – sein Name sei heilig, Gläubigen wie Ungläubigen. Er will so die christlichen Wurzeln des Grundgesetzes schützen. Und er verweist auf den Islam, der es in seinem Machtraum noch viel strikter halte.

Ruf nach einem Verbot der Blasphemie

Wie aber ausgerechnet ein Büchnerpreisträger auf die Idee kommen kann, der Verschärfung von Zensur in Deutschland das Wort zu reden, macht ein wenig fassungslos. Sicher, es gibt bei uns allerlei dumme, weil oberflächliche Gottes-, Religions- und Kirchenschmähung. Es gibt allerdings auch immer wieder Anlass, das Treiben der Kirchen und Religionen sowie den Gehalt angeblich göttlicher Botschaften mit allen Mitteln des menschlichen Geistes ins Visier zu nehmen. Mosebach, der sich hier nicht zum ersten Mal zum Fürsprecher eines irgendwie ästhetizistischen, in jedem Fall vormodernen Katholizismus macht, ist darum zu widersprechen. Die Religionen müssen ertragen, dass nicht jeder sie ernst nimmt oder für heilig hält. Und übrigens: wer sich seiner Sache wirklich sicher ist, wird nicht davon abgehalten.

Wesentlich komplexer verhält es sich bei der Beschneidung von Knaben, wie sie im Judentum und im Islam religiöse Sitte ist. Das Kölner Landgericht hat sie gerade im Sinne des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit für strafbar befunden. Tatsächlich geht es hier – neutral betrachtet – um eine schwere körperliche Verletzung kleiner Jungen, die allerdings, hier wurden einige Beiträge der vergangenen Tage überaus polemisch, in ihrer Tragweite mit den zu Recht in aller Welt geächteten Genitalverstümmelungen von Frauen nichts zu tun hat. Millionen von Knaben in aller Welt werden beschnitten, zum Teil aus religiösen, zum Teil aus medizinischen, zum Teil aus hygienischen Gründen. Das ist darum noch kein unfehlbarer Wert, es ist aber ganz sicher kein Gräuel. Beschnittene Männer sind keineswegs bis an ihr Lebensende gezeichnet oder beeinträchtigt, schon gar nicht in ihrer sexuellen Erlebnisfähigkeit. Die Knabenbeschneidung eignet sich darum rein gar nicht als Beleg für die angebliche Menschenunwürdigkeit des jüdischen oder islamischen Glaubens.

Schutz vor allzu strengen religiösen Werten

Das haben die Kölner Richter auch gar nicht im Sinn. Vielmehr sagen sie, die Eltern müssten abwarten, bis sich ein junger Mann selbst und aus freien Stücken zur Beschneidung entschließen könne, er also religionsmündig sei. Dem widerspricht allerdings das Recht von Eltern, ihre Kinder von Geburt an in der Tradition ihrer Religion zu erziehen – und diese Tradition ist dann doch sehr tief, nämlich etliche Jahrhunderte in der Kulturgeschichte verankert. So betrachtet und in diesem Punkt wäre es die Pflicht des modernen Staates, nicht das Ritual am Kind zu inkriminieren, sondern den später Mündigen in seinem Wunsch nach Autonomie etwa von allzu strengen religiösen Werten und Regeln zu unterstützen. Was hat die aufgeklärte Gesellschaft da zu bieten? Diese Debatte kostet sicher Anstrengung. Vielleicht streiten darum viele lieber über Beschneidung.