Zwei Kritiker und zwei Befürworter diskutieren, welche Kriterien die interkommunale Großveranstaltung im Jahr 2019 erfüllen sollte.

Schorndorf - Die für 2019 geplante Gartenschau im Remstal hat das ganze Jahr über Politiker, Naturschützer und Bürger beschäftigt. In einem Streitgespräch tauschen sich Thorsten Englert von der Gartenschau-Gesellschaft, Thomas Kiwitt, der Planungschef des Regionalverbands, und die Naturschützer Robert Auersperg und Bruno Lorinser darüber aus.

 
Herr Auersperg, Herr Lorinser, Herr Englert, Herr Kiwitt – welche Chancen bietet eine Gartenschau im Remstal?
Auersperg: Die Chancen könnten darin bestehen, dass das Nachhaltigkeitsprinzip durchgehend gewährleistet ist. Ich habe das Wort „könnten“ bewusst verwendet, da viele Projekte ohne Rücksicht auf den Naturraum geplant werden. Viele Menschen im Remstal ziehen aber eine intakte Natur dem Erlebnisevent vor.
Lorinser: Chancen sind beziehungsweise waren gegeben. Aber da wird viel Geld investiert und wenn ich sehe, was gemacht wird, kommen mir erhebliche Zweifel. Erstens, ob die Leute sich interessieren für die Events, die geplant sind. Und zweitens, ob der Bürger vor Ort und die Natur dauerhaft etwas davon haben – und dies in einem Rahmen, der nicht künftige Gemeindehaushalte durch immensen Pflegeaufwand belastet – also nachhaltig ist.
Englert: Eine Gartenschau in dieser Form hat es bisher nicht gegeben. Dabei macht das Wort „Garten“ den Horizont unseres Projekts fast zu klein. Tatsächlich denken wir gerade gemeinsam die Frage der Infrastruktur in einem Landschaftsraum komplett neu. Das erklärte und nachhaltige Ziel ist, unser Remstal zukunftsfähig zu machen und als Naherholungsgebiet zu positionieren und das weit über das Jahr 2019 hinaus. Alle 16 Kommunen stehen im gnadenlosen Wettbewerb als Wirtschafts- und Wohnstandort. Die Landschaft und der Lebensraum spielen als Standortfaktoren zukünftig immer wichtigere Rollen. Wir denken über neue Mobilitätsformen nach, neue Konzepte für Radwege, über Möglichkeiten zur Verkehrsreduzierung.
Kiwitt: Für den Verband Region Stuttgart ist die Gartenschau auch eine Chance, interkommunale Zusammenarbeit weiterzuentwickeln. Wir sehen zudem die Möglichkeit, dass sich das Remstal bei der Vergabe von Landesmitteln „vordrängelt“. Aber auch unter Nachhaltigkeitsaspekten gibt es klare Vorteile, denn die Region Stuttgart und das Remstal gelten nicht automatisch als die Sehnsuchtsorte, an die alle wollen. Wenn in Zukunft bei sehr niedrigen Geburtenraten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aufrechterhalten werden soll, müssen wir gewährleisten, dass es gute Jobs und hohe Lebensqualität gibt. Wir müssen also auch an Natur und Landschaft als Freizeitangebot arbeiten. Eine gescheiterte Gartenschau wäre eine riesige Blamage, die weder dem Standort noch der Nachhaltigkeit gut tun würde. Die Gefahr, im Stillstand zu verharren, ist für mich das größte Risiko.
Eine Gartenschau über 80 Kilometer unter Beteiligung von 16 Kommunen, ist das eine Nummer zu groß?
Englert: Das könnte man auf den ersten Blick meinen. Bei genauerer Betrachtung entdeckt man aber die großen Möglichkeiten, die gerade in der interkommunalen Zusammenarbeit liegen. So kommen kleinere Kommunen in den Genuss einer veritablen Gartenschau, was als einzelne Kommune kaum leistbar wäre. Ich finde es richtig gut, eine Gartenschau in diesem Format und in dieser Konstellation anzugehen.
In manchen Gemeinderäten schlägt Ihnen aber geballte Skepsis entgegen...
Englert: Das ist nicht ungewöhnlich, wenn man Neuland betritt. Das neue Format muss zunächst gut kommuniziert und dann von allen verstanden werden. Zudem liegt es in der Natur der Dinge, dass eher kritisch berichtet wird und Aspekte betont werden, die nicht so gut laufen. Dabei überwiegen die vielen Projekte, die gut laufen deutlich – nur wird darüber weniger intensiv berichtet. Wir werden jetzt unseren Kurs ändern und noch stärker vermitteln, was draußen vor Ort schon Tolles umgesetzt wird und was richtig gut läuft.

„Armutszeugnis für die Gartenschau“

Lorinser: Unsere Aufgabe als Verbände besteht darin, solche Dinge zu kontrollieren und nachzuvollziehen, und da hakt es bisher ziemlich. Nach unserer Wahrnehmung hat die Gartenschaugesellschaft den fundamentalen Fehler gemacht, dass sie nicht ganz frühzeitig den Dialog vor Ort mit den Verbänden gesucht hat. Das ist für mich ein Versäumnis, das ganz schwer wiederaufholbar ist, Wir haben mehrere Schreiben an Sie gerichtet, da kam keine Reaktion. Neulich gab es eine Abstimmung, bei der sich Bürger mit eindeutigem Votum gegen ein Projekt positioniert haben (Anm. d. R: der Skywalk in Stetten). Das ist ein Armutszeugnis für die Gartenschau. Viele Bürger haben den Eindruck: eine Partnerschaft ist gar nicht gewollt! Zudem reicht es keineswegs, von tollen Projekten zu reden, dann muss auch der Inhalt stimmen. Wenn tolle Projekte, etwa wie in Waiblingen solche absurden Vorhaben wie Kunstlichtungen oder Remskuben sein sollen, dann hat man das Ziel verfehlt. Gartenschau geht anders!
Kiwitt: Wir haben bereits in einer sehr frühen Phase den Kontakt zu den Naturschutzverbänden gesucht. Im Rahmen einer gemeinsamen Veranstaltung mit einem externen Moderator und den Besuchen bei den Verbänden wurde jedoch schnell deutlich, dass man über ein abstraktes Konzept nur schwer diskutieren kann, es braucht dazu konkrete Pläne mit Maßnahmen vor Ort. Wir haben daher die Botschaft mitgenommen: kommt wieder, wenn ihr genau wisst, was ihr machen wollt, dann reden wir weiter. Zwischendrin mussten zudem die Finanzierungsmöglichkeiten und die Mehrheiten in den Gemeinderäten geklärt werden und das hat länger gedauert, als wir gedacht hatten.

„Man kann den Eindruck gewinnen, manche Kommunen kennen Naturschutzgesetze nicht“

Stellt Sie das zufrieden?
Auersperg: Nicht ganz. Es kann nicht zu Lasten von Abläufen sein, dass die Gartenschau GmbH sehr spät mit der Arbeit begonnen hat. Viele Kommunen haben ihre Projekte noch nicht bei den Genehmigungsbehörden eingereicht. Sie meinen aber, dass Druck auf das Landratsamt aufgebaut werden muss, um die entsprechenden Genehmigungen schnellstmöglichst zu bekommen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass manche Kommunen Naturschutzgesetze nicht kennen oder nicht ernst nehmen. Bei manchen Projekten müssen vor Umsetzung der Maßnahmen bereits Ausgleichsmaßnahmen erfolgreich umgesetzt worden sein. Von den Genehmigungsbehörden erwarten wir eine sorgfältige Prüfung der Projekte. Unser vorhandener Naturraum ist zu wertvoll, um ihn ohne weiteres reinen Freizeitobjekten zu opfern.
Herr Lorinser, das Remstal ist eine stark industrialisierte Fläche. Wenn Sie als Naturschützer Einwände bringen – verhindern Sie letztlich nicht, dass etwas attraktiver gestaltet wird?
Lorinser: Eine Region ist heute nicht nur attraktiv, wenn es schöne Arbeitsplätze gibt. Die Umgebung, in der diese Arbeit stattfindet, muss passen. Und da ist die Region Stuttgart absolutes Entwicklungsland. Im Remstal sehen Sie viele Bausünden aus der Vergangenheit. Diese Gartenschau wäre eine Chance gewesen, die Rems als Flusslandschaft auch für den Naturschutz positiv zu entwickeln. Diese Chance ist vergeben worden, weil man keine klaren Leitlinien für die Einzelprojekte ausgegeben hat. Nun sieht man viele Beispiele, die ja einigermaßen unorientiert sind. Bei denen sich weder der Gewinn für die Natur noch für die Erlebnis- und Erholungslandschaft erschließt und der Bürger sich fragt: was hab‘ ich da davon?
Kiwitt: Den Begriff unorientiert kann ich nicht stehen lassen. Das Remstal in seiner Vielfalt kann nicht in ein Korsett von engen Leitlinien gepresst werden. Wir sehen bei der Gartenschau die Möglichkeit zu zeigen, wie man hohe Wohn- und Erholungsqualität, aber auch ein attraktives Arbeitsumfeld schafft. Die großen Betriebe im Silicon Valley sind heute schon so ausgestattet: Google und Facebook etwa liegen in einem Park. Diese Entwicklung zeichnet sich auch bei uns ab – Forschungsarbeitsplätze in einem hochattraktiven städtebaulichen Umfeld.