Remseck soll bunter werden. Bei einem Graffitifestival verschönern 37 Sprayer die Unterführungen an den Stadtbahnhaltestellen. Unter ihnen sind viele Sprüh-Veteranen.

Remseck - Für Pirmin Breu hat sich das frühe Aufstehen gelohnt. Sein „Freak“, ein überlebensgroßes gelbes Strichmännchen, ist schon am frühen Samstagnachmittag fast fertig. An der Unterführung zur Stadtbahnhaltestelle Neckargröningen in Remseck steigt das gelbe Riesenmännchen auf blauem Grund eine Wand hinauf. „Ich wollte sichergehen, dass mir der Regen nicht dazwischenkommt“, erklärt der 42 Jahre alte Schweizer. Er ist aus Muri im Kanton Aargau nach Remseck gekommen, um am ersten Graffiti-Festival der Stadt teilzunehmen.

 

Organisiert hat es der Remsecker Frederik Merkt. Der 37-jährige Grafikdesigner ist Hobby-Sprayer und sprüht in Remseck, seit die Stadt zum ersten Mal Wände und Flächen für Graffiti freigegeben hat. Das war 1993. An diesem Samstag sind es 37 Sprayer, viele kommen aus Stuttgart, Heilbronn oder Mannheim. „Uns verbindet der Spaß, die Wände bunt zu machen“, sagt Merkt. Sie besprühen die Unterführungen und Fahrradaufgänge an den Stadtbahnhaltestellen Neckargröningen, Brückenstraße und Mühle – mit Genehmigung der Stadt. Das sagt Merkt auch der Polizei, die ein Anwohner gerufen hat. Durch die Unterführung in Neckargröningen hallt Hip-Hop aus Lautsprechern, dazu zischen die Sprühdosen. Es riecht nach Lösungsmittel. Viele der Sprayer tragen deshalb Atemschutzmasken.

Auch Mega-Man ist auf der Wand

Sie zeichnen „Styles“ an die Wand, das sind künstlerisch verzierte Buchstaben, mal bauchig-voluminös, mal spitz gezackt. Auf eine Wand hat es Mega-Man geschafft, ein Videospielheld. Allen Graffiti gemeinsam sind die Farben: Blau und Gelb dominieren, es sind die Farben von Remseck. Die hat die Stadt, die auch die Sprühdosen stellte, als eine Art „Corporate Identity“ vorgegeben. 18 Spraydosen in verschiedenen Farbtönen hat jeder bekommen. „Unsere Erfahrung ist, dass die besprühten Flächen dann auch nicht überkritzelt werden“, sagt Katrin Radtke, die Kulturamtsleiterin der Stadt. Merkt stimmt zu: „Wenn die Qualität stimmt, ist der Respekt der Szene da.“

Pirmin Breu findet es gut, dass die Stadt den Sprayern Raum für ihre Kunst gibt. Oft würden Graffiti von der Gesellschaft nicht anerkannt oder als asozial oder bedrohlich empfunden. Ein offener Umgang würde das Sprayen aus der Schmuddelecke holen, in der es viele Menschen noch sähen. Breu hat selbst als Jugendlicher illegal gesprüht, gibt er zu. Als die Schweizer Polizei ihn erwischte, folgte das volle Programm: U-Haft, Sozialstunden, teilweise musste er seine Graffiti mit neuen übersprühen. Heute ist er beim Kanton angestellt und erzählt Schulkindern vom Sprayen.

Auch Stefan Maier gehört zu den Graffiti-Veteranen, er hat lange in Stuttgart gelebt und gesprüht. Der 43-Jährige sprüht „Poster“ an die Wand, seinen Szenennamen. Für ihn fing die Begeisterung an den bunten Schriftzügen 1985 an, als er in einer Fernsehdokumentation über New York die Graffiti an den U-Bahnen sah. Seitdem hat sich viel verändert. Statt nachts hektisch Schriftzüge zu sprühen, kann sich Maier jetzt Zeit lassen: „Früher wusstest du: Wenn die Vögel anfangen zu zwitschern, hast du ein Problem.“