Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Komplizierter Wahlkampf: Die Mehrheit der Berliner will eine rot-grüne Koalition. Auch Renate Künast favorisiert die SPD als Partner - stünde aber als Juniorpartnerin nicht zur Verfügung.

 

Sie haben Ihre Kandidatur verkündet, als die Grünen bundesweit im Umfragehoch steckten. In Berlin lagen sie da bei 30 Prozent. Seither geht es nur bergab. Jetzt liegen sie bei 20 Prozent. Warum?

Die Grünen sind von Höhenflügen nie besoffen gewesen. Auch als nach Fukushima über die Laufzeitverlängerung geredet wurde, haben wir gesagt: wir bleiben auf dem Teppich. Wir lagen auch schon oberhalb der aktuellen Umfragen, aber auch diese weisen ein Rekordergebnis für uns aus. Bei der letzten Wahl hatten wir 13,1 Prozent. Während die anderen stagnieren, geht bei uns ein grüner Balken steil nach oben.

Aber es ist doch so, dass sich auf Bundesebene das hohe Niveau einigermaßen stabil gehalten hat. Und in Baden-Württemberg gab es einen kleinen Schwung nach oben.

Baden-Württemberg! Baden-Württemberg hat jetzt mit dem ersten grünen Ministerpräsidenten eine ganz neue Chance. Das ist doch wunderbar.

Wenn wir schon bei Baden-Württemberg sind: können Sie im Wahlkampf irgendetwas von Winfried Kretschmann lernen?

Baden-Württemberg hatte mit Stuttgart 21 ein Spezifikum. Da hatten wir es auch mit einer Bewegung gegen Stefan Mappus zu tun. Das Ländle ist mit Berlin nicht vergleichbar.

Kretschmann hat ja auch eine besondere Art von Wahlkampf gemacht. Er hat versucht, einen sehr sachlichen Stil zu pflegen, konkrete Ansagen zu machen.

Das haben wir gemeinsam.

Warum funktioniert ein sachorientierter Wahlkampf in Berlin dann nicht so gut?

Das scheint mir nicht ausgemacht. Aber ich gebe Ihnen Recht, es gibt in Berlin bislang keine Konzentration auf ein großes Thema. Ich erlebe bei den Menschen, dass sie wirkliche Alltagssorgen haben. Wir haben hier viele Probleme: Berlin gibt nicht jedem Kind die Chance auf einen guten Schulabschluss. Hier steigen die Mieten rasant und Mieter können sich die Wohnung in ihrem Stadtteil nicht mehr leisten. Berlin ist die Hochburg der Aufstocker - hier werden miserable Löhne gezahlt nach zehn Jahren rot-roter Regierung. Das bewegt hier die Menschen.

Dennoch: Ihr Konkurrent Wowereit macht im Wahlkampf kaum inhaltliche Ansagen. Plakate zeigen nur sein Gesicht, nicht mal einen Slogan. Er scheint damit anzukommen. Wie erklären Sie sich das?

Ich weiß nicht, ob er damit am Ende ankommt. Zwei Wochen können sehr lang werden.

Sie ignorieren die Umfrageergebnisse?

Die Grünen stehen eben für einen inhaltsleeren Wahlkampf nicht zur Verfügung. Wir setzen uns mit den Themen auseinander, die die Menschen bewegen. Oder wollen Sie uns jetzt einen inhaltsleeren Wahlkampf vorschlagen?

Das nicht - aber wir stellen uns vor, dass es Sie doch wahnsinnig machen muss zuzusehen, wie erfolgreich der Amtsinhaber angesichts all dieser Probleme mit einem reinen Wohlfühlwahlkampf ist.

Politik ist dazu da, das Gemeinwohl zu managen. Man muss inhaltliche Angebote machen. Die Leute wissen, dass ich ehrlich zu ihnen bin. Ich sage, was ist und sage, welche Handlungsmöglichkeiten ich sehe. Damit kommen wir in Umfragen auf Ergebnisse, die wir in Berlin noch nie hatten.

Sie müssen sich mehr als andere Kandidaten mit Kritik auseinander setzen - es heißt, sie seien verbissen und verkrampft. Muss man sich als Frau solchen Fragen öfter stellen?

Frauen und Männer werden noch immer grundsätzlich anders wahrgenommen. Wenn Frau Merkel auftreten würde wie Herr Steinbrück, würden viele Menschen denken: das ist uns jetzt zu hart. Das ist doch seit den 70er Jahren Alltagswissen aus der Frauenbewegung. Es gibt eine bestimmte Mimik und Gestik, die bei Männern als Kompetenz wahrgenommen wird, aber bei Frauen zu hart wirkt. Damit müssen Frauen leben und umgehen.

Sie haben mal gesagt: "Ich bin halt kein Popstar." Muss ein Politiker um die Hauptstadt zu regieren, nicht ein bisschen Popstar sein?

Ich wollte ja mit dem Begriff schon bewusst etwas ausdrücken: Auch ein bisschen, dass ich das gar nicht sein will. Ein Popstar singt Lieder, aber der regiert nicht.

Nehmen wir vielleicht einen anderen Begriff, ein anderes Beispiel: Über Kretschmann sagen auch viele, er sei eine Kultfigur. Wie viel persönlichen Kult muss ein Politiker entwickeln, wenn er regieren will?

Sicher muss jeder ein Typus sein. Aber das muss authentisch sein. Es ist ja kein Spiel. So gesehen ist mein Kult, dass ich die Wahrheit sage und dass ich dafür stehe, ein Problem bis zur bestmöglichen Lösung zu bearbeiten.

Was schätzen Sie an Wowereit, was am CDU-Kandidaten Frank Henkel?

An Letzterem die Ruhe. Und an Wowereit? Na, er ist lustig.

Ist das nicht ein bisschen wenig für einen Mann, mit dem Sie immerhin eine Koalition planen?

Sie haben mich gefragt, was ich an ihm schätze.


Sie hatten zu Beginn des Wahlkampfs angekündigt, dass Sie entweder Wowereit beerben wollen...

...ich will Wowereit nicht "beerben". Berlin gehört doch nicht Klaus Wowereit, sondern sich selbst.

Okay, Sie hatten gesagt, Sie wollten Regierende Bürgermeisterin werden oder zurück in die Bundespolitik gehen. Warum eigentlich?

Würden Sie erwarten, dass Klaus Wowereit stellvertretender Bürgermeister wird? Ich habe das ehrlich angekündigt. Wowereit sagt es nicht ehrlich. Eine Zusammenarbeit würde wegen der völlig unterschiedlicher Arbeitsweise nicht funktionieren.

Ihnen bleibt ja noch die Option, mit einem grün-schwarzen Bündnis zu regieren.

Warten Sie mal das Wahlergebnis ab.

Was wäre denn an einem grün-schwarzen Bündnis gut für Berlin?

Ich habe immer gesagt, dass wir die größte Schnittmenge mit der SPD haben. Wir haben ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt, jetzt warte ich darauf, dass die SPD sich dazu äußert. Ich will über Inhalte reden.

Was ist, wenn es am Wahlabend für eine grün-schwarze Regierung unter Ihrer Führung reichen würde?

Die Leute treibt vielmehr die Sorge um, ob es eine Fortsetzung des rot-roten Dornröschenschlafs gibt oder gar eine Neuauflage von Schwarz-Rot. Für deren Hinterlassenschaften zahlen wir noch heute dreistellige Millionenbeträge jedes Jahr wegen des Bankenskandals. Wir müssen uns nicht erklären. Die SPD muss sich erklären. Ich sage seit Wochen, dass wir am liebsten mit der SPD regieren würden. Der Ball liegt jetzt bei der SPD.

Und was ist in dem Fall, dass der Ball aufgrund der Wahlergebnisse bei Ihnen liegt?

Die Antwort ist die gleiche.

Wenn Sie nicht Regierende Bürgermeisterin werden, wie groß wäre dann der Schaden für künftige Ambitionen in der Bundespolitik?

Wenn-Fragen kann doch kein Mensch beantworten.


Juristin

Am 10. November hat Renate Künast ihre Kandidatur für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin erklärt. Sie ist derzeit weiterhin Fraktionschefin im Bundestag – bei einer Niederlage will sie zurück in die Bundespolitik. Künast ist 1955 in Recklinghausen geboren, zog in den 70ern als Sozialarbeiterin nach Berlin, studierte Jura und wurde Anwältin.

Politikerin

Ihre politischen Wurzeln hat sie bei der Alternativen Liste, für die Grünen saß sie lang im Landesparlament . 2001 wurde sie die erste Verbraucherschutzministerin der Republik. Seit 2002 ist sie Bundestagsabgeordnete.