Stephan Schlensog von der Stiftung Weltethos macht sich für gemeinsame Werte aller Religionen stark.

Renningen - Europa im Kampf der Kulturen?“ Zu diesem Thema hat die ökumenische Erwachsenenbildung kürzlich in das Bonifatiushaus eingeladen. Dass es hier nicht um populistische Parolen, sondern um „das Miteinander der Religionen“ geht, verrät der Untertitel des Vortrags. Von vornherein stellt der Religionsexperte klar, dass er gekommen ist, um Angst nehmen zu wollen.

 

Europa sehe er nämlich nicht in einem Kampf, aber vor großen Herausforderungen stehen. Konkret meint er die Integration der Flüchtlinge, vor allem aus dem syrischen Kriegsgebiet. Statt ein Bedrohungsszenario zu zeichnen, nimmt er die aktuelle Lage aus mehreren Blickwinkeln wahr. „Deutschland war seit dem Zweiten Weltkrieg ununterbrochen Einwanderungsland“, beginnt er den historischen Abriss der bundesdeutschen Geschichte. Mit Blick auf die Integration der Zuwanderer konstatiert er, damals sei der Faktor Religion von der Regierung unterschätzt worden. Moscheen durften nicht in Stadtzentren, sondern nur in Industriegebieten gebaut werden. Ein Konzept für Integration fehlte vollkommen. Später beklagten Deutsche den fehlenden Integrationswillen eingewanderter Muslime. Eine Spirale von Ausgrenzung und Ghettoisierung begann. Die Irritationen rührten daher, dass im Westen durch die Aufklärung Religion nach innen gelebt werde, wohingegen Einwanderer diese sichtbar nach außen lebten, so Schlensog.

Eine sachliche Debatte über gemeinsame Werte

Eine Konsequenz aus dieser Spirale sei die Radikalisierung einer fundamentalistischen Minderheit. „Aber unser Rechtsstaat hat Mittel dagegen, die er konsequent einsetzen muss“, unterstreicht Schlensog. Statt zu polarisieren, müsse eine sachliche Debatte über gemeinsame Werte aller Religionen und Weltanschauungen geführt werden.

„Alles zu tolerieren, ist naive Multi-Kulti-Romantik. Stattdessen brauchen wir eine kritische Auseinandersetzung in der interreligiösen Verständigung“, betont er. Wie das aussehen kann, zeigt er, indem er von seiner Arbeit in der Stiftung Weltethos berichtet. Viel Wissen über alle Weltreligionen wird dort bereitgestellt, denn „mit Wissen entstehen keine Vorurteile“. Mit Projekten an Kindergärten, Schulen und auch in Gremien des Amateurfußballs beim DFB bringen er und seine Mitarbeiter immer wieder die Frage ins Spiel: „Wie wollen wir miteinander leben?“

Ein „kleines Senfkorn Hoffnung“

Die goldene Regel, die jede Religion in ihren Überlieferungen trägt, sieht er als verbindendes Glied aller Religionen. Im Volksmund heißt sie: „Was du willst, was man dir tu, das füge keinem andern zu.“ Oder wie Schlensog die Worte eines Kindergartenkindes aus Wien zitiert: „Zurückärgern gilt nicht!“ Die Stiftung zeichnet auch Schulen mit dem Siegel „Weltethos-Schule“ aus. „Wenn sie an so einer Schule sind, da merken sie: Da weht ein anderer Geist!“, berichtet Schlensog begeistert.

Die Fragen der Zuhörer im Anschluss haben dann aber gezeigt, dass nicht alle seine Zuversicht teilen. So kommt die aktuelle Angst vor dem türkischen Präsidenten Erdogan zur Sprache. „Erdogan kann ich nicht verändern. Aber ich kann mit den Türken in meiner Nachbarschaft über unser Miteinander reden. Mein Tipp: Gehen Sie raus und machen Sie“, so Schlensog. Auch dies bleibt nicht ohne Widerspruch. Die emotionale Diskussion zeigt, wie passend die Verantwortlichen der ökumenischen Erwachsenenbildung den Vortrag Schlensogs ausgewählt haben. Am Ende fasst dieser die Erlebnisse seiner Arbeit im interreligiösen Dialog als „kleines Senfkorn Hoffnung“ zusammen.

Hintergründe

Stiftung Weltethos
Hans Küng, katholischer Theologe in Tübingen, initiierte im Zuge seiner Forschungen zu allen Weltreligionen das Projekt Weltethos. Darin beschreibt er den moralischen Konsens aller Religionen. Unternehmer unterstützten ihn, sodass die Stiftung entstand. Seit 2012 ist das Weltethos-Institut an die Uni Tübingen angegliedert, um den interreligiösen Dialog mit mehreren Projekten voranzutreiben.

Der Referent Stephan Schlensog arbeitet seit mehr als 25 Jahren zusammen mit Hans Küng am Weltethos-Projekt. Er ist Generalsekretär der Stiftung und gibt am Institut Seminare.