Das Emirat Katar ist der Albtraum aller Klimaschützer. Doch nun hat es eine eigene Umweltbewegung. Wer engagiert sich darin – und wie unabhängig können die Umweltschützer in einem autoritären Staat sein?

Doha (Katar) - Das Emirat Katar legt sich alles zu, was ein moderner Staat nach der Meinung seiner Herrscher so braucht: Es gibt hier pro Kopf fast so viele Autos wie in Europa, es gibt amerikanische Eliteuniversitäten und ein Museum für islamische Kunst vom Stararchitekten I. M. Pei. Katar sponsert den FC Barcelona und ist als erstes arabisches Land Gastgeber einer Klimakonferenz. Und seit dem 1. Dezember 2012, acht Uhr morgens, hat Katar auch eine Umweltbewegung.

 

Die trifft sich an der sorgsam gepflegten Uferpromenade zum „Klima-Marsch“. Männer in den traditionellen langen, weißen Thoubs und schwarz verschleierte Frauen begrüßen europäische Ökoaktivisten in Shorts, T-Shirts und Eisbärkostüm – Schulterklopfen, Umarmungen. Hinter einer vierspurigen Straße erheben sich die Glastürme der Businesswelt. Überall drehen sich Kräne, Laster brummen, dick vermummte Arbeiter mit blauen Anzügen und gelben Warnwesten klettern über das Gewirr von Draht und Zement.

Khalid al-Mohannadi greift zum Megafon: „Araber, jetzt ist es Zeit zu handeln“, ruft der füllige Mittvierziger, der die Demo organisiert und angemeldet hat. Hinter ihm formiert sich der Demonstrationszug: Tausende von Aktivisten waren angekündigt worden, ein paar Hundert sind gekommen. Die Sonne sticht, vom Meer kommt eine leichte Brise, es geht los durch das menschenleere Geschäftsviertel. Hinter den heimischen Aktivisten marschieren die Freunde aus der ganzen Welt: der WWF, afrikanische Umweltgruppen, japanische Atomgegner, südamerikanische Gewerkschafter, Veganer. Die internationale Ökobewegung begrüßt ein neues Mitglied.

Die Demo macht einen Eindruck wie ein Marathon

Handgemalte Plakate fordern: „Mehr Aktion, weniger Reden“. Die Slogans sind die gleichen wie immer, wenn die Klimaschützer am ersten Wochenende der zweiwöchigen UN-Gipfel zur Demo rufen. Aber diese Demo ist anders. In den Vorjahren brachten die Märsche Zehntausende von Klimaschützern auf die Straßen. Es wurde getanzt, geschrien, geflucht und manchmal mit der Polizei gerangelt. Aber das ist nicht Doha-Style. Hier sperrt die Polizei die Straße und beobachtet von Booten im Wasser aus. Der Demozug geht die Straße entlang, dann wieder brav zurück. Helfer am Straßenrand verteilen Wasser. Sanitäter auf Mountainbikes begleiten den Zug. Das Gefühl ist eher Marathon als Manifestation.

Von Führung der katarischen Präsidentschaft ist beim Klimagipfel bis jetzt nichts zu sehen. Das kleine Emirat mit knapp zwei Millionen Einwohnern und dem nach Luxemburg höchsten Pro-Kopf-Einkommen hat die schwärzeste Ökobilanz der Welt: Kein Land stößt pro Einwohner mehr Kohlendioxid aus oder verbraucht mehr Ressourcen. Hinter der Fassade von Wachstum und Wohlstand lauern massive Umweltprobleme wie Wassermangel, Wüstenbildung und ungebremstes Wachstum, schreibt die Politikwissenschaftlerin Mari Luomi aus Doha in ihrem zur Konferenz erschienenen Buch über die „Golf-Monarchien und Klimawandel“ (auf Englisch im Verlag C. Hurst & Co.). Katar hat riesige Reserven an Öl und Gas und seit 2005 etwa 85 Milliarden Dollar auf die hohe Kante gelegt, um sich damit weltweit in Wachstumsbranchen einzukaufen – und hat zum Beispiel sieben Prozent von VW übernommen.

Der Klima-Marsch hat den halben Weg geschafft. Der Grünstreifen am Ufer wird nachts mit viel Aufwand gepflegt, an jedem Baum liegt ein Bewässerungsschlauch. Im Morgendunst ist die andere Küste der Bucht nicht zu sehen. Aber dort, eine knappe Stunde im Auto entfernt, steht eine der riesigen Raffinerien, auf die das Land seinen Reichtum gründet.

Der Emir fördert den Aufbau von Umweltgruppen

Im Zug läuft eine junge Frau in der knöchellangen schwarzen Abbaya mit Kopftuch. Noor Jassim al-Thani ist Mitbegründerin der Organisation Doha-Oasis, die den Marsch zusammen mit einer anderen Gruppe organisiert. Sie versteckt ihr Gesicht hinter einer riesigen Sonnenbrille, gibt aber gern Auskunft. Ihr gehe es vor allem um Aufklärung, sie wolle das Klimathema bekannt machen, sagt die Geschäftsfrau, die Firmen beim Marketing ihrer Wohltätigkeitsaktivitäten berät. Und auch wenn Doha-Oasis noch nicht offiziell zugelassen ist, hat es keine Probleme bei der Anmeldung der Demo gegeben – erstaunlich in einem autoritären Staat, der von internationalen Organisationen regelmäßig als „unfrei“ gebrandmarkt wird. Aber nicht so erstaunlich für Noor al-Thani: „Ich gehöre zur regierenden Familie“, sagt Noor Jassim, „meine Großmutter ist irgendwie mit der Mutter des Emirs verwandt.“

Wie unabhängig ist Doha-Oasis? Geld bekommen sie – noch – keines vom Staat, darauf legen die Aktivisten Wert. Aber die Regierung hat im vergangenen Jahr 500.000 Dollar in den Aufbau von Umweltgruppen investiert, Reisen und Schulungen bezahlt. In Katar bestimmt der Emir über die Emissionen. „Mit Konfrontation erreicht man hier nichts, es geht um Kooperation“, sagt al-Thani. Den Kuschelkurs mit den Scheichs findet sogar Wael Hmaidan in Ordnung, der den sonst kritischen Weltdachverband Climate Action Network anführt. In Gesellschaften wie in Katar könne man durch „persönliche Kontakte mehr erreichen“ als durch klassische Konfrontation mit den Mächtigen, sagt Hmaidan.

Ihm ist vor allem das Engagement der jungen Leute wichtig, wie dem der 22-jährigen Palästinenserin Rahma Abu Swai, die an der staatlichen Universität in Doha Umweltwissenschaft studiert. Zur Demo konnte sie nicht, der Rücken macht nicht mehr mit. „Ich habe meinen Eltern versprochen, mich zu schonen“, sagt sie, aber sie läuft schon wieder durch die Gänge des Kongresszentrums, wo die Klimadiplomaten tagen. Gerade hat sie das Jugendtreffen zum Klimaschutz organisiert, 500 Jugendliche voller Elan, die auf einen arabischen Klimafrühling hoffen. „Wir Jungen brauchen eine Stimme in diesen Verhandlungen“, sagt sie. Umfragen zeigen, dass bei der Jugend von Katar noch Aufklärungsarbeit wartet. Bis jetzt sind für viele Wüstenrennen mit aufgemotzten Jeeps attraktiver als Klimaschutz. Sollten Jugendliche nicht aufbegehren, wenn ihre Lebenschancen verspielt werden? Rahma Abu Swai hat dafür nur ein Lächeln übrig. Sie streicht ihr Kopftuch zurecht, nimmt ihr iPad zur Hand, holt aus dem Internet die passende Sure im Koran: „Der Zustand des Landes hat sich verschlechtert durch die Hand des Menschen, deshalb wird ER ihnen die Konsequenzen ihres Handelns zeigen.“

Das abschreckende Beispiel: lebenslänglich für Kritik am Staat

Auch nach einer Stunde Gespräch kommt der Klimaschützerin keine Kritik an ihrer politischen Führung über die Lippen. Dafür gibt es auch gute Gründe, denn bei kritischen Nachfragen gehen in Katar schnell die Jalousien runter. Das Umweltministerium lässt alle Anfragen zur Energiepolitik unbeantwortet. Das staatseigene Unternehmen Qatar Petroleum hat keine Zeit für Interviews. Journalisten und Wissenschaftler sprechen nicht oder nur anonym mit ausländischen Reportern. Ihnen allen schwebt das Beispiel von Mohammad ben az Ziba al-Agdami vor Augen: Der Dichter hatte Kritik an den Zuständen in Katar angedeutet und Sympathie für den Arabischen Frühling gezeigt. Dafür wurde er in der ersten Woche der Klimakonferenz wegen Beleidigung der herrschenden Familie verurteilt. Das Strafmaß: lebenslänglich.

Die Demo kehrt zum Ausgangspunkt zurück: dem Corniche-Park, wo die Katarer mit laufendem Motor in ihren Autos sitzen, bis jemand vom Imbissstand die Bestellung bringt. Als sich die bunte Truppe zum Gruppenfoto aufstellt, kommt al-Mohannadis größter Erfolg: Fahad al-Attiya ist da, er greift zum Mikrofon und dankt den Teilnehmern. Der Chef des Organisationskomitees für die Klimakonferenz ist noch der Grünste in der katarischen Machtelite. Er redet sogar mit Journalisten: Ja, das Land habe mit seinen Treibhausgasen Probleme, mache aber große Fortschritte. „Alle neuen Gebäude müssen energieeffizient sein“, sagt er mit Blick auf die riesigen Hochhauspaläste am Ufer. Katar hat angekündigt, die Solarenergie auszubauen und sich irgendwann zu 20 Prozent aus erneuerbarer Energie zu versorgen. Aber einen Ausstieg aus Gas und Öl, wie es Umweltschützer fordern? Gar eine eigene Verpflichtung zu weniger Emissionen? An solchen Themen redet er wortreich vorbei.