Mehr als Daumen drücken konnten die Nasa-Mitarbeiter am Ende nicht mehr tun. Curiosity war bei der Landung auf sich gestellt. Nun hoffen die Europäer auf eine eigene Mission zum Roten Planeten – und suchen schon nach Partnern.

Darmstadt - Die Landekapsel fällt und fällt. Auf dem Bildschirm wird die Geschwindigkeit angezeigt: Sie steigt auf mehr als 13 000 Meilen, also 21 000 Kilometer in der Stunde. Die Schwerkraft des Roten Planeten bringt es zwar nur auf ein Drittel derjenigen auf der Erde, doch sie macht sich nun bemerkbar. Die Kapsel ist noch 150 Kilometer über dem Marsboden. Der Herzschlag sei zu hören, sagt ein Nasa-Mitarbeiter, ohne von seinem Monitor aufzublicken. „Alles sieht gut aus.“ Der Herzschlag ist ein Funksignal, mit dem die Kapsel anzeigt, wo sie sich befindet.

 

Die Mission wird diesmal nicht in Houston überwacht, sondern von einem Forschungszentrum der Raumfahrtbehörde im kalifornischen Pasadena aus. Die Mitarbeiter sitzen dort in langen Reihen, alle tragen ein hellblaues, kurzärmliges Hemd. An der Rückwand hängt eine Flagge. „Die Amerikaner sind viel disziplinierter als wir, was ihre Kleidung angeht“, witzelt Paolo Ferri, der im Darmstädter Kontrollzentrum der Europäischen Raumfahrtagentur die Landung verfolgt. In Darmstadt trägt jeder Mitarbeiter, was er will; Ferri hat sich für ein graues Jackett und eine Krawatte entschieden. Er ist in der Raumfahrtagentur für die Planetenmissionen zuständig. Im Kontrollzentrum der Esa sind an der Wand 60 eigene Satellitenmissionen mit Startdatum vermerkt.

Fünf Jahre wurde über den Landeplatz debattiert

Eine Schrecksekunde gibt es, als die Landekapsel von der Erde aus gesehen hinter dem Mars verschwindet. Die Signale sollen nun von dem Satelliten Odyssey aufgefangen werden, der den Mars umkreist. Doch Odyssey sendet nichts Brauchbares. Gerade als die Kapsel in die dünne Marsatmosphäre eintaucht und beginnt, sich durch die Reibung mit der Luft auf mehr als 2000 Grad aufzuheizen, geht der Kontakt verloren. Bei dieser Hitze entstehe ein Plasma, das den Funkkontakt störe, erklärt Paolo Ferri in Darmstadt gelassen. Und tatsächlich meldet sich die Kapsel nach einigen Sekunden wieder.

Die Sonde wird durch die Luft abgebremst, auf sie wirkt die zwölffache Schwerkraft der Erde. „Ich möchte nicht in dieser Kapsel sitzen“, sagt Ferri. Er erklärt, dass das größte Problem die Unberechenbarkeit sei. „Der Luftdruck schwankt stärker als auf der Erde“, sagt er. Und windig kann es auch sein. Die Landekapsel hat Steuerdüsen, um die Flugkurve bei Bedarf zu korrigieren. Sie soll auf einem Flecken landen, der nur 7 mal 20 Kilometer groß ist – eine bisher unerreichte Präzision.

Illustration: So landet „Curiosity“ auf dem Mars

Das Ziel ist ein Krater, der nach dem verstorbenen australischen Kometenexperten Walter Gale benannt worden ist. Die Kapsel soll zwischen dem Kraterrand und einem fünf Kilometer hohen Berg in der Mitte des Kraters aufsetzen, der Mount Sharp genannt wird. Nahe genug am Berg, um ihn zu untersuchen, aber weit genug von den Hängen entfernt, um dort nicht abzurutschen oder auf einem Felsen zu landen.

„Vielleicht sind wir alle Marsianer.“

Fünf Jahre haben Planetenforscher über den Landeplatz debattiert. 60 Vorschläge waren im Gespräch. Klar war nach einiger Zeit, dass man ein bisher unerforschtes Gebiet besuchen möchte. Einig war man sich auch, dass man in der Nähe des Marsäquators landen sollte. Eine Landung in nördlichen Breiten erfordert mehr Treibstoff und damit einen größeren Tank und ein anderes Design der Landekapsel. Aber am Äquator hätte es auch der Krater Eberswalde werden können, benannt nach einem Städtchen nahe Berlin. Eberswalde weist ein ausgetrocknetes Flussdelta auf, wie man es von der Erde kennt. Doch es gibt nicht viel Platz zum Landen. Der Gale-Krater ist größer und bietet einen Berg, an dessen Hängen Ablagerungen verschiedener Epochen der Marsgeschichte untersucht werden können. Sein Nachteil: niemand weiß, wie sich der Berg gebildet hat. Als rätselhaft und somit wissenschaftlich reizvoll wurde der Gale-Krater daher beschrieben, bis sich einige Forscher beschwerten, zu viele Rätsel seien auch nicht das Wahre.

Am Ende ging es aus wie in der Politik: Als jeder Wissenschaftler seinen Lieblingslandeplatz gefunden hatte und eine Einigung unmöglich schien, setzten sich einige Wissenschaftler und Manager in einem Hinterzimmer zusammen und entschieden sich für den Gale-Krater. „Es ist ein guter Kompromiss“, sagt Paolo Ferri heute. „Er macht niemanden glücklich und doch alle zufrieden.“ Der Roboter, der den Mars erkunden soll, wurde anschließend Curiosity genannt, Neugier.

Ferri und viele Forscher glauben, dass es nicht nur auf der Erde Leben geben dürfte. „Es gibt Milliarden Planeten im All“, sagt er, „und viele davon könnten Leben hervorbringen.“ Um zu untersuchen, unter welchen Bedingungen Leben entsteht, möchte auch er einen Roboter zum Mars schicken. Wenn schon auf dem Nachbarplaneten Leben möglich sein sollte, wo noch alles? Sein Kollege Mark McCaughrean bringt die Theorie ins Spiel, derzufolge die Bausteine des Lebens durch Kometen und Meteoriten auf die Erde kamen. Vielleicht schlugen sie auch auf dem Mars ein. Was, wenn sie vom Mars zur Erde gelangt sind? McCaughrean will es nicht ausschließen: „Vielleicht sind wir alle Marsianer.“

Die nächste Marsmission steht noch in den Sternen

Ob die Forschungsminister der Esa-Mitgliedsländer Ende des Jahres eine eigene Marsmission für rund eine Milliarde Euro bewilligen? Ferri will nicht spekulieren. „Technisch sind wir bereit“, sagt er nur. Der Italiener lebt schon seit vielen Jahren in Darmstadt. Sein nächstes Ziel: 2014 wird die Sonde Rosetta einen Kometen erreichen, zu dem sie vor zehn Jahren unter seiner Leitung gestartet ist.

Im Unterschied zu den Amerikanern, die alles gerne im Alleingang machen, setzt man in Europa auf Kooperationen. Die russische Agentur Roskosmos soll daran interessiert sein, sich an der europäischen Marsmission zu beteiligen. Doch die Amerikaner sind ausgestiegen. „Nicht ganz“, korrigiert Ferri, „sie liefern uns das Radio.“ Über dieses Radio soll der Landeroboter mit dem Mutterschiff im Marsorbit in Kontakt bleiben. „Und wir hoffen, dass die Nasa nach der erfolgreichen Landung nun das Niveau der Kooperation erhöht.“

In Darmstadt gibt man sich redlich Mühe, die eigene Bereitschaft zu unterstreichen. So hat die Esa schon vor vier Monaten die Flugbahn ihres Satelliten Mars Express geändert, um ebenfalls die Funksignale der Landekapsel von Curiosity aufzufangen. Und man hat der Nasa zugesichert, auch künftig das eigene wissenschaftliche Programm hintanzustellen, wenn man bei Schwierigkeiten helfen könne.

Die heiße Phase beginnt

„Wir spüren die Hitze hinter dem Schild“, sagt ein Nasa-Mitarbeiter im Kontrollzentrum. Daten abzulesen ist alles, was man dort tun kann. Tatsächlich ist Curiosity längst angekommen. Doch der Mars ist 250 Millionen Kilometer entfernt und Funksignale benötigen mit Lichtgeschwindigkeit 14 Minuten bis zur Erde. Also heißt es warten – und jeden Zwischenstand mit Applaus zu quittieren. Der Fallschirm wird geöffnet, der Hitzeschild abgeworfen. „Standing by for sky crane“, wird der heikelste Teil angekündigt. Der „Himmelskran“ hält sich mit Düsen in der Luft und lässt Curiosity an Seilen zu Boden. „Als wir von diesem Plan das erste Mal gehört hatten, dachte jeder: das ist verrückt“, erzählt Ferri. Doch dann heißt es: Touchdown, we’re safe. Die Amerikaner liegen sich in den Armen, die Europäer gratulieren.

Zwei Minuten später erscheint das erste Bild auf der Leinwand: Es stammt von einer der kleinen Seitenkameras, die Curiosity vor Hindernissen warnen sollen. Außer einem hellen Fleck in der oberen Hälfte ist nicht viel zu sehen. Doch bei der Nasa ist man begeistert: Die Kamera funktioniert, das Radio auch. „Schaut bitte auf den Schirm“, sagt eine Frau, „da kommt noch mehr Zeug.“ Das nächste Bild zeigt eines der sechs Räder im Sand: Curiosity steht also aufrecht. Die Qualität der Aufnahmen sei noch schlecht, heißt es bei der Nasa. „Wir haben bei der Landung eine Menge Staub aufgewirbelt.“ Ein drittes Bild zeigt den Schatten, den der autogroße, 900 Kilogramm schwere Roboter wirft. Danach verschwindet der Satellit Odyssey hinter dem Mount Sharp, und der Kontakt reißt ab.

US-Präsident Barack Obama bezeichnet die zwei Milliarden Euro teure Mission später als „beispiellose technische Meisterleistung“. Und er betont, dass die Vormachtstellung Amerikas darauf beruhe, dass man klug in Technologie und Grundlagenforschung investiere. Für das kommende Jahr will Obama das Budget der Marsmissionen jedoch um 38,5 Prozent kürzen.