Sie kommen, um zu helfen: Notärzte und Notfallsanitäter müssen sich eigentlich um ihre Patienten kümmern. Doch häufig werden sie von verständnislosen Autofahrern oder Passanten in sinnlose Diskussionen verwickelt.

Leserredaktion : Kathrin Zinser (zin)

Stuttgart - Ein medizinischer Notfall im Stuttgarter Westen: Ein junger Mann bricht krampfend zusammen, Passanten leisten erste Hilfe und rufen den Notarzt. Als dieser eintrifft, ist der Mann nicht ansprechbar. Noch während des Einsatzes steigt eine Frau, die durch die Einsatzwagen an der Weiterfahrt gehindert wird, aus ihrem Auto aus. Sie geht auf die Rettungskräfte zu und beschwert sich darüber, dass die Fahrzeuge ihr den Weg versperren und sie nicht weiterfahren kann. Mehrfach verwickelt sie die Sanitäter in eine Diskussion. Ein Einzelfall?

 

„So etwas ist für unsere Kollegen Alltag“, sagt Ralph Schuster, Rettungsdienstleiter des DRK Stuttgart. Die Hemmschwelle, Rettungskräfte verbal zu attackieren sei deutlich gesunken – der Respekt vor ihnen auch.

Sekunden entscheiden über Leben und Tod

Dass viele Menschen offenbar kein Verständnis mehr für die Einsätze von Notärzten und Rettungsdiensten haben, konstatiert auch Stephan Müller, Leiter des Rettungsdiensts der Johanniter in Stuttgart. „Wir waren früher die Guten“, sagt er – heute seien Diskussionen an der Tagesordnung. „Natürlich ist es in Stuttgart richtig schwierig mit dem Verkehr, da ist die Aggressivität vieler Autofahrer hoch. Und jeder steht unter Zeitdruck – aber bei unseren Einsätzen geht es um Sekunden.“ Sekunden, die über Leben und Tod entscheiden können. Da mache es einen Unterschied, ob das Notarzteinsatzfahrzeug direkt neben dem Betroffenen halten kann oder die Rettungskräfte noch 500 Meter zum Patienten laufen müssen.

„Der eigene Anspruch wäre ja auch der, dass man selbst möglichst schnelle Hilfe bekommt, wenn man sie benötigt“, sagt Ralph Schuster vom DRK. Nicht jeder, der sich an die Rettungskräfte wendet, wird gleich unverschämt. „Häufig fragen Menschen einfach sachlich nach“, berichtet Schuster. Dennoch haben unnötige Diskussionen aus Sicht von ihm und seinen Kollegen zugenommen, auch wenn es keine belastbaren Zahlen zu verbalen Attacken gegenüber Rettungskräften gibt.

Mangelnder Respekt

Dieses Phänomen zeigt sich nicht nur in Stuttgart, sondern auch anderswo. Udo Bangerter, der Pressesprecher des DRK Landesverbands, spricht daher in diesem Zusammenhang von gesamtgesellschaftlichen Tendenzen: „Es gibt eine Erosion im Respekt und in der Höflichkeit.“

Diese Erosion begegnet den Rettungskräften nicht erst im Einsatz vor Ort. Fabian Müller, der Leiter der Integrierten Leitstelle in Stuttgart, beobachtet, dass sich Drohungen bei Notrufen häufen. „Da wird dann mit dem Rechtsanwalt gedroht, wenn nicht sofort ein Notarzt vorbeigeschickt wird“, erzählt er. Für den Disponenten an der Leitstelle sei es jedoch wichtig, durch gezieltes Nachfragen zunächst einmal herauszufinden, ob der Einsatz des Notarztes überhaupt erforderlich ist. Auch wenn respektlose Anrufe zugenommen haben – „prozentual gesehen machen sie einen kleinen Anteil aus“, schätzt Müller. Er konstatiert jedoch noch eine andere negative Entwicklung: „Heute wird wegen Lappalien ein Notarzt verlangt.“

Körperliche Attacken sind selten

Dass Notärzte, Notfallsanitäter oder Rettungsassistenten im Einsatz körperlich angegangen werden, ist die Ausnahme. „Das gibt es zum Glück nur in Einzelfällen“, erklären Ralph Schuster und Stephan Müller übereinstimmend. Bereits in der Ausbildung lernen angehende Notfallsanitäter, deeskalierend zu reagieren und auch bei Fort- und Weiterbildungen wird der Umgang mit Provokationen trainiert, so Schuster.

Was der Rettungsdienstleiter überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist, dass immer mehr Passanten ihre Smartphones zücken und verunglückte Menschen filmen. „Auch wenn wir vor Ort sind, wird einfach draufgehalten“, sagt Schuster. Dann müssen die Rettungskräfte oftmals die Polizei hinzuziehen, die den Patienten abschirmt und ihn vor filmenden Gaffern schützt. Auch hier zeige sich mangelnder Respekt im Umgang miteinander. „Ich weiß wirklich nicht, welche Intention dahinter steckt“, sagt Schuster.

„Aber wir sind nun mal nicht der Kindergarten, sondern der Rettungsdienst. Die gute Kinderstube muss man den Menschen woanders beibringen“, betont Stephan Müller von den Johannitern. Immerhin, sagt Ralph Schuster, gebe es auch eine Vielzahl von Menschen, die sehr positiv auf ihn und seine Kollegen reagieren; Bürger, die helfen und Zivilcourage zeigen.