Im Krieg mussten Zwangsarbeiter Luftschutzgänge ausheben. Jetzt sind sie vom Einsturz bedroht. Auch der Denkmalschutz redet ein Wörtchen mit.

Reutlingen - Dunkel nass und dreckig ist es hier." Der Geologe Klaus Kleinert öffnet nahe der Echaz die unscheinbare Eisentür zu einem der ungewöhnlichsten Orte Reutlingens, dem nach einer Brauerei benannten Frankonia-Stollen. Über 440 Meter verläuft der Stollen in neun bis 13 Meter Tiefe unter Häusern hindurch und auch unter dem Gelände des städtischen Obstgartens, der Pomologie.

 

Vorangetrieben wurde er zwischen Herbst 1944 und Frühjahr 1945 von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern. Doch bevor das als Luftschutzkeller gedachte Stollensystem fertig gestellt wurde, war der Krieg zu Ende. Nun wird diskutiert, ob der Stollen ganz aufgefüllt werden soll oder nur in Teilen und mit welchem Material.

Dunkel, nass und dreckig - und dazu alles andere als stabil. In Jahrzehnten ist viel Gestein aus dem First des Stollens gebrochen. So hat sich der Boden an vielen Stellen um einen Meter oder mehr gehoben. Das Laufen auf dem Schutt gestaltet sich nicht einfach, wer sich an den Wänden festhält, löst Brocken aus dem Gestein, Wasser tropft in die Gänge. Manche Steine, Holzbalken und Baumwurzeln sind "versintert", wie Kleinert sagt: Es haben sich mineralische Ablagerungen gebildet, die in Höhlen auf der Alb zu Tropfsteinen führten.

Der maroder Bunker birgt Gefahren

Betonschalen sichern den Stollen nur auf rund 60 Metern. Der Rest war einmal mit Holzplanken stabilisiert, viele von ihnen dürften nach dem Krieg als Feuerholz verwendet worden sein. Wenn nichts geschieht, wird der Stollen irgendwann nicht mehr begehbar sein oder ganz einfallen.

Gut 60 Jahre lang hat darüber niemand nachgedacht. Doch Anfang 2009 zeigten sich auf dem Parkplatz neben dem Lokal Uhlandhöhe Risse. Vertreter des Liederkranzes, damals Eigentümer des Lokals, wussten von dem Stollen darunter und vermuteten einen Zusammenhang. Der stellte sich bei den darauffolgenden Untersuchungen als falsch heraus.

Aber im Zuge derer wurde deutlich, wie marode der Frankonenbunker geworden war. Mögliche Gefahren für die Oberfläche oder sogar Häuser sind nicht auszuschließen. Die Empfehlung der Gutachter lautet: verfüllen, und zwar mit zementgebundem Material, wie es bei nahezu allen Stollen im Land mit ähnlicher Bestimmung längst geschehen ist.

Der Stollen soll mit Kies gefüllt werden

Diesem Vorschlag folgte die Stadt und bat um Zustimmung bei den zuständigen Behörden. Das Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau hatte nichts dagegen einzuwenden, wohl aber die höhere Denkmalschutzbehörde des Tübinger Regierungspräsidiums und die Untere Naturschutzbehörde des Landratsamts Reutlingen. Begründung zum Ersten: der Frankonenstollen sei ein Kulturdenkmal aus heimatgeschichtlichen Gründen. Begründung zum Zweiten: Bei unterirdischen Hohlräumen sei der Biotopschutz anzuwenden.

Nach diesen Bescheiden wurde erwogen, den Stollen an kritischen Stellen aufzufüllen. Doch Ulrike Hotz, Reutlingens Baubürgermeisterin, stellt klar: "Auch in den verbleibenden Rest können wir die Öffentlichkeit nicht reinlassen." Um dies möglich zu machen, wäre zu hohen Kosten eine Sanierung des Stollens in einen Zustand notwendig geworden, den er niemals hatte. Ohne sie würde der Zerfall fortschreiten.

Nun zeichnet sich ein Kompromiss ab, der für die Behörden gangbar erscheint. Der gesamte Stollen soll unter Druckluft mit Kies verfüllt werden. Die Fachleute sprechen von "reversiblem Material". Denn wenn kommende Generationen neue Pläne mit dem Stollen hätten, könnte der wieder freigelegt werden. 600.000 Euro kostet die Kiesaktion, schon nächstes Jahr wäre der Eingriff möglich. Der Gemeinderat wird bald darüber befinden. Ulrike Hotz hält jedenfalls fest: "Der Bergbau ist für uns in Reutlingen Neuland."

Reutlingen vier mal Ziel von Luftangriffen

Frankonenstollen Die als Luftschutzkeller gebauten Gänge haben ihren Ausgangspunkt im Keller einer Brauerei aus dem 19. Jahrhundert unter der Uhlandhöhe. Das System umfasst zwei Stollen mit Seitenarmen. 1200 Menschen sollten hier Schutz gegen Luftangriffe finden können.

Bombenangriffe Reutlingen wurde erst 1945 Ziel der alliierten Bomber, die vor allem die Bahnlinie und den Bahnhof treffen wollten. Bei vier Angriffen von Januar bis März kamen 474 Menschen ums Leben, 3200 Wohnungen wurden zerstört und damit rund ein Viertel aller Gebäude der Stadt.

Zwangsarbeiter Während des Zweiten Weltkrieges wurde in Reutlingen ein Zwangsarbeiterlager für knapp 4000 Menschen eingerichtet. Mehr als hundert sollen den Tod gefunden haben, wie aus einer im Oktober 2002 aufgestellten Gedenktafel auf dem Gelände des Lagers hervorgeht.