Seit 1956 erscheint in London das Wissensmagazin „New Scientist“. Wöchentlich. Es informiert seine Leser und unterhält sie auch mit feinem britischen Humor. Wird das auch in Deutschland funktionieren?

Stuttgart - Kennen Sie den „New Scientist“? Ach so, Sie waren schon am Kiosk. Also genauer: Kennen Sie den britischen „New Scientist“? Von der Antwort auf diese Frage hängt entscheidend ab, wie diese Rezension weitergehen muss. Nur wenn sie mit Ja antworten, verstehen Sie nämlich den Glanz im Auge des Rezensenten, und zugleich den Zweifel in seinen Stirnfalten, wenn er ihnen mitteilt: Den gibt’s seit Freitag auch auf Deutsch! Und er sieht aus wie das Original – obwohl das doch so ganz und gar britisch ist. Nicht deutsch.

 

Wenn Sie ein Fan des britischen Originals sind, dann wissen Sie vielleicht schon, dass der „Spiegel“-Verlag eine hundertprozentige Tochter namens New Scientist Deutschland GmbH gegründet und eine Redaktion aufgebaut hat, in der Chefredakteur Lothar Kuhn, Mitte vierzig, ganz klar zu den Älteren gehört. 15 Redakteure bilden nach Auskunft des Verlags die Kernmannschaft; sie werden durch weitere Autoren aus dem „Spiegel“-Verlag unterstützt. Die ersten drei Ausgaben werden in einer Auflage von 55.000 Exemplaren gedruckt, danach sind vorerst 45.000 angepeilt. Die britische Auflage liegt bei 130.000 in der Woche.

Den britischen Humor kann man nicht übersetzen

Drei Ausgaben – das ist bei anderen Wissenschaftsmagazinen ein Vierteljahr. Nicht so beim „New Scientist“. Der ist eine Wochenzeitschrift. Beim britischen Original, das über die Grenzen Großbritanniens hinaus überall gelesen wird, wo man englisch spricht, funktioniert das Konzept seit 1956. In Deutschland ist es eine Neuheit. Beim „Spiegel“-Verlag gibt man zu, dass man nicht weiß, wie die Neuheit ankommen wird.

Lothar Kuhns Truppe hat sich also keine leichte Aufgabe vorgenommen. Das hat zum Teil auch etwas mit den Fans zu tun. Der „New Scientist“ ist keine Fachzeitschrift. Er richtet sich „an all die Männer und Frauen, die sich für wissenschaftliche Entdeckungen und ihre industriellen, kommerziellen und sozialen Folgen interessieren“, wie es bei der Gründung 1956 hieß. Er hat immer verstanden, dieses Publikum nicht nur gut recherchiert zu informieren, sondern auch zu unterhalten. Ein Markenzeichen ist der feine britische Humor, der sich durch die Hefte zieht, von doppelbödigen Überschriften bis zu ironisierenden Beiträgen und Illustrationen zwischen all der seriösen Wissenschaft.

Das weiß die deutsche Mannschaft. Sie verspricht deshalb in ihrer Selbstdarstellung, „mit kritischer Distanz, Sinn für Ironie – aber stets auf der Seite von Aufklärung und Wissenschaftlichkeit“ zu berichten. Und so erfreut die Startausgabe ihre Leser mit Überschriften wie „Rüsseln auf Asiatisch“ zu einem Bericht über einen Elefanten, der koreanisch sprechen kann, und „Wir sind alle Prostata“ über eine etwas fragwürdige Aktion für männliche Gesundheitsvorsorge. Im Großen und Ganzen aber kann man britischen Humor nicht übersetzen. Man muss ihn ersetzen – eine sportliche Herausforderung, für die dem Team eine glückliche Hand zu wünschen ist.

Auch das Eindeutschen mancher Themen ist schwierig

Schmuck des deutschen Heftes sind nach dem Vorbild des Originals Schwerpunktthemen und längere Beiträge, die den Stand auf einem Wissenschaftsgebiet zusammenfassen und erläutern. Das Titelthema „Erinnerung – wie unser Gedächtnis die Zukunft erfindet“ ist eine Übersetzung aus dem Mutterheft, andere Beiträge wie der über den Stand der Dinosaurierforschung sind übernommen, aber um den Blick auf die Forschung in Deutschland ergänzt. Wie schwierig solche Eindeutschung ist, merkt man an zwei Artikeln über Schulunterricht online und Datenschutz, Themen, die für ein deutsches Publikum ganz anders aufgezogen werden müssten als für ein angelsächsisches. Zum Glück gibt es laut Verlag keine Vorgabe, feste Anteile des Mutterhefts zu übernehmen.

Wissenschaft wöchentlich – das braucht Raum für Aktuelles. Darin unterscheidet sich der „New Scientist“ von der Magazinkonkurrenz. Tatsächlich hat es sogar Wirbelsturm Sandy noch in das aktuelle Heft geschafft. Ob diese Rubrik mit dem Tempo der aktuellen Medien mithalten kann, werden die Leser entscheiden. Die Chance verdient das Projekt – auch bei den Noch-Nicht-Fans.