Eine Handvoll neu erschienener Bücher widmen sich der Geschichte des Landes Baden-Württembergs und der Stadt Stuttgart – meist anhand von Biografien großer, aber auch kleiner Leute.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Lebensläufe, Schicksale, Irrwege: Das könnte das Leitmotiv im frühsommerlichen Bücherwald sein, zumindest, wenn man die Neuerscheinungen mit Bezug zu Stuttgart und Württemberg betrachtet. Bitte treten Sie ein ins Kaleidoskop der Biografien.

 

Sieben Stuttgarter Lebenswege

Das Schicksal ist nicht unausweichlich – dieser Satz könnte über dem neuen Buch von Peter Poguntke stehen. Sechs Autoren stellen darin sieben Stuttgarter Persönlichkeiten vor, die jede bewusst entschieden hat, wie sie sich zum Nationalsozialismus stellt. Hans Gasparitsch hatte beschlossen, „unbeugsam im Widerstand“ (so die Titelzeile) zu sein. Er musste es mit einem zehnjährigen Leidensweg durch KZs büßen. Friedrich Mussgay dagegen war als letzter Chef der Gestapo in Stuttgart ein Täter, der emotionslos die jüdische Bevölkerung in die Vernichtung schickte.

So wird in dem Buch an sieben Biografien die ebenso interessante wie gewaltige Bandbreite der Stuttgarter Gesellschaft aufgezeigt. Die Texte sind prägnant geschrieben und gut zu lesen; dennoch fehlt es nicht an Tiefe und Kompetenz. Das Kapitel zu Nazi-OB Karl Strölin etwa hat dessen Biograf Walter Nachtmann beigetragen. Den Text über den StZ-Verleger Josef Eberle verfasste der langjährige StZ-Redakteur Thomas Borgmann; er geht vor allem auf die Zeit vor 1945 ein. Weitere Porträts sind dem Juristen Hugo Bühler, dem Sonderrichter Hermann Albert Cuhorst sowie dem Künstler Fred Uhlman gewidmet.

Schwäbische Enzyklopädie

Was der frühere Wirtschaftslehrer Horst W. Stierand aus Eislingen in mehrjähriger Arbeit geschaffen hat, besitzt fast enzyklopädischen Charakter: In seinem dicken Buch „Schwäbisch gschwätzt und Schwäbisch glacht“ wagt er sich an eine umfassende Darstellung des schwäbischen Charakters, der schwäbischen Sprache und vor allem des schwäbischen Humors.

Das hört sich nach einer drögen wissenschaftlichen Analyse an, ist aber vor allem eins: unglaublich witzig. Denn der gelehrte Habitus ist mit viel Ironie durchsetzt, und vor allem ist das Buch angereichert mit einer schier unendlichen Zahl von Sprüchen, Anekdoten und Witzen zum Thema. Stierand scheint die gesamte schwäbische Literatur durchforstet und in seinem Buch konzentriert zu haben.

Allerdings kommt der Autor an vielen schwäbischen Klischees nicht vorbei – dem Geiz, dem Schaffen, dem verdruckten Liebesleben. All dem wird breiter Raum eingeräumt. Und vermutlich, um die Seitenzahl nicht ausufern zu lassen, hat sich der Verlag für ein sehr enges Druckbild entschieden. Das macht das Lesen etwas mühsam – die Anekdoten entschädigen einen aber reichlich. Beispiel gefällig? Wie umschreibt der Schwabe eine dicke Frau? Dui isch so fedd, dass dir dr Schprit ausganga dät, wenn de mit ma Mofa om se rom fahra missdescht.

Vom Mord an den Schwachen

Es ist ein bedrückendes und doch so wichtiges Thema: Gudrun Silberzahn-Jandt hat herausgefunden, dass in der NS-Zeit 83 Menschen aus Esslingen getötet wurden, weil sie zum Beispiel geistig behindert waren und den Nazis als „lebensunwert“ galten. Weitere sechs Kinder brachte man in den „Kinderfachabteilungen“ um. Zudem wurden in der Esslinger Klinik 200 Männer und Frauen gegen ihren Willen sterilisiert.

Die Autorin hat damit eine von ganz wenigen detaillierten Lokalstudien zu Zwangssterilisation und „Euthanasie“ vorgelegt. Diese Arbeit ist einerseits analytisch und systematisch und nennt auch bei den Tätern Ross und Reiter; zum anderen stellt Silberzahn-Jandt in berührenden Texten alle bekannten Opfer vor; am ausführlichsten beschreibt die Autorin auf 50 Seiten anhand neuer Quellen die Lebensgeschichte von Magdalene Maier-Leibnitz, die 1941 in Hadamar ermordet wurde. In dieser Verbindung von wissenschaftlicher Genauigkeit und persönlicher Berührtheit liegt der Wert dieses Buches.

Fotos der letzten Ruhestätte

Eigentlich sollte es ein Bildband werden über 17 jüdische Friedhöfe in Südwürttemberg und Hohenzollern – aber dann blutete dem Fotografen Karlheinz Fuchs doch das Herz und er begann, die dazu gehörende Geschichte der jüdischen Gemeinden darzustellen, die jüdischen Totenbräuche und Grabsteinsymbole zu erklären und vom Leben einzelner Personen zu berichten. So ist unversehens ein überaus lesenswerter Bildband entstanden.

Jüdische Friedhöfe gelten deshalb als wichtige Kulturgüter, weil dort nach jüdischem Glauben nichts verändert werden darf – es sind „Ewigkeitsorte“. Zudem sind diese Friedhöfe ja oft die einzigen Relikte jüdischer Kultur, da die Synagogen nach ihrer Zerstörung im Jahr 1938 meist nicht wieder aufgebaut wurden.

Das Buch geht auch auf alle vier Friedhöfe auf Stuttgarter Markung ein, die einen jüdischen Teil besaßen oder besitzen. Das sind der Hoppenlaufriedhof (der jüdische Bereich wurde 1834 eröffnet), der Pragfriedhof (1874), der Steigfriedhof (1872) sowie der Steinhaldenfriedhof, wo bis heute Menschen jüdischen Glaubens ihre letzte Ruhestätte finden.

Zwei weitere Neuerscheinungen

Gleich zwei Bücher beschäftigen sich mit Herrscherinnen aus württembergischen Hause. Hans Haug hat einen schmalen Band über die bisher wenig betrachtete Königin Charlotte, die Ehefrau des letzten württembergischen Königs, geschrieben. Vor allem ihre Zeit in Bebenhausen von 1918 bis zu ihrem Tod 1946, also die Lebensphase nach der Abdankung, wird darin beschrieben (Silberburg-Verlag, 128 S., Preis 14,90 Euro). Die Hamburger Historikerin und Journalistin Marianna Butenschön widmet sich „Maria, Kaiserin von Russland“, die der Mömpelgarder Linie Württembergs entsprang und 1776 den späteren russischen Zaren heiratete. Sie wurde eine unendlich einflussreiche Frau – und musste doch fast unendlich viele Schicksalsschläge hinnehmen. Zudem begründete sie das enge Verhältnis von Württemberg und Russland – Butenschön erzählt davon ebenso kenntnisreich wie detailliert (Theiss Verlag, 424 S., Preis 24,95 Euro).