Der ehemalige Grünen-Politiker Rezzo Schlauch ist seit kurzem Honorarkonsul von Albanien. Schlauch unterstellt den Flüchtlingen des Balkanstaates wirtschaftliche Motive. Es gebe in Albanien keine politische oder religiöse Diskriminierung.

Stuttgart - Der Ex-Grünenpolitiker Rezzo Schlauch unterstellt den Flüchtlingen des Balkanstaates Albanien wirtschaftliche Motive. Dort gebe es keine Diskriminierung.

 
Herr Schlauch, Glückwunsch zur Ernennung zum Honorarkonsul Albaniens. Woher rührt denn Ihre Affinität zu diesem Land?
Danke. Meine Frau, Ema Ndoja, mit der ich seit 1992 zusammen bin, ist albanischer Herkunft. In meiner Funktion als Parlamentarischer Staatssekretär war ich damit befasst, eine größere deutsche Investition in Albanien zu begleiten, den Neubau des Flughafens von Tirana. Mit der Zeit haben sich über die familiären Bande hinaus Beziehungen zur Politik ergeben.
Albanien-Reisende sind positiv überrascht über die Entwicklung im Land. Wie oft sind Sie in Tirana?
Einmal im Vierteljahr. Die von Ihnen geschilderte Überraschung trifft bei vielen zu, die aus wirtschaftlichen oder touristischen Motiven nach Albanien reisen. Nicht von ungefähr hat die „New York Times“ kürzlich Albaniens Südküste zu den zehn weltweiten Top-Zielen – die noch unbekannt sind – auf Platz vier gesetzt. Die Menschen in Albanien sind offen und gastfreundlich. Ich fühle mich da sehr wohl.
Würden Sie Albanien als sicheres Herkunftsland für Asylbewerber bezeichnen?
Ja, ich habe keinen Zweifel daran. Albanien ist ein sicheres Herkunftsland. Zumindest, wenn man unter diesem Signum ein Land versteht, in dem niemand aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt wird. Albanien ist eines der wenigen Länder, in der die Religionsgemeinschaften friedlich zusammenleben. Das ist der Grund, warum der Papst nach seinem Amtsantritt als erstes europäisches Land Albanien besuchte. Eine Diskriminierung oder Verfolgung aus politischen Gründen ist mir dort nicht bekannt. Natürlich herrscht Armut, die Perspektiven für junge Leute sind schwierig.
Es wird angenommen, dass Balkan-Flüchtlinge aus wirtschaftlichen Gründen kommen. Trifft das zu?
Diese Annahme würde ich – was Albanien angeht – klar bestätigen. Ich habe es selbst mitbekommen, dass Geschäftemacher in Albanien Leute mit falschen Versprechungen nach Deutschland locken, ihnen Arbeit versprechen und ihnen Bus- und Flugreisen verkaufen. Viele kommen aus Griechenland, wo sie ihre Arbeit verloren haben. Flüchtlinge aus Albanien sind Wirtschaftsflüchtlinge. Es sind sicher Leute dabei, die von unseren Sozialleistungen gehört haben und deshalb nach Deutschland reisen.
Wie sieht es mit Montenegro und dem Kosovo aus?
Da habe ich keine eigenen Erkenntnisse. Aber im Kosovo ist die Armut und der tägliche Existenzkampf offenbar wesentlich härter als in Albanien.
Welche Fortschritte hat Albanien gemacht, seit es EU-Beitrittskandidat ist?
Es gibt wenig industrielle Arbeitsplätze. Die meisten Jobs sind im Handwerk, dem Tourismus, der Gastronomie und in Kleinbetrieben. Dennoch ist Albanien im wirtschaftlichen Aufbauprozess. Da gibt es Erfolge. Beim Besuch von Kanzlerin Merkel Anfang Juli in Tirana habe ich deutsche Firmen kennengelernt, die dort erheblich investieren. So ist ein Business-Park mit einem Investitionsvolumen von 100 Millionen Euro im Bau, auch in der Textil- oder der Autozulieferindustrie sind Deutsche aktiv. Da ist man am Anfang eines langen Weges. Auf dem Feld der Justiz ist es so, dass Albanien – insbesondere mit seinem Ministerpräsidenten Edi Rama – große Anstrengungen unternimmt, die Korruption zu bekämpfen. Er organisiert mit deutscher Hilfe Justiz und Polizei neu und hat eine Verwaltungsreform gestartet, mit der über 1000 kleine Kommen zu größeren Verwaltungseinheiten zusammengefasst wurden. Rama ist überzeugter Europäer, der einen unbändigen Willen hat, Albanien – aber auch die Nachbarländer – in die Europäische Union zu führen.
Will die EU wirklich neue Mitglieder vom Balkan?
Der Balkan braucht die EU, aber die EU muss auch ein Interesse haben, ihn zu integrieren. Ein zerfallender Balkan wäre ein gravierendes Problem für Europa. Deshalb glaube ich auch, dass Europa seine Anstrengungen, den Balkan wirtschaftlich zu entwickeln, verstärken muss. Eine rühmliche Ausnahme ist hier übrigens Bundeskanzlerin Merkel, die mit ihrer Westbalkankonferenz 2014 in Berlin, die jetzt in Wien ihre Fortsetzung gefunden hat, ein wichtiges Zeichen gesetzt hat.
Wie sehen Sie Ihre Rolle als Honorarkonsul?
Ich habe der Ernennung, der ein formelles Prozedere zwischen Albanien und Deutschland vorausging, nur unter einer Bedingung zugestimmt: Dass ich nicht an Kaffeekränzchen teilnehmen muss, was ja auch eine Übung der Honorarkonsuln ist. Auch werde ich mich nicht um alltägliche Angelegenheiten wie Passfragen kümmern. Das wird weitergeleitet. Ich werde mich darauf konzentrieren, deutsche Unternehmen für Albanien zu interessieren, das Land bekannt zu machen und wirtschaftliche Verbindungen zu stiften. Für viele Deutsche ist Albanien eine Terra incognita – ein unbekanntes Land. Es gibt Investitionsmöglichkeiten, nicht nur in der Industrie, Infrastruktur und im Tourismus, sondern auch in der Datenverarbeitung und Datenerfassung.