Wie ist den Grünen eigentlich der Weg zur Macht gelungen? In der Stadtbibliothek haben Fritz Kuhn und Rezzo Schlauch über die Anfänge der Partei gesprochen und ein Buch vorgestellt.

Stuttgart - Im Untergeschoss der Stadtbibliothek sitzen zwei Schwergewichte – auf beide trifft das im politischen Sinn zu, auf einen der beiden auch im Wortsinn. An diesem Abend erzählen sich zwei graue Eminenzen der Grünen vor Publikum noch einmal, wie sie sich einst gemeinsam aufgemacht haben zum langen Marsch der Grünen, der sie tatsächlich an die Macht geführt hat. Als der Stuhl unter Rezzo Schlauch knarzt und ächzt, kalauert ihn sein Weggefährte Fritz Kuhn von der Seite an: „Du, das sind städtische Stühle, die zahlst Du aber!“

 

Die Heiterkeit im Publikum und die Frotzeleien der beiden Politiker geben den Ton vor an diesem Abend, an dem die beiden ein Buch vorstellen, das Schlauch mit Reinhold Weber von der Landeszentrale für politische Bildung verfasst hat: „Keine Angst vor der Macht – die Grünen in Baden-Württemberg.“ Viel Arbeit hat Weber nicht mit der Moderation, er zeigt auf, welches politische Süppchen brodelte, als aus vielen verschiedenen Strömungen schließlich die Grünen entstanden: Das Waldsterben, Tschernobyl, die Nachrüstung mit Atomwaffen, die hunderttausende auf die Straßen trieb.

Wie schwarze Förster grün wurden

„Mit Parteien hatte ich nichts am Hut“, erzählt Rezzo Schlauch und erinnert sich daran, wie er in Stuttgart als junger Anwalt Anti-Akw-Demonstranten und Hausbesetzer verteidigte und eines Tages über Freunde doch bei einer Grünen-Veranstaltung landete, „bei der die Anthroposophen in der Mehrheit waren. Mir kam das komisch vor, weil die alle ganz lieb miteinander umgegangen sind.“ Aber so friedlich blieb es nicht im grünen Parteiuniversum, auch an die Niederlagen denken Schlauch und Kuhn zurück, die nicht nur politische Freunde sind. „Heute neigt man zu anekdotischen Heldengeschichten, dabei war das eine ungeheuer anstrengende Leidenszeit“, sagt Fritz Kuhn und zählt ein paar der Narben auf, die den beiden Realos geblieben sind: persönliche Beschimpfungen, Niederlagen auf Bundesparteitagen – für die Grünen im Ländle schien auch nicht jeden Tag die Sonne.

Tatsächlich verharrt der Abend in der Stadtbibliothek nicht nur im Zünftigen, er bietet durchaus Aufschlussreiches mit Blick auf den Sonderweg der Grünen im Land. Schlauch und Kuhn erzählen, wie sie früh die Schwäche der Sozialdemokraten erkannten und daraus eine Strategie entwickelten: Die Grünen sollten tief ins bürgerliche Lager eindringen. Das konnte nur funktionieren, indem sich die Grünen aus den städtischen Protestmilieus hinaus aufs Land wagten. So erzählt Schlauch von seinen Auftritten bei Bauernverbänden und davon, wie die Partei mit Förstern Spaziergänge unternahm, um übers Waldsterben zu diskutieren. Aus einigen schwarzen Förstern wurden Grüne.

Der Weg an die Macht dauerte lange. „Kretschmann hat drei CDU-Ministerpräsidenten ausgesessen“, erinnert sich Schlauch, nur um von Kuhn umgehend halblaut korrigiert zu werden. „Okay, es waren vier“, sagt Rezzo Schlauch: „Den Mappus habe ich nicht mitgezählt.“