Der Fernsehphilosoph Richard David Precht nutzt die Medien, um gesellschaftlich zu wirken. Doch das gefällt nicht jedem. Er selbst schiebt’s auf sein Aussehen.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Mainz - Alle reden über das Aussehen Richard David Prechts. Wir reden über Sokrates. Sokrates war spotthässlich. Müßig darüber zu spekulieren, ob sich für ihn damit eine Karriere als Volks- und Fernsehphilosoph von vornherein erledigt hätte, heute, nachdem ein so schmuckes Denker-Duo wie Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski schnöde vom Bildschirm verbannt wurde. Deren Nachfolger jedenfalls, Precht, beruft sich für sein philosophisches Popularisierungsprojekt auf den griechischen Weisheitslehrer: Dieser gilt ihm als Stammvater des gelehrten Talks über die großen Fragen dieser Welt. Oder wie Precht in einem seiner Bildungsbestseller schreibt: „Der Produzent der Show heißt Platon – und sein Gastgeber ist Sokrates“. Und er liefert gleich ein Rollenprofil mit, das ihm selbst wie auf den Leib geschrieben ist: „Nonchalant hält Sokrates das Gespräch zusammen, leitet die Runde, gibt wichtige Impulse und stellt mehr oder weniger vergiftete Fragen“. Auf derartiges wird sich der Hirnforscher Gerald „Platon“ Hüther einstellen müssen, wenn er mit „Sokrates“-Precht als erster Gast in dessen neuer Sendung am Sonntagabend über die Mängel des Bildungssystems diskutiert.

 

Precht gehört zur Standardbesetzung in Talkshows

Genau wegen Statements wie den zitierten aber, ist Precht in der Fachphilosophie verschrien, wenn überhaupt. Denn seine Rezeption dürfte sich in diesen Kreisen umgekehrt proportional zu seiner medialen Präsenz verhalten – und die ist beachtlich. Zumindest fällt regelmäßig sein Name, wenn es gilt in Talkshowrankings die Standardbesetzung dieses so beliebten wie inflationären Formats zu ermitteln: zuständig eigentlich für alle große Fragen, von A wie Afghanistan bis Z wie Zivildienst für Rentner. Für die Süffisanz, die Prechts aufklärerischem Wirken bisweilen von seinen Kritikern entgegenschlägt, hat er seine eigene Erklärung: „Wenn ich anders aussehen würde, würde ich in den Feuilletons besser behandelt.“

Vielleicht hat der hässliche Sokrates das Bild eines Philosophen so nachhaltig geprägt, vielleicht ist alles aber auch nur ein Missverständnis. Denn auch wenn der promovierte Germanist mittlerweile als Honorarprofessor in Lüneburg – künftig auch in Berlin – lehrt, verdankt er seinen öffentlichen Erfolg eben nicht strenger philosophischer Forschung, sondern Büchern, die als gelungene Beispiele des Wissenschaftsjournalismus gelten dürfen. In ihnen spricht er seine Leser gerne mal direkt an, fordert sie auf: „Machen wir ein Spiel“, um ihnen die Grundzüge der Rawlschen Vertragstheorie zu erläutern. Oder er entlässt sie mit salopp formulierten Tipps: „Füllen Sie ihre Tage mit Leben und nicht ihr Leben mit Tagen“. So endet sein zum geflügelten Wortspiel gewordener Durchbruch „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“, mit dem er im Krisenjahr 2008 die Massenbewegung kollektiven Sinnsuchens vom Pilgern zum Philosophieren brachte und damit Hape Kerkelings bestsellerdominanten Jakobsweg-Bericht den Rang ablief.

Auch Precht fing mit kleinen Erklärungsversuchen an

Wie andere populäre Philosophie-Erfolgsgeschichten, „Sophies Welt“ oder „Der kleine Prinz“, beginnt auch Prechts intellektuelles Erziehungsprojekt ganz klein. Auf einer Serviette habe er einem der Söhne seiner späteren Frau, der luxemburgischen RTL-Moderatorin Caroline Mart, den Dialektischen Materialismus erklären wollen, offenbar so erfolgreich, dass daraus der Plan zu einer Einführung für Studenten erwuchs. Und vielleicht ist es ein Resultat jenes sich über den Widerspruch entwickelnden dialektischen Prinzips, dass Precht, der als Kind engagierter 68er Eltern in einem behüteten linken Ideenidyll zusammen mit zwei adoptierten vietnamesischen Geschwistern aufwuchs, heute eher dem Kommunitarismus als dem Kommunismus zuneigt. Wer wissen will, was das heißt, findet in seinem Buch „Die Kunst, kein Egoist zu sein“ eine stringente Zusammenfassung jenes auf Gemeinschaftsgeist und gesellschaftlichen Zusammenhalt gegründeten Konzepts. Es entstand als Gegenbewegung zur neoliberalistischen Entfesselung der Reagan-Jahre. Kritiker freilich sehen in der dem Bürger aufgebürdeten Solidarität nur eine moralische Umverteilung von Pflichten, die bisher dem Sozialstaat oblagen.

„Wenn Sie gesellschaftlich wirken wollen, müssen Sie in die Medien“, lautet Prechts Credo. Und um seiner breitenkonsensfähigen Ziele willen – bürgerliches Engagement, Solidarität, Mitbestimmung – nimmt er gelassen in Kauf, von der „Bild“-Zeitung als „geschniegelter, hübscher Klugscheißer-Philosoph“ beschimpft zu werden. Oder doch nicht? In seiner zweiten Sendung am 7. Oktober jedenfalls will sich der 47-jährige den Springer-Chef Mathias Döpfner vorknöpfen, um mit ihm einmal ein ernstes Wörtchen über das Thema Freiheit zu reden.