Die neue Gesprächsreihe „Paradox 16“ widmet sich den Widersprüchen der Welt, in der wir leben. Beim Auftakt in Feuerbach war auch der Philosoph und Schriftsteller Richard David Precht zu Gast.

Feuerbach - Puzzle, zigtausend Teile, am meisten Nerven kosten dabei blauer Himmel oder weiße Wolken. Doch manchmal, da flutscht’s einfach, da passt ein Teil zum anderen. So ist auch Paradox 16 entstanden – der Stuttgarter Dialog über Wirtschaft und Gesellschaft: Sechs Koryphäen verschiedener Fachgebiete kommen zusammen, referieren und berichten über ihr Fachgebiet, blicken dabei aber auch weit über den Tellerrand hinaus.

 

Jüngst fand der Auftakt der Reihe in Feuerbach statt. „Paradox ist ein Treffpunkt freier Geister, die sich abseits der herrschenden Ansichten bewegen“, definieren die Veranstalter Frank Augustin, Chefredakteur des Stuttgarter philosophischen Wirtschaftsmagazins agora 42, und Markus Turber vom Design-Büro Intuity die Gesprächsreihe, die völlig profan entwickelt wurde: beim Bier, in einer Cafébar. „Wir sind beide sehr diskussionsanfällige Menschen, haben uns kennengelernt und festgestellt, dass es sofort zur Sache ging“, berichtet Frank Augustin. „In einer Zeit, in der nach der Krise alles nur noch auf Effizienz getrimmt wird, bleibt der Dialog auf der Strecke. Wir wollen Freigeister versammeln und einen Austausch ermöglichen“, erklärt Markus Turber.

Lutz Kloke forscht an Organen aus dem 3D-Drucker

Die ersten sechs Gesprächspartner für die Premiere dieser Ideenschmiede auf Zeit waren schnell gefunden – eben wie Puzzlestücke, die sofort zueinander passen: Theo von Bomhard, Informatiker der ersten Stunde und langjähriger Leiter der Abteilung Konzernstrategie der Robert Bosch GmbH, und Lutz Kloke, ein Biotechnologe an der TU Berlin, der am 3D-Druck von Organen forscht, sprechen nacheinander und legen dabei ihre Gedanken offen vor den 120 Zuhörern bei der Premierenveranstaltung im „Mock-Up“, dem Ausstellungs- und Schulungszentrum der Feuerbacher LED-Leuchtenschmiede Nimbus am Pragsattel. Ein griffiges „paradoxes“ Beispiel liefert dabei der Biologe Lutz Kloke mit seiner eigenen Arbeit. Anhand einer kurzweiligen Präsentation zeigt er, wie er einmal transplantierfähige Organe aus lebenden Zellen am 3D-Drucker produzieren will. „Die Gesellschaft wird immer älter, die Liste der Menschen, die auf ein Spenderorgan wartet, wird immer länger. Vielleicht haben wir mit Bio-Printing irgendwann die Lösung und können dann mit einem Griff aus dem Koffer zum Beispiel ein funktionsfähiges pumpendes Herz hervorholen“, sagt Kloke. Doch ist es korrekt, an einer Lösung zu forschen, die bei gleichzeitig steigender Überbevölkerung bis an die Kapazitätsgrenzen des Erdballs heran dafür sorgt, dass Menschen länger leben, fragt er in die Runde und liefert die Antwort gleich mit: „Dann müssen wir eben auch Fleisch und andere Nahrung per Bio-Printing produzieren.“

Der Philosoph teilt gegen die Lehrer aus

Weiteren Diskussionsstoff liefern die Vorträge von Niko Paech, Umweltökonom und Nachhaltigkeitsforscher, und von Katharina Reuter, die als Unternehmensberaterin für Nachhaltigkeit tätig ist. Das letzte Drittel des Abends hat das Thema Bildung zum Inhalt. Erst berichtet Marie Glück von ihrem Weg über Indien und Madrid bis zum Referat Nachhaltige Stadtentwicklung bei der Stadt Ludwigsburg, dann zerpflückt der Philosoph und Autor Richard David Precht das deutsche Schulsystem. „Lehrer sind wie Eunuchen. Sie wissen, wie es geht, können aber nicht“, witzelt er mit einer raumfüllenden Präsenz und fordert mehr Praktiker in den Schulen, schließlich würden Schüler ansonsten nur darauf eingeschworen, aufrichtiges Desinteresse zu zeigen. „Durchmogeln, pfuschen, alles Qualitäten, die man im späteren Leben gut brauchen kann.“ Seine Kritik ist genauso vernichtend wie unterhaltsam, bietet aber dennoch genügend Lösungsansätze und Denkanstöße.

Die Veranstalter haben weder Mühe noch Kosten gescheut, um dieses Puzzle, dieses Treffen von Denkern und Andersdenkern zu kreieren und zusammenzusetzen. Ganz schön paradox: Verdient hat niemand an diesem Abend. Und dennoch sind alle bereichert nach Hause gegangen.