Mit einer Studie über das Böse hat das Stuttgarter Schauspiel am Freitag seine neue Saison eröffnet: „Richard III.“ von Shakespeare, als finsteres Nachtstück  inszeniert vom Jungregisseur Robert Borgmann.

Stuttgart - Mit einer Studie über das Böse hat das Stuttgarter Schauspiel am Freitag seine neue Saison eröffnet: „Richard III.“ von Shakespeare, als finsteres Nachtstück  inszeniert vom Jungregisseur Robert Borgmann. Drei Stunden währt das Morden. Unzählige Fragen aber bleiben.   

Die Welt ist eine wacklige Scheibe. Sie ist schwarz in der Mitte und fließt an den Rändern rot aus, gerade so, als wäre sie aus dem Urknall einer Pistole entstanden. Und darauf, auf dieser mit wüster Energie geladenen Erdenwippe: Richard III. als Kind, nur er, sonst niemand, er als adrett in schwarz und weiß gekleideter Konfirmand, dessen einwandfreie Garderobe freilich nichts von den Gedanken ahnen lässt, die in ihrer Grausamkeit alles andere als einwandfrei sind.

 

Hinkend nähert er sich dem Vogelkäfig, der auf der blutroten Peripherie der wackligen Weltenscheibe ins Nichts ragt – und wusch, ohne Aufhebens, dreht der von Hosea Hellebrandt stumm gespielte Knabe dem gefangenen Täubchen den Hals um. Ein Akt der Routine, mehr nicht. Und noch bevor Gitarrendonner über die Bühne rollt, haben wir verstanden: Klein-Richard ist ein Ungeheuer und wird es auch als Groß-Richard noch immer sein.

Schurke der Weltliteratur

In der Tat: König Richard III., den Shakespeare zum Titelhelden seines gleichnamigen Dramas macht, ist der größte Schurke der Weltliteratur. Mit seiner bestialischen Intelligenz wirkt er faszinierend und abstoßend zugleich. Um auf den Thron zu gelangen, schreckt der körperlich und seelisch defekte Bursche vor keiner Lüge, keiner Verschlagenheit, keiner Heimtücke zurück. Dirty Richard kennt keine Verwandte, auch nicht beim Morden, weshalb die Leichen von Neffen, Bruder, Ehefrau seinen Königsweg pflastern. In Stuttgart ist es der 34-jährige Robert Borgmann, der dieses finsterste aller finsteren Shakespeare-Stücke nun auf die von ihm selbst entworfene Bühne wuchtet: eine Studie über das Böse schlechthin zum Saisonauftakt am Schauspielhaus.

Allein, die Regie findet nicht das richtige Maß, um dieses dynastisch verwickelte Königsdrama nachvollziehbar zu erzählen. Anders als der stumme Prolog, der mit seiner Taubensymbolik zu aufdringlich ist, gibt die folgende Drei-Stunden-Inszenierung dem Zuschauer viele Fragen mit auf den Weg. Wer wen weshalb mordet, bleibt im Lauf des stark gerafften Handlungsgangs im Dunkeln, wobei zur unklugen Dramaturgie erschwerend hinzu kommt, dass einige Schauspieler in Mehrfachrollen zu sehen sind.

Hochambitionierter Rätsel-Shakespeare

Nicht so Marek Harloff als Richard III., der vor zehn Tagen kurzfristig für den erkrankten Thomas Lawinky in die Titelrolle gesprungen ist. Er spielt den König als verzogenen, ewig pubertierenden Teufelsbengel, der sich die Welt als Spielzimmer der Gewalt eingerichtet hat. Dass die gestörte Beziehung zur Mutter den Urgrund für seine unfassbaren Verbrechen gelegt hat, diese von Regie und Dramaturgie suggerierte Klein-Richard-Diagnose wirkt dann aber doch zu banal in diesem figurenreich ausstaffierten Alptraum, der – das immerhin – mit bestechenden Effekten aufwarten kann. Bühne, Licht, Musik machen ihre Sache so perfekt, dass sie gemeinsam als Multimedia-Installation jedes zeitgenössische Museum schmücken würden.

Vor einem Jahr hat Robert Borgmann schon einmal die Stuttgarter Spielzeit eröffnet. Sein „Onkel Wanja“ wurde damals ausgebuht, später aber doch mit einer Einladung zum Berliner Theatertreffen geadelt. In die schüchternen Bravos für „Richard III.“ mischen sich jetzt bei der Premiere auch schüchterne Buhs. Ob der hochambitionierte Rätsel-Shakespeare das Zeug zu höheren Ehren hat, ist indes mehr als fraglich. In diesem Nachtstück bleiben viele Menschen auf der Strecke – und viele berechtigte Interessen der Zuschauer leider auch.

Weitere Vorstellungen am 28. September sowie am 8., 17. und 26. Oktober.