Bei den Richard-Wagner-Festspielen geht nichts voran. Am besten wäre es, das Festspielhaus einfach mal zu schließen. Mindestens ein halbes Jahrhundert. Ein Plädoyer von StZ-Kulturredakteur Götz Thieme.

Bayreuth - Nur eines noch wollen wir: das Ende. Wie Wotan, der Gott, der einsieht, dass es so nicht weitergeht mit Geschichte, Macht, Liebe – die neuen Verhältnisse stellen sich einfach nicht ein. Also fordern wir die Schließung des Bayreuther Festspielhauses. Möglichst gleich nach den letzten Takten des „Fliegenden Holländers“ am 28. August. D-Dur-Erlösung und gut ist. Am besten wird die Scheune nach Kompletträumung allen menschlichen Lebens eingehaust und verglast unter einem gigantischen Schneewittchensarg. Als Konstrukteur käme der britische Architekt Norman Foster in Frage, der versteht sich auf nationale Gebäude. Siehe Reichstag in Berlin.

 

Oder – das wäre schon radikaler – die Bude wird gleich in Kunstharz gegossen. Bei „ausreichender Viskosität“, wie es in der einschlägigen Fachliteratur heißt, dürfte ein „einwandfreier und blasenfreier Verguss“ zu bewerkstelligen sein. Da konsultiert man halt die Experten von Elbphilharmonie, Staatsoper Berlin und Stuttgart 21. Superradikal wäre natürlich der Vorschlag von Richard Wagner selbst, das Ding abzureißen, nachdem es seinen Zweck erfüllt hat. So schreibt der Komponist in einem Brief an den Freund Theodor Uhlig am 22. September 1850: „Ist alles in gehöriger Ordnung, so lasse ich dann unter diesen Umständen drei Aufführungen des ,Siegfried‘ in einer Woche stattfinden: nach der dritten wird das Theater eingerissen und meine Partitur verbrannt. Den Leuten, denen die Sache gefallen hat, sage ich dann: ,nun macht’s auch so!‘“

Nein, Leute, ernsthaft: eine Pause muss her, mindestens ein Vierteljahrhundert, besser ein halbes. Das kurbelt die Nachfrage an und hätte die Besucher dieses Jahr nicht den peinlichen Pappkärtchen im Umkreis des Festspielhaus ausgesetzt: „Karten für Ring III abzugeben. Gehobene Platzkategorie. Preis Verhandlungssache.“ Das waren noch Zeiten, als Wolfgang Wagner höchstselbst um den roten Klinker tobte und allen Suche-Karte-Schilder-Haltern blaffend Platzverbote aussprach. Als der weißhaarige Wolfgang noch Chef war, wusste man wenigsten, dass einer aufpasste. Der Wagnerenkel mit dem fränkischen Zungenschlag war oft und viel unterwegs und auch dem gemeinen Bayreuthgaffer bekannt. Seine Tochter Katharina, ebenfalls deftig-fränkischer Zungenschlag, ist nie da. Muss an Misanthropie leiden. Die obligatorische Begrüßung der Ehrengäste bei der feierlichen Eröffnung der Festspiele schenkt sie sich schon seit längerem. Dieses Jahr hat sie auch die Pressekonferenz abgesagt. Terminschwierigkeiten. Sind ja nur einmal im Jahr diese Festspiele, da ist es wirklich viel verlangt, der sie finanzierenden Öffentlichkeit mal Rede und Antwort zu stehen. Die Ehrung der Stadt Bayreuth von „langjährigen Mitwirkenden der Richard-Wagner-Festspiele“ schwänzte die Wagnerin kürzlich, obwohl sie selbst mitausgezeichnet werden sollte. Angeblich ein Vorsingen. So richtig organisiert scheint die Dame nicht zu sein.

Die Festspiel-Chefin schwänzt Termine

Etwas feige, wie sie sich nach der Premiere des von ihr inszenierten „Tristan“ vor ein paar Wochen dem Publikum stellte. Nach X Vorhängen für die Sänger und den neuen Musikdirektor Christian Thielemann fuhr der graue Lappen hoch, weit hinten auf der Bühne stand Katharina Wagner in einer Reihe mit den für Bühne, Kostüm, Dramaturgie und Licht verantwortlichen Herren, verbeugte sich wie ein Blitz, schleuderte die langen blonden Haare nach hinten – schon schlug die Gardine über der sekundenkurzen Szene zusammen. Verdutzt fragte sich das Haus: War da eine? Jedenfalls nicht beim anschließenden Staatsempfang des bayerischen Ministerpräsidenten und am nächsten Tag bei der Eröffnung des neu gestalteten Wagner-Museums Wahnfried. Dort gestaltet sich übrigens die Aufarbeitung der braunen Vergangenheit nicht gerade sportiv. Gerade forderte ein Historiker, endlich die nicht erforschte Nazivergangenheit der beiden Nachkriegs-Museumsleiter unter die Lupe zu nehmen.

Vieles bleibt unsichtbar, neu ist kaum etwas in Bayreuth. So geht das auf dem grünen Hügel, seit Papas Liebling 2008 das Erbe des großen Namens angetreten hat. Anfangs mit der Halbschwester Eva Wagner-Pasquier – ebenfalls nicht viel sichtbarerer in all den Jahren –, jetzt, vom 1. September an, als alleinige Festspielchefin.

Doch der Schwung ist raus. Wie auch anders? Seit 1876 werden die ewig gleichen sechs Opern sowie der vierteilige „Ring des Nibelungen“ gegeben, in der dauernd gleichen starren Organisations- und Präsentationsform – im kommenden Jahr zum 140. Mal! Wesentliche Impulse sind weder von Regisseuren noch musikalisch-sängerisch auszumachen. Dabei wäre zum Beispiel ein „Lohengrin“ auf historischen Instrumenten gespielt ganz spannend. Geht angeblich nicht, weil das Orchester aus vielen verschiedenen Musikern vor allem deutscher Spitzenorchester besteht. Alles eine Frage des Wollens, meinen wir. Dann wird eben die Spielzeit mit diesem modernen Orchester um eine Woche verkürzt und am Ende der Festspiele gibt es drei, vier Aufführungen mit Spezialisten, die Instrumente der 1850er Jahre verwenden, wie das von François-Xavier Roth gegründete Orchester Les Siècles. Oder Jos van Immerseel und das Ensemble Anima Eterna nehmen sich die „Meistersinger“ vor.

Die Hülle wird zum Festspiel ihrer selbst

„So weit das künstlerische Vermögen der Gegenwart reicht, soll Ihnen im szenischen, wie im mimischen Spiele das Vollendetste geboten werden“, versprach Richard Wagner in seiner Rede zur Grundsteinlegung des Festspielhauses 1872 den künftigen Besuchern. Man darf davon ausgehen, dass die musikalische Vollendung mitgedacht war. Doch die stellt sich dort selten ein – der „Tristan“ jetzt war sängerisch so deplorabel, dass die Wonnen der Ekstase einzig durch den Griff zur Konserve zu haben war, etwa die Sony-Classical-Box „Wagner at the Met“ mit historischen Aufführungen.

Es bleibt heute nur die Hülle, und die wird zum Festspiel ihrer selbst. Dieses Theater hat einmalige Züge, das ist unbestritten, selbst wenn nicht alles optimal ist. Die Akustik ist für den „Parsifal“ genial, freilich bei früheren Stücken schwierig. Schon Wilhelm Furtwängler murrte in den dreißiger Jahren über den Deckel, der den Orchestergraben abdeckt. Georg Solti fummelte an den Schallwänden herum, als er 1983 einmal und nie wieder kam. Die Sicht ist ausgezeichnet (Amphitheater halt), hat freilich einen Preis: unmenschlich harte Sitze. Schwerste Rückenbeschwerden sind zu gewärtigen. Am tollsten ist, dass das Portal beinahe so hoch ist wie die Bühne breit: 11,80 Meter zu 13 Metern. Der Hammer, wenn da wie jetzt beim Castorf-„Ring“, die klassizistische Fassade der New Yorker Börse als Rückseite einer Döner-Buden-Hölle reinkreiselt. Diese Bayreuther Technik: sie ist vielleicht das schönste am ganzen Haus, das mit seinen Anbauten und Ergänzungen kaum noch die Anmutung „flüchtig gezimmerter Festhallen“ besitzt, die einst Wagner vorschwebte.

Ums Haus also wäre es schade, würde es eingesargt. Aber es bleibt keine andere Wahl, sofern man diese familiäre Nostalgie mit den Wagners weitertreibt, die unbedingt den Hausmeister spielen müssen, jenseits aller Eignung und Begabung. Wie sagte der Philosoph Peter Sloterdijk nach dem Besuch der diesjährigen Festspiele? Katharina Wagner „dient bis auf Weiteres als lebender Beweis dafür, dass Talent nicht erblich ist“. Es sei denn, es fände sich eine Heldin, ein Held von Wagner’schem Schrot und Korn, der diese Familie einfach enteignet und da jemanden hinsetzt, der einmal richtig aufräumt und auslüftet.