Wer hierzulande Recht spricht, hat meist deutsche Wurzeln. Dabei kann es hilfreich sein, andere Kulturen zu kennen.

Stuttgart - Ein Blick in die Gerichtssäle spiegelt zumeist wider, wie sich unsere Gesellschaft zusammenstellt. Auf der Anklagebank sitzen Deutsche, Türken, Eingebürgerte mit italienischen Wurzeln: verhandelt wird gegen Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft. Die aber, die im Namen des Volkes über sie urteilen, stammen in aller Regel aus hiesigen Landen. Rund 20.000 Richter gibt es in der Republik; lediglich acht bis neun Prozent von ihnen, so schätzt der Deutsche Richterbund, haben einen Migrationshintergrund.

 

Einer von ihnen ist Uttam Das. Sein Name verrät, was man ihm kaum ansieht: der Vater des 38-Jährigen stammt aus Indien. Uttam Das selbst, seit 2006 Richter am Stuttgarter Sozialgericht, spricht kein Hindi. Er ist in Koblenz geboren, wurde römisch-katholisch erzogen und war auf dem Subkontinent immer nur Gast. Seine Heimat ist Deutschland, und bei Familienfesten in Indien, bei denen er samt aller Cousinen und Onkel schnell mal einer von tausend Gästen ist, unterhält er sich auf Englisch. "Die Inder hören schon an meiner Aussprache, dass ich Deutsch bin, da bei mir der typisch indische Singsang in der Stimme fehlt", sagt er.

Einblicke in eine uns fremde Mentalität

Auch wenn Das für sich nicht in Anspruch nehmen will, ein Mittler zwischen den Kulturen zu sein, sondern sich eher als "Freund des indischen Volkes" versteht - er hat doch tiefere Einblicke in eine uns fremde Mentalität als die meisten seiner Kollegen. Das kann gerade auf dem Richterstuhl, wo es in vielen Fällen auch darum geht, andere Weltordnungen und Hintergründe zu verstehen, ein Vorteil sein.

Als Sozialrichter kümmert sich Uttam Das um das Rentenrecht, um Arbeitsunfälle und um den Nachteilsausgleich für Schwerbehinderte. Nicht unbedingt Bereiche, in denen man einen hohen Anteil an Migranten vermutet. Und doch: "Viele Verfahren bei uns finden mit Dolmetscher statt", sagt Das. So auch im Fall der türkischen Frau, Ende 30, die wegen starker Rückenschmerzen vor dem Sozialgericht um einen Platz in einer Rehabilitationsklinik klagte. Den Termin beim medizinischen Gutachter hatte sie nicht wahrnehmen können, auch zur Beratungsstelle war sie nicht gegangen. "Ich kann nicht zum Arzt gehen, wann ich will", erklärte sie Richter Das. Bruder und Vater würden sie ständig kontrollieren; dass sie den Gang zum Sozialgericht überhaupt schaffte, war nur mehreren für sie glücklichen Fügungen zu verdanken.

Wenige Robenträger mit Migrationshintergrund

Oder, ein anderes Beispiel: ein beleidigter Sohn verfolgt seine Mutter als Stalker, weil sie sich scheiden lassen will. Der Angeklagte türkischer Herkunft hofft, damit die Ehe seiner Eltern zu retten. Letztlich landet er vor dem Amtsgericht in Nürtingen.

Der dort über ihn richtet, heißt Michail Stogianidis. Wie Uttam Das ist auch Stogianidis einer der wenigen Robenträger mit Migrationshintergrund. Der 35-jährige Jurist hat außer dem deutschen auch einen griechischen Pass. Er weiß: "Die Familie hat in südeuropäischen Ländern einen ganz anderen Stellenwert." Den Stalker verurteilt er zu einer Geldstrafe.

Erleichterung der Kommunikation

Wie Justitia verschließt Stogianidis zwar die Augen vor Nationalität, Geschlecht oder Religion des Angeklagten; doch erleichtert ein breiter Horizont es, Motive zu erkennen und Taten einzuordnen. Und manchmal macht es auch die Kommunikation mit dem Angeklagten leichter: "Griechen sind erstaunt, wenn sie sehen, dass ich auch Grieche bin", sagt er. Und so komme es sogar zu den seltenen Momenten, in denen Leute sich freuen, einem Richter gegenüberzustehen.

Nun würde Michail Stogianidis sich ebenso wenig wie Uttam Das anmaßen, der eigenen Person höhere interkulturelle Kompetenzen zuzuschreiben als den "nur deutschen" Kollegen. Aber dass Stogianidis davon profitiert, hier wie dort zu Hause zu sein, hier wie dort Freunde und Familie zu haben, das sagt er schon. "Natürlich hat das Vorteile. In zwei Kulturen aufzuwachsen schafft ein größeres Verständnis für alles, was aus deutscher Warte vielleicht unrational zu sein scheint."

Einen Konflikt sehen beide nicht

Einen Loyalitätskonflikt hat Stogianidis nicht dabei empfunden, in bundesdeutsche Dienste zu treten - und dafür den Eid auf die Verfassung zu schwören. Das wird, neben der deutschen Staatsbürgerschaft, von angehenden Richtern verlangt. "Im Gegenteil. Ich war hocherfreut, dass ich die Möglichkeite habe, Richter zu sein! Ich hatte noch während des Studiums gedacht, dass ein Migrationshintergrund für die Einstellung in den höheren Justizdienst eher hinderlich sein würde."

Auch Uttam Das war ein solcher Konflikt stets fern. Ohnehin fiele ihm die Spurensuche nach seinen typisch deutschen oder indischen Eigenschaften schwer- sind Disziplin und Fleiß doch hohe Werte in beiden Kulturen. Im Hinduismus strebt man damit einen Aufstieg im nächsten Leben an. Zumindest diesem Gedanken macht Das, dessen Vorname sich mit "der Beste" übersetzen lässt, alle Ehre: Prüfungen hat er mit Auszeichnung absolviert, in seinem Büro an der Theodor-Heuss-Straße sitzt er mehr als 50 Stunden in der Woche und nebenher setzt er sich in der deutsch-indischen Juristenvereinigung für die Verständigunger beider Staaten ein.

"Etwas Indisches an mir ist vielleicht meine Gelassenheit", sagt Das. "Wenn ein indischer Zug mit 24 Stunden Verspätung kommt, ist man dort froh, dass er überhaupt kommt." Das wiederum ist eine Einstellung, die jedem Richter gut zu Gesicht steht - gleich welcher Herkunft er oder der Angeklagte sein mag.